Moritz Eisner und Bibi Fellner (Harald Krassnitzer und Adele Neuhauser) haben mit dem exzentrischen Boss einer IT-Firma (Dirk Stermann) ihre Aha-Erlebnisse.

Foto: ORF / Petro Domenigg

Mord und Totschlag sind eigentlich gar nicht ihres, sagt Evi Romen. Blut, Mafia und die üblichen Verdächtigen interessierten sie so gar nicht, sagt die Regisseurin. Ihr geht es ums Psychodrama hinter der Tat. Davon ist in der neuen "Tatort"-Folge "Was ist das für eine Welt?" am Sonntag um 20.15 Uhr in ORF und ARD reichlich Platz. Zum einen beim gewaltsamen Tod eines Mitarbeiters einer coolen IT-Firma mitsamt ihrer scheinbar ultracoolen Kollegen und Vorgesetzten – zum Beispiel des mit Skibrille scharfes Gemüse hackenden Vorgesetzten.

Zum anderen im Zusammenspiel des gut eingeübten österreichischen Ermittlerduos Eisner und Fellner (Harald Krassnitzer und Adele Neuhauser), bei denen kurzzeitig erotische Gefühle aufflackern und schnell wieder verlöschen. Nicht zuletzt wegen eines Falles, der sie aus der IT-Branche hinaus an ganz viele Plätze führt – in den Kuhstall, ins Pflegeheim, in den Discoclub. DER STANDARD erreichte Regisseurin Evi Romen im Kärntner Mölltal.

STANDARD: Es geht um den Mord an einem beliebten und erfolgreichen Menschen in der IT-Branche. Was hat Sie daran besonders interessiert?

Romen: Weniger der Mord als die Persönlichkeiten, die wir in dem Buch konterkariert haben mit einer untergehenden Arbeiterwelt. Ich fand das sehr spannend, diese "modernen" Arbeiter mit Leuten zu konfrontieren, die in einer Molkerei oder in einer Metallfabrik tätig sind.

STANDARD: Dieser "Tatort" führt an viele verschiedene Plätze – von der IT in den Kuhstall, ins Pflegeheim, in den Club. Wie sind Sie bei der Umsetzung vorgegangen?

Romen: In erster Linie habe ich versucht, verschiedene Fenster zu gestalten, durch die die Zuschauerinnen und Zuschauer in verschiedene Welten schauen können. Ursprünglich lautete der Titel der Folge "Kreisky ist tot". Der neue Titel "Was ist das für eine Welt?" entspricht diesem Ansatz mehr.

STANDARD: Die Erzählung funktioniert multiperspektivisch, einmal als traditionelle Erzählung von außen, einmal in einer Erzählsituation aus der Sicht der Assistentin, die den Mord im Gespräch mit einem Therapeuten aufarbeitet, dann wiederum mutieren Szenen zu Werbespots und Bullshit-Bingo. Wieso wollten Sie das so anlegen?

Romen: Zunächst, weil es im Buch von Stefan Hafner und Thomas Weingartner so beschrieben wurde. Zum anderen wollte ich den Eindruck noch etwas verstärken, zumal es nicht ganz einfach war, die Erzählstränge zusammenzubringen. Die Geschichte spielt zum einen in der psychologischen Situation im Kopf der jungen Kommissarin und wandert zum anderen durch einige verschiedene Milieus, die man zeichnen muss. Ein Rahmen als Hilfestellung für den Zuschauer war in dem Fall wichtig, sonst verliert man sich in diesen verschiedenen Strängen.

Besonders junge Menschen sind sehr damit beschäftigt, sich zu optimieren, privat wie beruflich. Sie müssen aber gleichzeitig nicht nur einer Arbeit folgen, sondern in allen Lebensbereichen am optimalen Ball bleiben. Im Film wollte ich zeigen, wie man daran auch scheitern kann.

STANDARD: Die Manager sind nicht kalt, sondern jung und hip. Kennen Sie solche Typen?

Romen: Natürlich, wer kennt die nicht? Das ist die neue Arbeitswelt.

STANDARD: Wie gehen Sie persönlich mit dieser Klientel um?

Romen: Mit großem Staunen, wie ich allen Menschen begegne, die anders sind als ich. Ich versuche aber auch immer herauszufinden, was man davon lernen kann. Zum Beispiel zum Thema Optimierung. Besonders junge Menschen sind sehr damit beschäftigt, sich zu optimieren, privat wie beruflich. Sie müssen aber gleichzeitig nicht nur einer Arbeit folgen, sondern in allen Lebensbereichen am optimalen Ball bleiben. Im Film wollte ich zeigen, wie man daran auch scheitern kann.

STANDARD: Hip sein ist ja auch eine Aufgabe, die nicht jeder und jedem in die Wiege gelegt wurde. Der coole Manager ruft im Restaurant "Fräulein".

Romen: Ja, genau. Das ist eine "Kleinigkeit", in der ich zeigen wollte, dass er nicht aus einer hippen Großstadtfamilie, sondern aus der Arbeiterklasse vom Land kommt.

STANDARD: Hier wird also mit mehreren Traditionen gebrochen. Aber welche Anforderungen muss ein "Tatort" für Sie erfüllen?

Romen: In erster Linie, dass mir eine Welt gezeigt wird, die ich so noch nicht kenne. Dass ich beruhigt zuschauen kann, wie ein Verbrechen geschieht, ohne dass es mir passiert, und diese Tat schlicht meine Neugierde lockt. Das muss nicht viel mit Blut oder Gewalt zu tun haben, sondern der psychologische Aspekt an Kriminalität ist mir der wichtigere und interessantere.

Am meisten überrascht haben mich die beiden "Althasen" Adele und Harald, die natürlich genau wissen, wie sie ihre Figuren anlegen. Gerade die beiden waren sehr experimentierfreudig, haben unglaublich offen und begeistert mitgemacht.

STANDARD: Und was will die Redaktion? Gibt es einen Katalog, in dem man nachschlagen kann: der Ort, das Team, der Schmäh?

Romen: Ich hatte so etwas befürchtet und vermutet. Das war aber erstaunlicherweise gar nicht der Fall. Natürlich gibt es formatbedingt einige Dinge, die man einhalten muss. Man kann nicht die Hauptfiguren komplett verändern, aber ich hatte große Bewegungsfreiheit und war sehr überrascht, wie offen Vorschläge aufgenommen wurden und wie groß das Vertrauen war, dass man das Format nicht beschädigt, sondern etwas Gutes dazu beiträgt. Am meisten überrascht haben mich die beiden "Althasen" Adele und Harald, die natürlich genau wissen, wie sie ihre Figuren anlegen. Gerade die beiden waren sehr experimentierfreudig, haben unglaublich offen und begeistert mitgemacht und versucht, im Rahmen ihrer etablierten Figuren kleine Momente zu erwischen, die sie so noch nicht gespielt haben.

STANDARD: Erotische Anziehung bei den Ermittlerpaaren ist derzeit sehr beliebt, dieses Mal knistert es sogar zwischen Eisner und Fellner. Musste das wirklich sein?

Romen: Mir erging es ähnlich. Meine erste Frage war tatsächlich: Haben die schon, oder werden sie noch? Ich war mir nicht sicher, ob mir da nicht etwas entgangen ist, da ich ja nicht alle "Tatort"-Folgen kenne. Ich habe es so gelöst, dass wir es zu einem Versuch machen, der fast lächerlich scheitert. So wurde es eine kleine komödiantische Szene, die sehr viel Spaß gemacht hat.

STANDARD: Knistern und nicht mehr gab es bei Meret, der lesbischen Kollegin (Christina Scherrer), und deren Freundin sowie der neuen Bekanntschaft. Warum ging es da auch nicht weiter?

Romen: Extra nicht. Mir fällt auf, dass jungen Menschen vieles am klassischen Liebesspiel egal ist. Das Knistern, die kurzen erotischen Momente, man lässt sich ein bisschen darauf ein, aber oft bleibt es beim Versuch oder beim Gedanken, dann dreht man sich bereits zum Nächsten. Daher habe ich versucht, es so anzulegen, dass es eben beim Versuch bleibt.

STANDARD: Publikumsgeschmack wird heutzutage immer genauer vermessen. Schmälert das die Möglichkeiten einer Inszenierung?

Romen: Beim "Tatort" kommen immer wieder ungewöhnliche Regisseurinnen und Regisseure zum Einsatz, mir scheint da eine persönliche Handschrift schon möglich. Ich hatte das Gefühl, dass der "Tatort" vielleicht eine der letzten Bastionen ist, in denen man eine gewisse Freiheit hat, sich nicht einem Gesamtsystem fügen zu müssen, wie es zum Beispiel bei Serien mit vielen Folgen der Fall ist.

STANDARD: Wie verändert die Algorithmisierung von Inhalten die Kulturproduktion?

Romen: Ich frage mich öfter, ob der Algorithmus nicht schlauer ist als ich. Ich bin immer sehr dankbar, dass ich einer Generation angehöre, die noch unterscheiden kann, wenn etwas in der Timeline nicht ein Wunsch von mir selbst war, zum Beispiel ein kulturelles Angebot zu nutzen. Das heißt, ich kann mich noch freuen, wenn mir etwas vorgeschlagen wird, weil ich erkennen kann, ob es von mir oder vom Algorithmus kommt. Allerdings sehe ich mit großer Sorge, wie die Blasen immer dichter werden und die Menschen darin digital verschwinden. Meine Tochter ist neulich in der Volksoper fast von der Balustrade gefallen, weil sie so etwas wie ein klassisches Orchester noch nie gesehen hat. Dieses Selbstentdecken von etwas Haptischem, das man nicht schon vorher digital erlebt hat, geht gerade extrem verloren.

STANDARD: Wie behalten Sie den Fuß in der Tür als eine, die dieser Vermessung nicht entsprechen will?

Romen: Ich habe den großen Vorteil, dass ich als Regisseurin erst mit 50 debütiert habe, dass ich einen Beruf hatte, der mich auch ernähren konnte und in dem ich erfolgreich war. So war es mir möglich, dieser Branche 30 Jahre lang zuzuschauen und zu lernen. Ich habe für mich selbst entschieden, dass ich lieber Arthouse bedienen will, aber natürlich muss man auch überleben. Gleichzeitig bereitet es mir Unbehagen, wenn ich sehe, wie junge Menschen in ihrer Kreativität bereits in Erstgesprächen eingeschränkt werden. Die Individualität vor allem in der Filmbranche wird immer mehr in die Arthouse-Ecke gedrängt, das ist schade, denn wenn man sich die erfolgreichen Serien anschaut, steckt meistens ein kreatives Superhirn dahinter und nicht ein Algorithmus bzw. eine künstliche Intelligenz.

STANDARD: Sehr stark im Gespräch ist KI zur Erstellung von Texten. Können Sie sich vorstellen, ein Drehbuch von ChatGPT zu verfilmen?

Romen: Leider ja. Ich war sehr skeptisch, und zu meiner Verteidigung kann ich sagen, dass ich einer Generation angehörige, die technisch alle Phasen durchgegangen ist. Ich habe in meiner Anfangszeit als Editorin noch ganz haptisch Filmstreifen geklebt. KI hat mich zunächst sehr verängstigt, aber ich habe einen Filmstudenten, den ich dramaturgisch begleite und dem ich erzählte, wie ich bei meinen Filmen vorgehe. Dass ich Bilder sammle und eine Art Film aus Found Footage zusammenstelle, damit ich mir das Drehbuch besser vorstellen kann. Das fand er sehr spannend und setzte die gleiche Vorgehensweise mit einer künstlichen Intelligenz um. Ich fand es absolut faszinierend, wie schnell und unglaublich präzise die KI Bilder geschaffen hat. Es war alles da, natürlich fehlte mir der fehlerhafte Faktor, den ein Mensch zum Beispiel beim Googeln hat, denn genau der macht ungewöhnliche kreative Wege auf. Sollte die KI ein Drehbuch schreiben, würde ich sie wie einen Autor behandeln. Ich würde mich zwar fühlen, als würde ich mit einem Alien arbeiten, aber es könnte schon funktionieren.

STANDARD: Fernsehen ist voll von Krimis. Welcher gefällt Ihnen?

Romen: Ich habe seit vielen Jahren keinen Fernseher, schaue ein bisschen kreuz und quer. Ich mag Krimis, aber Blut, Mafia, die üblichen Verdächtigen sind nicht so meins. In erster Linie interessiere ich mich für das Psychodrama. (Doris Priesching, 22.2.2023)

Über Serien: