Sarah Alabi hat ihre Entscheidung schon lange vor dem 25. Februar getroffen. "Der nächste Präsident heißt Peter Obi", ist die 35-Jährige, die in der Megacity Lagos lebt, überzeugt. Als Selbstständige verkauft sie Parfum und SIM-Karten – das Geschäft ist mühselig wie nie zuvor. Die Inflationsrate liegt bei knapp 22 Prozent.

Unter den jungen Wählerinnen und Wählern in Nigeria ist die Hoffnung verbreitet, dass der Kandidat Peter Obi das Land aus der Krise führen kann.
Foto: KOLA SULAIMON / AFP

Vor allem aber hat niemand unter den 220 Millionen Nigerianern und Nigerianerinnen noch Bargeld. Die Regierung unter dem scheidenden Präsidenten Muhammadu Buhari, der nach acht Jahren an der Macht nicht mehr antreten darf, entschied vergangenes Jahr, neue Naira-Scheine einzuführen. Für den Wechsel setzte sie lediglich sechs Wochen an und verlängerte die Frist dann bis zum 10. Februar. Doch der "Naira swap" missglückte gründlich. Es gibt kaum neue Banknoten in einem Land, in dem nicht einmal jeder zweite Volljährige ein Konto hat. Vereinzelt gab es Tumulte. Millionen Menschen können weder Essen kaufen noch Rechnungen bezahlen.

Sarah Alabi ist sicher: Unter Peter Obi wird das besser. "Er wird für uns den richtigen Weg einschlagen. Die bisherigen Präsidenten haben unsere Erwartungen nicht erfüllt." Um ihre Sympathien zu unterstreichen, trägt sie ein T-Shirt in Grün und Orange, den Farben von Obis Labor Party (LP), und verbringt einen ganzen Samstag auf dem Tafawa Balewa Square im Zentrum von Lagos.

Hier findet der größte Wahlkampfauftritt ihres Lieblingskandidaten statt. Sarah Alabi sieht ihn zum zweiten Mal. "Ich bin aufgeregt und freue mich sehr darauf."

Jung und Internet-affin

In zahlreichen – nicht repräsentativen – Umfragen und in sozialen Netzwerken wirkt es, als habe Obi längst gewonnen. Das liegt daran, dass seine Unterstützer und Anhängerinnen jung und Internet-affin sind. Für sie ist der 61-Jährige der "junge Kandidat", der mit seiner wirtschaftsliberalen Einstellung die Volkswirtschaft vom "Konsumenten zum Produzenten" umwandelt. Bei seinem Auftritt in Lagos – kurze, markante Reden und viel Musik sind gut auf das Publikum abgestimmt – gibt es dafür viel Applaus.

Obi, der ein markantes schwarzes Brillengestell trägt, war einst der jüngste Vorsitzende der nigerianischen Fidelity Bank. Von 2007 bis 2014 war er Gouverneur im Bundesstaat Anambra, wo er damals ein Amtsenthebungsverfahren überlebte. Es wird kolportiert, dass er im Dauerstreit mit dem Landesparlament gelegen habe.

Auch wechselte er mehrfach die Partei – in Nigeria nicht unüblich – und kam als Wirtschaftsliberaler eher zufällig zur Labor Party. Eigentlich wollte er als Spitzenkandidat für die People’s Democratic Party (PDP) ins Rennen gehen, unterlag in der Vorwahl jedoch Atiku Abubakar.

Die bisher unbedeutende Labor Party erkannte sofort, welch gutes Zugpferd sie mit einem Mal hatte. Sollte er tatsächlich gewählt werden, würde er aber ein Präsident ohne Mehrheiten sein. Die Politik der Basis bestimmen neben der PDP vor allem der All Progressives Congress (APC), dem Noch-Amtsinhaber Buhari angehört.

Protest gegen Polizeigewalt

Die derzeitige Popularität Obis ist mit einem der düstersten Ereignisse der vergangenen Jahre verbunden: den #EndSARS-Protesten im Oktober 2020. Vor allem junge Menschen seien von der Brutalität der Polizei-Sondereinheit gegen Einbrüche (SARS) betroffen gewesen, sagt die Juristin, Menschenrechts- und Umweltaktivistin Aderonke Ige. "#EndSARS wurde zu einer Bewegung, die die Wut und Unterdrückung der jungen Generation zum Ausdruck brachte."

Landesweit forderten Tausende friedlich ein Ende der Polizeigewalt, und zwar unabhängig von Konfession, Ethnie und sozialer Klasse. In einem Land, in dem der Staat häufig abwesend ist, schafft ansonsten genau das Identifikation. Obi stellte sich früh hinter die Demonstranten.

Dutzende Tote

Dann griff das Militär ein und erschoss Dutzende – die Situation geriet komplett außer Kontrolle. Dieses tragische Ereignis habe, so Aderonke Ige, dazu geführt, dass sich junge Menschen erstmals mit Politik befassen und sich als Machtfaktor begreifen. Mehr als elf Millionen ließen sich ins Wählerregister aufnehmen. "Viele sagen: Wenn wir euch nicht auf der Straße kriegen, dann an der Wahlurne", so die Juristin.

Es ist nicht nur die Wut über die Brutalität der staatlichen Sicherheitskräfte. Die alte politische Elite hat endgültig den Kontakt zur jungen Generation verloren. Chancenreicher als Obi sind Atiku Abubakar (76) und vor allem Bola Tinubu (70), der als Pate von Lagos bezeichnet wird. Beide sind Millionäre, immer wieder gab es Korruptionsvorwürfe.

Mit gleich drei landesweit bekannten Kandidaten ist der Ausgang nun so offen wie nie zuvor. Sonst machten stets zwei das Rennen unter sich aus. Das gilt als Stärkung der Demokratie.

Hoffnung auf Einigkeit

In der Hauptstadt Abuja erwartet Hamzat Lawal, Gründer der nichtstaatlichen Organisation Connected Development, die Wahl mit großer Spannung. Besorgniserregend sei allerdings die anhaltende Gewalt. Betroffen ist nicht nur der Nordosten, woher die Terrorgruppe Boko Haram stammt, sondern auch der Nordwesten. Dort entführen bewaffnete Banden regelmäßig Menschen, um Lösegeld zu erpressen. Mitunter ist das Szenario extrem düster. Nach der Ergebnisbekanntgabe könnte es zu Ausschreitungen kommen.

Lawal ist optimistischer: "Die Menschen sind sehr widerstandsfähig und wollen, dass Nigeria auch nach diesen Wahlen eins bleibt." (Katrin Gänsler aus Lagos und Abuja, 22.2.2023)