Im syrischen Idlib ist ein Spielplatz intakt geblieben, das Beben hat jedoch viele Häuser zerstört. Zwei Wochen nach der Katastrophe wollen viele Menschen die Region verlassen.

Foto: APA / AFP / Umar Hay Kadour

Für in Österreich lebende Angehörige von syrischen und türkischen Erdbebenbetroffenen mischt sich zwei Wochen nach der Katastrophe in die Trauer um Tote zunehmend auch Ratlosigkeit. Viele wollen ihre obdachlos gewordenen oder gar verletzten Familienmitglieder nach Österreich bringen.

Video: Zwei Wochen nach den verheerenden Erdbeben ist der Süden der Türkei von einem Nachbeben der Stärke 6,4 erschüttert worden. Die Provinz Hatay ist am schwersten betroffen.
DER STANDARD

Im Unterschied zu Deutschland und einer Reihe weiterer europäischer Staaten hat Österreich Visaerleichterung bei Bebenbetroffenen bis dato ausgeschlossen. Für Visa aus der Türkei oder Syrien gelten dieselben strengen Bedingungen wie immer.

Die Verfahren sollen jedoch beschleunigt werden. Auch soll verletzten Personen ein kostenpflichtiges Service von externen Visa-Dienstleistern zur Verfügung stehen. Sie müssen dann nicht mehr persönlich in der Botschaft oder im Konsulat vorsprechen. Seit dem Beben, also binnen 14 Tagen, haben laut Außenministerium rund 1.000 Personen in der Türkei einen Visumsantrag für Österreich gestellt – bezogen auf die Woche davor mit 450 Anträgen nur unwesentlich mehr.

Bruder und Schwester obdachlos in Pazarcik

"Mein Bruder und meine Schwester sind seit den Erdstößen obdachlos", schildert ein in Wien lebender Angehöriger mit Familie in Pazarcik in der von massiven Zerstörungen betroffenen Provinz Kahramanmaraş: "In ihre Wohnungen können sie nicht zurück, weil das Haus erst von außen begutachtet wurde und niemand weiß, wie gefährlich es drinnen ist." Verletzt seien die beiden zum Glück nicht.

In ihrer aktuellen Lage sei es Schwester und Bruder unmöglich, die Rahmenbedingungen für einen Visumsantrag nach Österreich – Terminvereinbarung vorab, pünktliches Erscheinen in der Vertretung in Istanbul oder Ankara – zu erfüllen. "Die Familie überlegt daher, eine Einreise über Deutschland zu probieren." Dort lebe ein Cousin. Für einen Visumsantrag für Deutschland können Bebenbetroffene, sobald sie alle Unterlagen zusammenhaben, ohne Terminvereinbarung in eine Zweigstelle des beauftragten Dienstleisters iData kommen.

Mutter ohne Dokumente in Rojava

Den Weg über Deutschland, um bei Angehörigen in der EU vorübergehend aufgenommen zu werden, wenn es auch dort Familienangehörige gibt, empfiehlt dieser Tage auch die grüne Wiener Abgeordnete Berîvan Aslan immer wieder. Vielfach sei aber auch das keine Möglichkeit.

Etwa im Fall einer älteren Frau in der syrisch-kurdischen Provinz Rojava, deren Kinder in Wien leben. Die Frau sei durch das Beben obdachlos und habe alle ihre Dokumente verloren. Ein Visumsantrag wäre für sie aber auch mit Papieren ein No-Go. Um den Antrag zu stellen, müsste sie Syrien, wo es keine zuständige österreichische Vertretung gibt, dazu erst Richtung Libanon oder Türkei verlassen.

Sorge um Frau und Kind, die Beben in Antakya erlebten

Keine Chance, seine Frau und seinen siebenjährigen Sohn nach Österreich zu holen, hat bis auf weiteres auch der 34-jährige Syrer Anas W. (Name der Redaktion bekannt). Frau und Kind haben das Beben im türkischen Antakya überlebt, das besonders stark getroffen wurde. Sie konnten jetzt vorübergehend in Ankara unterkommen.

Nach einem Asylantrag wurde W. vor einem halben Jahr in Österreich subsidiärer Schutz gewährt: ein erst einjähriger, dann auf zwei und anschließend auf drei Jahre verlängerbarer Aufenthaltstitel für Menschen, die zwar keine Asylgründe haben, deren Leben oder Unversehrtheit im Herkunftsstaat aber bedroht wäre.

EGMR: "Menschenrechtswidrig"

Das Problem dabei: Im Unterschied zu allen anderen EU-Staaten außer Dänemark können subsidiär schutzberechtigte Personen in Österreich ihre engsten Familienangehörigen erst nachholen, wenn sie ein dreijähriges Aufenthaltsrecht haben. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilte die dänische Regelung im Juli 2021 als menschenrechtswidrig. Österreich ist bis dato bei seiner geblieben.

Das lange Warten auf den Familienzusammenführungsantrag habe ihn schon bisher belastet, sagt W. Seit dem Erdbeben sei er Tag und Nacht um Frau und Kind besorgt. (Irene Brickner, 21.2.2023)