Ein Screenshot von "Ultima Online" aus 1997.

Foto: Ultima Online

Im September 1997 ging "Ultima Online" an den Start. Unter dem Namen der bekannten Rollenspielreihe lud man als eines der umfangreichsten MMOs seiner Zeit die Spieler dazu ein, gemeinsam in den Outlands Abenteuer zu erleben oder sich gegenseitig das Leben schwerzumachen.

Während seitdem gewachsene Größen wie "World of Warcraft" den Schwerpunkt fast exklusiv auf diesen Aspekt legen, lautete das ambitionierte Ziel der Entwickler von Origin Systems, eine Welt zu simulieren und es den Spielern weitgehend selbst zu überlassen, wie sie mit Schwierigkeiten umgehen wollen. Man musste nicht zwangsläufig als Krieger oder Zauberer durch die Lande von "Britannia" ziehen. Wer wollte, konnte auch sein Dasein als Bäcker, Handwerker, Politiker oder auch Bettler bestreiten.

Lehren für das Metaverse

Dieser Aspekt und damit zusammenhängende Ereignisse könnten wichtige Lehren bieten, wenn sich künftig durch das "Metaverse" der digitale Aspekt des Zusammenlebens intensiviert, schreibt "MIT Technology Review". Dass das Rezept von "Ultima Online" funktioniert, zeigt sich auch dadurch, dass es das Spiel auch nach 25 Jahren noch immer gibt. Auch wenn die Nutzerzahlen laut verschiedenen Statistikportalen bei rund 6.000 gleichzeitig aktiven Spielern und damit weit unter "WoW" und Konsorten liegen.

GameBanshee

Der Start für "Ultima Online" war allerdings rau. In internen Experimenten funktionierte die Simulation der Welt, die sich bis zum Wachstum von Pflanzen und die tierische Nahrungskette erstreckte, gut. Allerdings war der Faktor Mensch nicht unzureichend eingerechnet. 50.000 Spieler wurden im öffentlichen Betatest auf diese Welt losgelassen, viele davon plünderten und schlachteten sich durch die Landschaft. Das virtuelle Ökosystem kollabierte in kürzester Zeit.

Ein Großteil der Algorithmen dahinter musste zudem eilig entfernt werden, weil die vielen Berechnungen die Server in die Knie zwangen. Gegen Ende des Probelaufs gelang es gar einem Teilnehmer, "Lord British" zu ermorden, die Spielfigur von Studiochef Richard Garriott, nachdem dieser darauf vergessen hatte, sie wie üblich auf "unverwundbar" zu stellen.

Werkzeuge statt harte Regeln

Als das Game schließlich mit einigen Anpassungen in den Vollbetrieb ging, waren diese ganz großen Baustellen zwar abgeschlossen, aber dennoch wurde den Entwicklern nicht langweilig. Denn die Spielerschaft nutzte die Möglichkeiten und Werkzeuge, die ihnen gegeben wurden, oft auf eine Art und Weise, mit der man schlicht nicht gerechnet hatte.

Tischer merkten etwa, dass andere Avatare sich nicht durch Möbelstücke hindurch bewegen konnten und begannen, dies organisiert für allerlei Streiche zu missbrauchen. Als Höhepunkt ihrer Blockadeaktionen verrammelten sie die beiden Tore von Trinsic, einer der größeren Städte Britannias mit Tischen, Stühlen und Schränken. Immer wieder gelang es vereinzelt Spielern, zu entkommen, die daraufhin verfolgt, erschlagen und ihres Inventars erleichtert wurden.

Unter anderen Teilnehmern machte sich Empörung breit und Maßnahmen wurden gefordert – von Sperren für die Barrikadenbauer über ein Möbelverbot an der Stadtmauer oder die Entfernung der Kollisionsabfrage für Einrichtungsgegenstände. Bei Origin wollte man aber dem Gedanken einer Weltsimulation treu bleiben. Eilig wurde ein Patch ausgespielt, der es ermöglichte, die Möbelstücke zu zerhacken. Zuvor waren Äxte nur als Waffe und Holzfällerequipment verwendbar.

Ein Entwicklerstudio als Regierung

Überhaupt machte sich ein bemerkenswerter Zusammenhalt unter den Spielern breit. Selbst als Missetäter Wege fanden, das Game absichtlich für Teilnehmer in ihrem Gebiet abstürzen zu lassen oder einen Fehler auszunutzen, um in fremde Häuser eindringen zu können, blieb ein Massenexodus aus. Stattdessen forderte man lautstark Änderungen seitens der Entwickler und hielt dafür mitunter einen Massenprotest im Schloss von "Lord British" ab, bei dem sich die Teilnehmer entkleideten, soweit es das Spiel erlaubte.

Mit Erfolg. Die Entwickler realisierten, dass sie für ihre mittlerweile über 100.000 Spieler zu einer Art Regierung geworden waren. Sie richteten Ingame-Chatrunden mit Vertretern der Community ein. Deren verschiedene virtuelle Berufsgruppen nutzten das fleißig, um ihre Begehrlichkeiten vorzutragen.

Die Grenzen der Governance

Auch weiterhin versuchte man, keine "harten" Grenzen zu ziehen, gelangte dabei aber schließlich ans Limit. Da "Ultima Online" die Wahl ließ, sich als Bösewicht zu betätigen, hatten sich gefährliche Banden sogenannter "Playerkiller" geformt, die das Reisen besonders abseits von Städten und Siedlungen gefährlich machten. Andere Spieler wurden überfallen, getötet und beraubt. Ihre Spielfigur behielten sie dank des Respawn-Systems, doch das mitgeführte Hab und Gut war an die Ganoven verloren. Gerade für Neueinsteiger hatten solche Erlebnisse eine abschreckende Wirkung und Spielerschwund machte sich bemerkbar.

Also etablierte man neben diversen Regeländerungen ein Belohnungssystem, das es ermöglichte einen Preis für die Niederstreckung bestimmter Banditen auszuloben. Diese wiederum begannen, die Kopfgelder als eine Art Highscore-Tabelle zu sehen. Letztlich implementierte Origin ein Reputationssystem. Dieses verhinderte zwar keine Angriffe, erzeugte aber negative Effekte für Teilnehmer, die wiederholt andere Spieler überfielen.

Im Jahr 2000 – Richard Garriott und "UO"-Chefdesigner Raph Koster hatten Origin den Rücken gekehrt – setzte man letztlich einen drastischen und bis heute umstrittenen Schritt. Die Spielwelt konnte nunmehr über zwei verschiedene "Realms" besucht werden. In "Felucca" konnten Bösewichte weiterhin ihr Ding durchziehen. In "Trammel" hingegen konnten sich Spieler nur noch auf gegenseitige Einwilligung hin bekämpfen.

Die große Mehrheit der Teilnehmer entschied sich für optionale Gewalt. Die Wahlfreiheit lockte neue Spieler an und alsbald verzeichnete "Ultima Online" eine Viertelmillion Abonnenten. Es sollte dennoch nicht die letzte Krise sein, der sich das Team stellen musste.

Pionierarbeit

Die Gier einiger Spieler und Fehler, die das Duplizieren von Items ermöglichten, stürzte etwa die Ingame-Wirtschaft in eine Hyperinflation. "Goldfarmer" begannen damit, virtuelles Geld für echte Dollar auf der damals jungen Auktionsplattform eBay zu verkaufen und erhielten dabei teilweise sogar die Unterstützung von korrumpierten "Game Mastern", die eigentlich im Namen von Origin bei der Regeldurchsetzung und Communitypflege helfen sollten.

Vorbereitet war man darauf auf technischer Ebene nicht. Die virtuelle Wirtschaft ließe sich nicht vernünftig beobachten, weil die eigentlich vorhandenen Daten in Binärdateien des Backup-Servers schlummerten. Es dauerte Monate, ehe man Tools für das Monitoring entwickelt hatte, zwischenzeitlich behalf man sich mit dem Tracking von eBay-Preisen. Dort war Kurs für Ingame-Gold in kürzester Zeit spektakulär abgestürzt. Für einen Dollar konnte man ursprünglich 200 Gold erwerben, ein Jahr später waren es bereits 10.000.

Beim Versuch, die irrsinnigen Geldmengen wieder aus dem Wirtschaftssystem zu bekommen, ohne die spielerische Balance mit übermächtiger Ausstattung zu gefährden, provozierte Pionierarbeit. Computergesteuerte Händler boten auf einmal sündteure kosmetische Anpassungen des eigenen Charakters an. Wer mit greller Haarfarbe und eigentümlicher Frisur auffallen wollte, konnte dies nun – wenn auch zum Preis eines kleinen Schlosses. Heute sind derlei Individualisierungsmöglichkeiten bei vielen Onlinegames längst ein normaler Teil des Monetarisierungskonzeptes.

Ein Ort namens Britannia

Die Spielergemeinde ist seit diesen Tagen stark geschrumpft, viele Nutzer wanderten zu Games wie "World of Warcraft" ab. Doch ein harter und erstaunlich stabiler Kern ist geblieben. Was ihn hält, sind Nostalgie, gemeinsame Erlebnisse und Erinnerungen aus Jahrzehnten an Spielzeit. In Britannia haben Menschen nicht nur Häuser gebaut, Items gecraftet und Monster bekämpft. Sie haben sich auch kennengelernt, Freunde oder gar Partner gefunden und auch Verluste erlebt.

Für sie hat diese virtuelle Welt damit Qualitäten angenommen, die man oft nur mit realen Orten verbindet. Auch weil die Entwickler viele Stolpersteine in einem jungen Genre überwinden mussten und sich dabei nicht nur auf Technik verließen, sondern auch mit den Spielern Regeln für die Spieler aufstellten und ihnen Werkzeuge in die Hand gaben, um Probleme selbst in Angriff zu nehmen.

Im Vierteljahrhundert "Ultima Online" steckt ein Schatz an Erfahrungen, von dem auch die Schöpfer der Metaversen von morgen profitieren können. Am Ende, so resümiert "Technology Review", sind es menschliche Beziehungen, die virtuelle Welten am Leben erhalten. Es braucht aber freilich Bescheidenheit, um zu erkennen, dass eben nicht die eigenen Inhalte im Mittelpunkt des Erlebnisses stehen. (red, 21.2.2023)