Ein breites Bündnis aus Politikern, Experten und Unternehmern stellt sich gegen den Mainstream der Neutralitätsdebatte. In einem offenen Brief kritisiert es die "Illusion (...), Österreich könne so bleiben, wie es ist, sich heraushalten und mit etwas mehr Geld für das Bundesheer das Auslangen finden". Unterzeichnet haben Othmar Karas (ÖVP), Heinrich Neisser (ÖVP), Herbert Scheibner (FPÖ), der SPÖ-nahe Berater Rudi Fußi, Irmgard Griss, Bankmanager Andreas Treichl und Antonella Mei-Pochtler. Verteidigungsministerin Klaudia Tanner und Europaministerin Edtstadler wollen die Neutralität aber nicht anrühren.

Europaministerin Karoline Edtstadler: "Nichts ist mehr so, wie es war."
Foto: EPA/Hoslet

"Österreich verdient die Wahrheit: Der jetzige Zustand ist unhaltbar und gefährlich. Wir bestehen deswegen weiterhin auf unseren Minimalforderungen: eine ernsthafte, gesamtstaatliche, ergebnisoffene Diskussion über die außen-, sicherheits- und verteidigungspolitische Zukunft Österreichs sowie die Verabschiedung einer neuen Sicherheitsdoktrin, die den geänderten Umständen Rechnung trägt", heißt es in Hinblick auf einen ersten offenen Brief im vergangenen Frühjahr. In diesem hatten sie eine "Debatte ohne Scheuklappen" über die Neutralität gefordert, "geleitet durch eine vom Bundespräsidenten eingesetzte unabhängige Expertengruppe" und unter breiter Beteiligung der Bevölkerung. Dies solle dann zum Beschluss einer neuen österreichischen Sicherheitsdoktrin führen.

Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) trat dem Vorwurf entgegen, man habe sich einer Sicherheitsdebatte verweigert. "Das Gegenteil ist der Fall", verwies sie in der Tiroler Tageszeitung auf die unmittelbar nach dem Kriegsausbruch gefassten Beschlüsse zur besseren Ausstattung des Bundesheeres. "Wir befassen uns laufend mit Sicherheitspolitik. Weil eines stimmt jedenfalls: Die Neutralität allein – auch nicht die militärische – ist kein Schutzschild", sagte sie. Zugleich bezeichnete sie die militärische Neutralität in der jetzigen Kriegssituation als "die absolut richtige Antwort".

Edtstadler: Neutralität identitätsstiftend

"Wir sind uns alle einig, dass seit dem 24. Februar letzten Jahres nichts so ist, wie es vorher war", erklärte am Dienstag Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP). Es sei "evident, dass nicht nur Österreich, sondern auch die Europäische Union ständig darüber nachdenkt, wie wir darauf reagieren", sagte sie in Brüssel. "Unzählige Staaten", darunter auch Österreich, hätten ihr Verteidigungsbudget erhöht, und auf EU-Ebene werde mit dem "Strategischen Kompass" eine bessere Zusammenarbeit in diesem Bereich forciert. "Wir sind uns dessen schmerzlich bewusst, dass die Sicherheitsarchitektur Österreichs, aber auch Europas neu gedacht werden muss, und wir sind da auch nachhaltig dran".

Die Neutralität aber "war identitätsstiftend, ist es und wird es sein", betonte Edtstadler Dienstagabend in der "ZIB 2". Daher unterstütze man die Ukraine auch nicht militärisch. Wenn andere Länder Waffen liefern, "enthalten wir uns konstruktiv", man stehe dem nicht im Wege. Mit Blick auf die EU-interne militärische Beistandspflicht meinte die Ministerin, im Fall des Angriffs auf ein EU-Land müsse man von Fall zu Fall entscheiden. (red, 21.2.2023)