Putin sprach fast zwei Stunden lang.

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Er wirkte sehr selbstsicher, Russlands Präsident Wladimir Putin. Viele Angriffe auf den Westen, viele Versprechungen an die Bevölkerung. Russland first, alles wird gut – der russische Präsident ist im Wahlkampfmodus. In fast genau in einem Jahr findet die Präsidentschaftswahl statt.

Putins Rede als Video: Westen will Russland "ein für alle Mal erledigen"
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Ganz zum Schluss seiner Rede zur Lage der Nation am Dienstag dann allerdings doch noch eine brisante Nachricht: "Die Situation nach 1945 hat sich verändert. Es ist inakzeptabel, die US-Weltordnung in ihren eigenen egoistischen Interessen umzugestalten. Unter diesen Bedingungen muss ich erklären, dass Russland seine Teilnahme am Start-Vertrag aussetzt." Der New-Start-Vertrag ist einer der wichtigsten Abrüstungsverträge. Er wurde 2010 in Prag unterzeichnet, trat 2011 in Kraft und wurde 2021 unmittelbar nach dem Amtsantritt von US-Präsident Joe Biden um weitere fünf Jahre verlängert. Der Vertrag begrenzt die Zahl der strategischen Atomsprengköpfe, die die USA und Russland stationieren können.

Video: Das New-Start-Abkommen sei schon seit einigen Monaten in der Krise, so Politikwissenschafter Gerhard Mangott. Mit dem Aussetzen würden jetzt keine Daten mehr ausgetauscht werden.
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Drohung in Richtung der USA

Die Aussetzung des Vertrags ist eine Drohung in Richtung der USA. Sogar neue Atomtests hält der russische Präsident für möglich. "Wenn die USA die Tests durchführen, werden wir das auch tun." Putin kündigte zudem eine Modernisierung der russischen Armee an. "Der Ausstattungsgrad der nuklearen Abschreckungskräfte Russlands mit neuesten Systemen beträgt jetzt 91,3 Prozent", sagte er in seiner Rede.

Der Westen wolle Russland "ein für alle Mal erledigen", so Putin in seiner Rede zur Lage der Nation. Russland werde aber seine Offensive in der Ukraine "sorgfältig und systematisch" fortsetzen. Für die Eskalation des Ukraine-Konflikts machte Putin den Westen verantwortlich. Der russische Präsident hob hervor: "Die Verantwortung für das Schüren des Ukraine-Konflikts, für seine Eskalation, für die vielen Opfer (...) liegt voll bei den westlichen Eliten." Dabei wiederholte er auch seinen Vorwurf, dass der Westen in der Ukraine neonazistische Kräfte unterstütze, um dort einen antirussischen Staat zu etablieren.

Dank an das russische Volk

Vor geladenen Gästen aus den politischen Eliten und Soldaten, die in der Ukraine gekämpft haben, dankte Putin "dem ganzen russischen Volk für seinen Mut und seine Entschlossenheit". Und er warnte vor dem Hintergrund der Unterdrückung jeglicher Kritik am Ukraine-Einsatz und am Kreml in Russland, dass "Verräter" zur Rechenschaft gezogen würden.

"Russland ist ein offenes Land, aber gleichzeitig eine unverwechselbare Zivilisation", sagte Putin. "Es wurde uns von Vorfahren übergeben, und wir müssen es bewahren und an die Nachkommen weitergeben. Wir werden uns auf unsere Traditionen und unsere Werte stützen." An mehreren Stellen bezog sich der Präsident auf die Sowjetunion. Bildung, Kultur, Wirtschaft sollen sich in Russland vom Westen abwenden und sich auf neue Werte stützen. Mit Blick auf die internationalen Sanktionen gegen Russland äußerte Putin die Ansicht, dass der Westen "nichts erreicht hat und nichts erreichen wird".

Der Strukturwandel in der russischen Wirtschaft infolge des Krieges sei längst überfällig gewesen, so Putin. Er begrüßte das Ende der Abhängigkeit russischer Unternehmen vom Westen. Eine solche Abhängigkeit sei gefährlich. Die Firmen sollten mehr zu Hause in Russland investieren. Kein einfacher Russe bedauere es, dass die Zeiten, in denen reiche Russen Yachten und Paläste im Westen als sichere Häfen gekauft hätten, vorbei seien, fügt Putin hinzu. (Jo Angerer aus Moskau, 21.2.2023)