Gut wäre es, jetzt auch noch gleich den Stiftungsrat zu entpolitisieren, sagt der Kommunikationswissenschafter Josef Trappel im Gastkommentar.

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Einschalten? Umschalten? Die Finanzierung des ORF wird neu aufgesetzt.
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Was so ein Opernball alles auslösen kann! Gerade war Medienministerin Susanne Raab noch in der ORF-Ballübertragung zu sehen, schon legt sie am Morgen danach den Schalter um: Der ORF soll in Zukunft durch eine Haushaltsabgabe finanziert werden, als Ersatz für die vom Verfassungsgerichtshof im Sommer 2022 als teilweise rechtswidrig erkannte Rundfunkgebühr.

Das ist ein medienpolitisches Zugeständnis an die Vernunft. Und für ÖVP-Standards nichts weniger als eine Sensation. Wegen der bisher an den Tag gelegten Sturheit hatte sich der grüne Koalitionspartner schon verzweifelt ein halb gares Steuermodell aus den Fingern gesaugt, das mit einer Zweidrittelmehrheit im Nationalrat die Unabhängigkeit des ORF sichern sollte. Doch dann kam der Opernball. Und die überraschende Kehrtwende.

"Österreich läuft medienpolitisch den deutschsprachigen Nachbarn um viele Jahre hinterher."

Die Medienministerin tritt damit eine längst überfällige Grundsatzdebatte über den öffentlichen Rundfunk los. Österreich läuft medienpolitisch den deutschsprachigen Nachbarn um viele Jahre hinterher. Deutschland hat 2013 erfolgreich auf dieses Modell umgestellt, die Schweiz 2019. Seither bezahlen deutsche Haushalte pro Monat 18 Euro für die Leistungen der öffentlichen Veranstalter, die Schweizer 28 Euro, allerdings für ein viersprachiges Programm. Die Debatten waren in beiden Ländern heftig, haben sich unterdessen aber gelegt.

Niedrigere Gebühr

Kommt die Haushaltsabgabe in Österreich, käme die Gebühr in erster Annäherung tiefer zu liegen. Von den vier Millionen Haushalten in Österreich sind 300.000 aus sozialen Gründen von der GIS-Gebühr befreit. Der Finanzbedarf des ORF aus dem Gebührenaufkommen betrug 2022 rund 670 Millionen Euro. Damit würde jeden Haushalt in Österreich ein Anteil von jährlich 181 Euro treffen, also 15 Euro pro Monat. Mit Mehrwertsteuer, wenn sie denn in Zukunft erhoben wird, 16,50 Euro. Weniger als in Deutschland und der Schweiz.

Dass sieben der neun Bundesländer zwischen vier und sechs Euro zusätzlich als Landesabgabe einheben, kann dem ORF nicht angelastet werden. Ob diese Abgabe weiterhin bestehen bleiben soll, ist noch nicht entschieden. Noch billiger wird die Gebühr für jeden Haushalt, wenn die Gewerbebetriebe abgestuft nach Größe mitzahlen.

"Die Haushalte bekommen einen großen Wert und viel publizistische Leistung für diese 50 Cent pro Tag."

Die Entscheidung für die Haushaltsabgabe ist aus staatsbürgerlicher und aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht richtig. Das dahinterliegende Prinzip lautet: Die Bewohnerinnen und Bewohner sorgen kollektiv für eine gemeinschaftlich erwünschte Leistung. So wie bei den Schulen und den Parks: Egal ob wir Kinder haben und in die Schule schicken oder den Park für die Mittagspause, den Hundespaziergang oder gar nicht benützen, wir bezahlen gemeinsam dafür. Auch die öffentliche Sicherheit, die Landesverteidigung, den Nationalrat und das neue Parlamentsgebäude leisten wir uns, ohne deren Dienstleistungen individuell zu beanspruchen.

Richtig ist die Entscheidung auch, weil die österreichischen Haushalte einen großen Wert und viel publizistische Leistung für diese 50 Cent pro Tag bekommen. Leistung, die nicht einem Profitziel geschuldet ist, sondern die gesetzlich definiert und auch eingefordert wird. Wichtigste Leistung: Demokratiesicherung durch Information und Investigation. Noch besser könnte der ORF die Demokratie freilich schützen, würde die Medienministerin allen frisch gefassten Mut zusammennehmen und auch den Stiftungsrat des ORF radikal entpolitisieren. Das geht. In der Trägerschaft der Schweizer SRG SSR hat die Politik schlicht nichts verloren.

Gesetzlicher Auftrag

Der ORF liefert aber noch mehr: Programme für und über Kinder, Jugendliche, Angehörige von Minderheiten, er koproduziert österreichische Filme und hält damit die heimische Audiovisionskultur am Leben, er berichtet aus den und über die Bundesländer, über Kunst, Kultur und Wissenschaft. Nicht weil dem ORF das so gut gefällt, sondern weil die Menschen in Österreich ihn beauftragt haben, das zu tun. Es steht im ORF-Gesetz.

Die angestoßene Debatte über die Finanzierung des ORF schenkt der privaten Konkurrenz eine prächtige Gelegenheit, lauthals über die Wettbewerbsverzerrung zu schimpfen. Die Privaten argumentieren, sie müssten ihr Geld mühsam in den Märkten verdienen, während sich der ORF auf den hemmungslos fließenden Gebührenmitteln ausruhen könne. Zudem würde der ORF den Privaten ihr sauer verdientes Werbegeld in Radio, TV und Online absaugen.

Diese Argumentation steht auf tönernen Füßen. Vereinfacht dargestellt braucht marktwirtschaftlicher Wettbewerb den Preis als zentrales Regulativ. Ohne Preis kein funktionierender Markt. Das gängige Geschäftsmodell des privaten Rundfunks verzichtet aber auf den Konsumentenpreis. Kein Mensch bezahlt direkt für die Nutzung von Kronehit, ATV / Puls 24 oder Servus TV. Nur indirekt über die Preise der dort beworbenen Produkte. Für den ORF bezahlen die Menschen immerhin eine (unfreiwillige) monatliche Gebühr.

Powerplay "ORF-Rabatt"

Dass an der Haushaltsabgabe kein politischer Weg vorbeiführt, war Ministerin Raab vermutlich schon lange klar. Nun hat sie sich diese überfällige Entscheidung abkaufen lassen. Mit dem populistischen "ORF-Rabatt für die Gebührenzahler" hat sie auf Kosten der ORF-Leistungen politisches Kleingeld verdient. Dabei ist es gar nicht Aufgabe der Regierung, über das ORF-Budget zu entscheiden. Diese Befugnis liegt einzig und allein – und mit gutem Grund – beim Stiftungsrat des ORF. ORF-General Roland Weißmann hat offenbar sein Versprechen, mehrere Hundert Millionen Euro verteilt über mehrere Jahre einzusparen, taktisch gegen die Entscheidung für eine Haushaltsgebühr abgetauscht. So geht Medienpolitik in Österreich.

Will die Ministerin die monatlichen Kosten für die Haushalte wirklich senken, dann stehen sieben Landeshauptleute im medienpolitischen Ring, denen die Ministerin die Landesabgaben abknöpfen muss. Dabei kann man ihr nur gutes Gelingen wünschen. (Josef Trappel, 21.2.2023)