Zwei Filme treten bei der diesjährigen Berlinale in einen Resonanzraum mit einem Dritten, der bereits letztes Jahr in Cannes gezeigt wurde: Marie Kreutzers Corsage. In dem jüngst wegen des von Florian Teichtmeister verkörperten Kaisers im Kreuzfeuer stehenden Film spielt Vicky Krieps eine Kaiserin, die zwischen Selbstbestimmung, Kontrollzwang und Narzissmus hin- und hergerissen ist und die doch alle lieben. Sie ist einfach zu schön, sie hat Stil und Charakter. Sie ist Prinzessin.

Vicky Krieps' Ingeborg Bachmann liebt es, von den Männern und insbesondere Max Frisch (Ronald Zehrfeld) bewundert zu werden. Dafür besitzt sie auch die passende Garderobe.

"Principessa" nennt der Komponist Hans Werner Henze seine angebetete Freundin Ingeborg in Margarethe von Trottas Biopic Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste. Der Film läuft heuer auf dem Wettbewerb der Berlinale. Die Luxemburgerin Vicky Krieps verkörpert darin erneut eine tragische österreichische Ikone. Ihre Ingeborg Bachmann ist eine mädchenhafte Prinzessin, schön und zart, vor allem aber elegant gekleidet. Von Szene zu Szene stehlen ein neues Kleid, eine neue Kette, neue Schuhe dem Film die Schau. Margarethe von Trotta inszeniert Bachmann als fragile Diva, als Mannequin. Dazu trägt die überwältigende Glätte der Bilder, die Perfektion der Kostüme, die Puppenhaftigkeit von Krieps bei.

Wenig Komplexität

Vicky Krieps besitzt die Sensitivität, sich einzufühlen in die Rolle der bedeutenden österreichischen Dichterin, aber sie ist nicht Bachmann. Krieps bleibt dann doch immer ihr charmantes Selbst. Ihr zur Seite steht Ronald Zehrfeld als Max Frisch. Auch er ist Charakterdarsteller, bekannt aus seinen Filmen mit Christian Petzold. Doch seine Rolle bleibt ebenfalls nur Oberfläche.

Das liegt nicht nur daran, dass er, wie Krieps auch, Bundesdeutsch spricht und damit der Sprache des Urschweizers Frisch schlicht nicht gerecht wird. Es liegt auch daran, dass Frischs Charakter doch um einiges komplexer war, als der Film zugeben will. Das offenbarten die Briefe des unglücklichen Paares, die letztes Jahr publiziert wurden – leider zu spät für die Entwicklung des Films. Wäre der Film ein anderer geworden, wenn von Trotta die Briefe gekannt hätte? Hoffentlich.

In Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste ist Frisch ein patriarchaler Biedermann, ein in die Schreibmaschine hackendes Arbeitstier, Bachmann eine glamouröse Gefallsüchtige, die an sich selbst, ihren Beziehungen, ihren Süchten, ihrem Perfektionismus scheitert. Doch die Liebe der beiden, die Komplexität ihrer Charaktere und Rivalität im Schreiben bleiben fern. Vielmehr geht es um eine Frau, die liebt, leidet und sich (scheinbar) befreit – womit man wieder bei Corsage und der Frage angekommen wäre: Ginge es auch ohne Principessa?

Der andere Sisi-Film

Ja, es geht. Das zeigt Sisi & Ich von Frauke Finsterwalder, eine weitere deutsche Produktion unter österreichischer Beteiligung in der Panorama-Sektion der Berlinale. Auch Finsterwalders Film trifft der Fluch der Informationslücken zu Drehbeginn. Er wurde zeitgleich mit Corsage entwickelt, die Veröffentlichung verzögerte sich wegen Covid. Finsterwalder hat Corsage nicht gesehen, und doch wird ihr Film im Schatten des erfolgreichen Vorgängers stehen. Zu ähnlich sind sich die Filme in ihrer feministischen Programmatik, ihrer poppigen Inszenierung, ihrer freien Interpretation.

"Sisi & Ich" von Frauke Finsterwalder inszeniert poppig und interpretiert frei.
DCM

Auf zweierlei Arten wirkt Sisi & Ich wie eine Fortsetzung von Kreutzers Film. Einerseits indem er dort einsteigt, wo Corsage endet, nämlich auf einer Reise nach Korfu, Sisis Feriendomizil. Andererseits tut er das, was sich so manche von Kreutzer gewünscht hätten: Er rückt die Beziehung der Kaiserin zu ihren Hofdamen ins Zentrum. Finsterwalder erzählt von ihrer Sisi durch die Perspektive einer ihrer letzten Hofdamen. Zwischen Masochismus und Komödie changierend werfen sich Sandra Hüller als schrullige Irma und Susanne Wolf als Bohemien-Sisi in ihrem letzten Lebensjahrzehnt die Bälle zu wie in einer Screwball-Komödie.

Die Klammer zu von Trottas Bachmann ist, dass auch Sisi und Irma unter dem Wüstenhimmel eine haschischberauschte Epiphanie erleben. Ein Kostümfilm ist Sisi & Ich ebenso, aber einer, der nicht auf Perfektion oder einen männlichen Blick setzt – der Film spielt fast nur unter Frauen –, sondern auf fließende Schnitte und Bequemlichkeit. Die Kleider sind schließlich der Webstoff zwischen den drei Filmen – und die Moral: Je loser die Taille, desto befreiter die Frau. (Valerie Dirk aus Berlin, 20.2.2023)