Der großflächige metallene Rohbau des Dachs von Kastner & Öhler konterkariert die historische Dachlandschaft. Das Provisorium könnte noch Jahre so bleiben.

Foto: Walter Müller

"Österreichs schönstes Modehaus" – so steht's auf der Homepage des Grazer Einkaufstempels Kastner & Öhler.

Und tatsächlich: Die internationale Association for Retail Environment hat das Grazer Modehaus 2011 "mit seiner herausragenden historischen Architektur in zeitgemäßem Gewand", wie es hieß, mit dem Oscar der Handelsbranche als "department store of the year" ausgezeichnet.

Die Historie des Warenhauses ist ja einigermaßen abenteuerlich. Der Buchhalter Carl Kastner und der Verkäufer Hermann Öhler gründen am 1. April 1873 in Troppau – heute Opava in Tschechien – die "Kurzwarenhandlung Kastner & Öhler". Sie waren auch in Zagreb umtriebig, und irgendwann verpasst Carl Kastner in Graz den Anschlusszug und findet bei einer Erkundungstour durch die Stadt ein freies Geschäftslokal – Sackstraße 7 – und mietet dieses sofort an. Es ist das heutige Grazer Stammhaus. Die Galerien reichten über drei Stockwerke, die mit Liften erreichbar waren. Das edle Warenhaus passte ideal in das historische Ambiente der engen, alten Gassen und Straßen der Grazer Altstadt.

1999 wurde diese Altstadt wegen des außergewöhnlich gut erhaltenen Stadtkerns zum Unesco-Weltkulturerbe erklärt. Der historische Stadtkern sei das "Spiegelbild einer jahrhundertelangen Verbindung von künstlerischen und architektonischen Bewegungen, die ihren Ursprung im deutschen und mediterranen Raum und am Balkan fanden", heißt es in der Begründung.

Die architektonische Besonderheit von Graz wird unter anderem wegen der Dachlandschaft mit ihrer roten Ziegeldeckung der kleinflächigen Giebeldächer gewürdigt. Und da beginnt nun das Problem.

2010 wurde nach langer Umbauzeit der neue, später ausgezeichnete Kastner & Öhler eröffnet – mit einer großflächigen Neugestaltung der Dachzone.

Das Versprechen

Das Unternehmen gab das Versprechen ab, das Dach der historischen Umgebung anzupassen – was bis heute aber nicht geschah. Die metallisch glänzende Dachkonstruktion thront nach wie vor in der umliegenden alten, roten Ziegeldachlandschaft, ein architektonischer Schandfleck.

Jahrelang drängte die Stadt das Unternehmen, die Sache endlich zu korrigieren. Mal waren es finanzielle Gründe, mal argumentierte man bei K & Ö, es müssten noch Materialproben für die Umkleidung ausgewertet werden. Aktuell war im Unternehmen niemand zur Causa erreichbar.

Die Stadt wollte jedenfalls 2019 per Bescheid vorschreiben, dass das Dach binnen eines Jahres fertig sein müsse. K & Ö beeinspruchte die Fristsetzung – und bekam vom Verwaltungsgerichtshof recht. Die Stadt könne dem Modehaus nicht vorschreiben, wann das Dach fertigzustellen sei. Das steiermärkische Baugesetz schreibe explizit kein zeitliches Limit vor, bis wann ein einmal genehmigtes Bauwerk vollendet sein müsse.

Unesco

Schon 2016 drohte die Unesco, die Innenstadt von Graz wegen des unvollendeten Daches auf die rote Liste zu setzen. Bei der österreichischen Unesco-Kommission in Wien heißt es auf STANDARD-Nachfrage aktuell, der gesamte Umbau sei de facto noch nicht fertig, daher könne auch noch nichts entschieden werden. Das jetzige halbfertige Dach könne theoretisch weitere zehn, 15 Jahre oder länger so bestehen bleiben, solange eben das Bauwerk als nicht fertig gelte.

"Erst wenn es beginnt, international sauer aufzustoßen, kann das Dach sehr in Diskussion geraten", heißt es.

Vizebürgermeisterin Judith Schwenter (Grüne) bleibt trotz allem optimistisch: "Generell ist die Problematik des Daches eine der vielen nicht erledigten Erblasten der Vorgängerregierung, die durch die wirtschaftliche Situation der letzten Jahre verschärft wurde. Ich bin aber nach mehreren konstruktiven Gesprächen sehr zuversichtlich, dass wir heuer in die erste Umsetzung des Kastner-Daches gehen werden." (Walter Müller, 21.2.2023)