ORF-Generaldirektor Roland Weißmann muss den öffentlich-rechtlichen Tanker auf Kurs halten. Die Politik verlangt von ihm ein massives Sparprogramm.

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Den Job an der Spitze von Österreichs größtem Medienunternehmen hat sich Roland Weißmann vermutlich lustiger vorgestellt. Bereits in seinem zweiten Jahr als ORF-Generaldirektor zwingen ihn die Teuerungswelle und die Vorgaben der Politik, ein massives Sparpaket auf den Weg zu bringen. Die Stimmung am Küniglberg über den Dächern von Wien ist jedenfalls im Keller. Jobs wackeln, ganze Kanäle und Kulturinstitutionen könnten dem Rotstift zum Opfer fallen.

Aber Weißmann will das Positive hervorstreichen: Mit der geplanten Haushaltsabgabe sei die Finanzierung des ORF langfristig gesichert. Die versprochene Digitalnovelle soll den ORF zukunftsfit machen.

Bis Ende 2026 muss der ORF über 300 Millionen Euro einsparen. Den Pfad dorthin skizzierte Weißmann am Montag den ORF-Stiftungsräten in einer Sondersitzung des Finanzausschusses. Der Beschluss soll jedenfalls in der nächsten Sitzung des Stiftungsrats am 23. März fallen. Gesprächsbedarf gibt es bis dahin noch viel, Proteste sind vorprogrammiert. "Wir sind am Anfang eines Prozesses", sagte Weißmann.

Sport und Kultur

Zur Disposition stehen Aktivitäten, die der ORF nicht zwingend erfüllen muss, um seinem öffentlich-rechtlichen Auftrag zu entsprechen, präzisierte Weißmann im Anschluss an die Sitzung. Wie berichtet, wird es etwa dem Spartensender ORF Sport Plus als Rundfunkprogramm an den Kragen gehen, dem Radio-Symphonieorchester (RSO) droht das Aus, die Streamingportale Flimmit (Fernsehen) und Fidelio (Musik) stehen vor der Einstellung. Der aufwendige GIS-Apparat, der die Gebührengelder eintreibt, dürfte deutlich schrumpfen.

"Wir haben uns über einige Jahre bemüht", sagte Weißmann über Flimmit und Fidelio. Die Portale seien aber "kein öffentlich-rechtlicher Kernauftrag". Die Inhalte von Fidelio und Flimmit sollen aber künftig auf anderen Plattformen angeboten werden – etwa dem ORF-Player. Das soll über die Digitalnovelle ermöglicht werden.

Schlankere GIS

Mit einer Umstellung von gerätegebundener Gebühr hin zu geräteunabhängiger Haushaltsabgabe fallen die Kontrollbesuche von GIS-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern der ORF-Gebührentochter weg. Damit sinkt wohl der finanzielle Aufwand. Das ORF-Tochterunternehmen werde es in der gegenwärtigen Größe nicht mehr geben, so Weißmann. Sie werde "deutlich redimensioniert". Denkbar sei, dass die Haushaltsabgabe vom gleichen Unternehmen eingehoben oder eine neue Gesellschaft gegründet werde, die auf Expertinnen und Experten der GIS setze, sagte Weißmann. Auch die gegenwärtige mit dem ORF-Programmentgelt eingehobene Länderabgabe könnte weiterhin von der GIS eingehoben werden. Ob es auch so sein wird, liegt beim Gesetzgeber.

Die Sparwelle wird auch am Personal nicht spurlos vorübergehen. In den nächsten Monaten gehen 500 ORF-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter in Pension. Nicht alle Stellen dürften nachbesetzt werden, und wenn dann mit deutlich günstigeren Beschäftigten. Seit dem Jahr 2007 wurden bereits 900 Mitarbeiter abgebaut, betonte Weißmann.

Inhalte von ORF Sport Plus in ORF 1

ORF Sport Plus fungiert derzeit als wichtige Bühne für Randsportarten, soll aber künftig nur noch im Digitalen auf Sendung gehen. Die budgetären Aufwendungen bewegen sich pro Jahr im hohen einstelligen Millionenbereich. Ein Teil der Sportübertragungen soll sich aber im Tagesprogramm von ORF 1 wiederfinden und damit sogar mehr Reichweite generieren. Laut ORF-Gesetz ist der Kanal nur "nach Maßgabe der wirtschaftlichen Tragbarkeit" zu betreiben und könnte ohne Gesetzesänderung gestrichen werden.

"Wir werden den Breitensport weiter featuren. Die Budgetmittel werden wir transferieren", sagte Weißmann. Sport aus Österreich könnte in ORF 1 zumindest teilweise das US-serienlastige Nachmittagsprogramm verdrängen, das schon lange für Kritik sorgt. Ob "Malcom Mittendrin" oder "Big Bang Theory", Österreich-Programm sieht anders aus. Und die US-Serien sind war in der Wiederholung und Endlosschleife billig, aber keine Quotenbringer. Sie kommen im Normallfall nicht über Marktanteile zwischen vier und sechs Prozent hinaus, was deutlich unter dem Tagesschnitt liegt. ORF 1 erreichte im Jänner 2023 13 Prozent.

Nicht zur Disposition steht ein weiterer Spartenkanal: ORF 3 werde bleiben, versicherte Weißmann.

Für das ORF Radio-Symphonieorchester (RSO) mit seinen Dutzenden Musikerinnen und Musikern wird es hingegen eng. Das renommierte Orchester befindet sich auf der Liste mit Einsparungen. Wir werden jede Maßnahme unterstützen, damit es in Zukunft weitergeführt werden kann", so Weißmann. Es sei aber klar, dass der ORF es mit Stand heute nicht finanzieren könne.

Haushaltsabgabe statt GIS

Das Sparprogramm des ORF ist Bedingung der Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) für eine künftige ORF-Finanzierung und eine Digitalnovelle, die dem ORF mehr Spielraum im Digitalen gibt. Eine langjährige Forderung des ORF ist beispielsweise, dass ORF-Inhalte nicht bereits nach sieben Tagen aus der TVThek verschwinden müssen, sondern länger verfügbar sein sollen. Inhalte sollen auch Online Only produziert werden dürfen.

Am Freitag hat Raab erstmals offiziell bestätigt, dass sie eine sogenannte Haushaltsabgabe statt der GIS möchte. Eine Änderung ist notwendig, da der Verfassungsgerichtshof im Juni 2022 entschieden hatte, dass GIS-freie Streamingnutzung verfassungswidrig sei. Die schwarz-grüne Regierung hat bis Ende des Jahres Zeit, die ORF-Finanzierung auf neue Beine zu stellen. Die Zeit drängt, viele Punkte sind offen.

676 Millionen Euro pro Jahr aus Gebühren

Derzeit nimmt der ORF 676 Millionen Euro im Jahr aus der GIS ein, also ohne Streaminghaushalte. Mit dieser heutigen Finanzierungsbasis prognostizierte der ORF Verluste von 70 bis 130 Millionen Euro pro Jahr ab 2024. Wie hoch die Einnahmen mittels Haushaltsabgabe sein werden, ist Gegenstand von Verhandlungen. Für den ORF könnte sich ein leichtes Plus im Vergleich zur jetzigen Regelung ausgehen. Der Kreis der Zahlerinnen und Zahler dürfte auf rund vier Millionen Haushalte erweitert werden, allerdings soll es weiter Gebührenbefreiungen für Einkommensschwache geben.

Kolportiert, aber nicht bestätigt, wird eine monatliche Gebühr von rund 16,50 Euro. Auch Weißmann wollte keine Zahlen nennen. Der ORF erhält mit der derzeitigen Regelung 18,59 Euro aus dem Programmentgelt. Der Bund und die Bundesländer holen sich über die GIS-Gebühr ein Zubrot, das bis zu 6,20 Euro – wie in der Steiermark – beträgt. Oberösterreich und Vorarlberg verzichten als einzige Bundesländer auf eine Länderabgabe.

Thomas Zach, Freundeskreisleiter der ÖVP-nahen Stiftungsräte, sieht die Haushaltsabgabe als "wichtigen, wen nicht sogar den wichtigsten Meilenstein der letzten zehn Jahre". Die Regelung sei eine Weichenstellung für eine nachhaltige Finanzierung des ORF und gewährleiste die "größtmögliche Unabhängigkeit von der Politik". Der ORF müsse ausreichend finanziert sein und sich im digitalen Bereich bewegen können. "Wir brauchen das für die Relevanz."

SPÖ-Stiftungsrat kritisiert "Basarmentalität"

SPÖ-Stiftungsrat Heinz Lederer kritisiert eine "Basarmentalität" und das "erpresserische Spardiktat", das Medienministerin Susanne Raab dem ORF auferlege. Unabhängigkeit von der Politik sähe anders aus. "Eine Budgetfinanzierung hätte auch nicht ärger sein können", so Lederer. Die SPÖ-nahen Stiftungsräte werden jene der Grünen jedenfalls daran erinnern, was es für die Sport- und Kulturnation Österreich bedeute, wenn etwa Sport Plus und das Radio-Symphonieorchester (RSO) sowie Flimmit und Fidelio gestrichen würden. "Es kann nicht sein, dass die Grünen wieder wegschauen", sagt Lederer und verweist etwa auf die "Wiener Zeitung", wo eine Armada an Kulturschaffenden gegen die Reformpläne der Regierung protestiert.

Neos-Stiftungsrätin fordert Entpolitisierung

Für eine Haushaltsabgabe spricht sich Anita Zielina, von den Neos entsandte Stiftungsrätin, aus. Sie sei "auch im internationalen Vergleich gesehen, die vernünftigste und nachhaltigste Lösung". Sie kritisiert aber: "Ich hätte mir gewünscht dass die Gelegenheit genutzt wird die Länderabgaben von der ORF-Finanzierung zu entflechten, diese haben nichts mit öffentlich-rechtlichem Rundfunk zu tun. Außerdem ist die Reform der ORF-Gremien, namentlich des Stiftungsrates, überfällig." Die Neos pochen schon lange auf eine Entpolitisierung. Die ÖVP zeigt daran kein Interesse, hat sie doch eine absolute Mehrheit im ORF-Stiftungsrat.

"Verzichtbar und höchst gefährlich finde ich die Kompetenzüberschreitungen der Politik, mit offensichtlich rein Boulevard-orientierten Schlagworten den ORF zu radikalen Sparkursen aufzufordern", sagt Zielina zum STANDARD. Medienministerin Susanne Raab ließ wiederholt in der "Kronen Zeitung" ihr Mantra vom "ORF-Rabatt" verlauten. Der ORF müsse mit Steuergeld maßvoll umgehen: "Allerdings muss man sich bewusst sein: Österreichs Demokratie braucht einen starken, unabhängigen, politik-fernen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, und es ist ein hartnäckiger Irrglaube der privaten Marktteilnehmer und Lobbyisten, dass eine Beschneidung des ORF primär ihnen nutzen wird." (Oliver Mark, 20.2.2023)