Biden und Selenskyj in Kiew.

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Die beiden Präsidenten umarmten einander vor einer Gedenkwand für gefallene Soldaten.

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Biden und Selenskyj vor dem St.-Michaels-Kloster in Kiew.

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Gegenbesuch: Im Februar hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Joe Biden im Weißen Haus in Washington besucht.

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Kiew – US-Präsident Joe Biden ist am Montagvormittag zu einem unangekündigten Besuch in Kiew eingetroffen. Ein aus der Ferne aufgenommenes Video zeigt Biden bei einem Spaziergang durch das Zentrum der ukrainischen Hauptstadt mit seinem Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj – noch bevor die Visite kurz darauf auch offiziell bestätigt wurde. Zuvor hatten schon Gerüchte über den hochrangigen Besuch die Runde gemacht, weil große Teile der Stadt für den Verkehr gesperrt worden waren.

Video: Joe Bidens Überraschungsbesuch in Kiew.
DER STANDARD

Nach einem Spaziergang mit Selenskyj betonte Biden in einem kurzen Statement die "unverbrüchliche" Zusammenarbeit der beiden Staaten. Der US-Präsident kündigte zudem ein neues Hilfspaket im Umfang von 500 Millionen US-Dollar an, dessen konkretere Ausgestaltung im Laufe der Woche bekannt werden soll. Biden betonte auch die Einigkeit des Westens gegen den russischen Angriffskrieg.

"Ein Jahr nach dem Angriff steht Kiew, auch die Ukraine steht, und die Demokratie steht. Amerika steht mit ihnen und die Welt ebenso. Ich muss sagen, Kiew hat einen Teil meines Herzens erobert", sagte er später bei einer kurzen Pressekonferenz. Biden ging auch auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin ein. "Putin hat gedacht, dass die Ukraine schwach sei und der Westen unterschiedlicher Meinung", gaben ihn mitgereiste US-Reporter wieder. "Er lag einfach völlig daneben. Den Beweis sieht man ein Jahr später hier in diesem Raum. Wir stehen zusammen."

Wie danach bekannt wurde, war Biden gegen die Empfehlung wichtiger Teile seiner Sicherheitsdienste nach Kiew gereist. In Kiew war es zu verstärkten Sicherheitsvorkehrungen gekommen, die auch bei den bisherigen Besuchen von Staats- und Regierungschefs unüblich waren. Außenminister Dmytro Kuleba hatte zudem einen geplanten Besuch bei den EU-Außenministern in Brüssel abgesagt. Biden war für den Dienstag in Polen erwartet worden, um dort anlässlich des Jahrestags des russischen Überfalls auf die Ukraine eine Rede zu halten.

Ein Besuch des US-Präsidenten hatten angesichts der schwierigen Sicherheitslage lange für unwahrscheinlich gegolten. Vor allem die Frage, wie Biden der Übertritt über die Grenze unbemerkt gelingen könnte, war lange offen gewesen. Während Biden mit Selenskyj in Kiew durch das Stadtzentrum ging, gab es auch eine neue Erinnerung an die Gefahren: Wegen eines Luftalarms im ganzen Land – der durch das Aufsteigen eines russischen Abfangjägers in Belarus ausgelöst worden war – heulten auch in Kiew die Sirenen.

Zahlreiche Staats- und Regierungschefs sowie Minister aus anderen Ländern hatten die Ukraine in den vergangenen Monaten seit Kriegsbeginn allerdings bereits besucht – einige auch mehrfach. Auch aus den USA waren bereits Regierungsmitglieder dort, ebenso Bidens Ehefrau Jill. Als Präsident war Biden zuvor noch nie in der Ukraine, in anderen Funktionen aber schon sechsmal. "Ich wusste, dass ich eines Tages zurückkommen werden", sagte er am Montag.

Biden beharrte auf Kiew

Für ihn gelten generell deutlich höhere Sicherheitsanforderungen. Wie die "New York Times" berichten, war Biden – so wie alle anderen hochrangigen Kiew-Besucherinnen und Besucher bisher auch – mit dem Zug aus Polen angereist. Vorausgegangen war der Reise eine unangekündigte Abreise aus dem Weißen Haus und aus den USA – nachdem Biden mit seiner Frau Jill noch am Samstag in einem öffentlichen Restaurant zu Abend gegessen hatte. Das Weiße Haus hatte am Sonntagabend auch noch ein Tagesprogramm veröffentlicht, das Bidens angebliche Termine in Washington auflistete – als der Präsident längst nicht mehr in den USA war.

Der "Rolling Stone" wiederum meldet, dass die Visite bis zuletzt umstritten gewesen sei. So war Biden demnach unter anderem vorgeschlagen worden, im Rahmen seines Polen-Besuchs einen kurzen Abstecher in das weit westlich gelegene und als sicherer geltende Lwiw (Lemberg) zu unternehmen, oder sich überhaupt an der Grenze mit Selenskyj zu treffen. Biden habe aber wegen des Symbolwertes auf seinem Besuch in Kiew bestanden.

Die USA haben Russland nach eigenen Angaben im Vorfeld über die Reise von Biden in informiert. US-Sicherheitsberater Jake Sullivan machte am Montag bei einem Telefonat mit Journalisten keine Angaben dazu, was genau Inhalt der Information war und wie die Russen antworteten. "Aber ich kann bestätigen, dass wir diese Information zur Verfügung gestellt haben", sagte Sullivan. Das sei einige Stunden vorher geschehen.

Weitere Hilfen versprochen

Dass Biden seinen Besuch nun unmittelbar vor den ersten Jahrestag des Kriegsausbruchs legte, hat hohen Symbolwert – als Zeichen der Unterstützung des wichtigsten und mächtigsten Verbündeten der Ukraine. In den vergangenen Monaten haben die Amerikaner in rasanter Abfolge diverse Pakete mit Waffen und Munition in milliardenschwerem Umfang auf den Weg gebracht. Nach Angaben des Pentagons haben die USA der Ukraine seit Kriegsbeginn militärische Hilfe im Umfang von fast 30 Milliarden Dollar bereitgestellt oder zugesagt. Dazu gehören auch verschiedene schwere Waffensysteme.

Biden und seine Regierung haben der Ukraine zugesichert, ihr auch langfristig beizustehen – solange es nötig sei. Selenskyj dankte bei einem gemeinsamen Statement im Marien-Palast für einen "Besuch in schwierigsten Zeiten" und sprach von einem "extrem wichtigen Zeichen der Unterstützung für alle Ukrainer". Er sagte demnach auch: "Diese Unterhaltung bringt uns dem Sieg näher." Zugleich bat er um weitere militärische Unterstützung. Biden selbst kündigte weitere Militärhilfe im Ausmaß von 500 Millionen Dollar sowie unter anderem weitere Himars-Raketenwerfer an.

Gespräche in Warschau geplant

Am Dienstag und Mittwoch plant Biden Gespräche in der polnischen Hauptstadt Warschau. Vorgesehen sind nach Angaben des Weißen Hauses ein Treffen mit Polens Präsident Andrzej Duda sowie eine Rede am frühen Abend vor dem Warschauer Königsschloss. Am Mittwoch will Biden zudem mit Vertretern weiterer osteuropäischer Nato-Staaten zusammenkommen.

Für seine Rede in Warschau hat Biden mit dem Königsschloss nicht nur einen besonderen historischen Ort gewählt: Das Schloss gilt als Symbol der im Zweiten Weltkrieg einst von Nazi-Deutschland großteils zerstörten und später wiederaufgebauten Stadt. Biden hat auch einen besonderen Zeitpunkt gewählt. Putin will sich am Dienstag mit einer Rede an die russische Nation wenden. Die beiden politischen Widersacher liefern sich also eine Art Fernduell. (mesc, APA, 20.2.2023)