Der schnellste Mensch über 400 m Hürden ist ein Norweger: Karsten Warholm.

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Johannes Thingnes Böe, Norweger und 17-facher Weltmeister im Biathlon.

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Johannes Hosflot Klaebo, Norweger und präsumtiver Star der WM in Planica.

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Stine Bredal Oftedal ist der Star der Handballweltmeisterinnen aus Norwegen.

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Und Fußballsuperstar Erling Haaland gibt es auch noch.

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Er steht unübersehbar nahe der Loipen in Planica, der Truck des norwegischen Langlaufteams bei der nordischen WM – ein als Tieflader getarnter Tresor, in dem die Geräte lagern und präpariert werden, auf denen zu Medaillen gelaufen werden wird in den kommenden zwei Wochen – unweigerlich zu Medaillen gelaufen werden wird. Nicht zuletzt Langläuferinnen und Langläufer haben dafür gesorgt, dass Norwegen bei den zwölf vergangenen Nordischen Weltmeisterschaften stets die Medaillenwertung für sich entschieden hat. Kein Wunder, der Langlauf ist samt seiner bewaffneten Variante Biathlon Volkssport im 5,5 Millionen Einwohnerinnen zählenden Land.

Und dennoch gewann in Petter Northug zuletzt 2015 ein Langläufer die Wahl zum norwegischen Sportstar des Jahres. Zehn Jahre zuvor kam die unvergleichliche Marit Björgen als bisher letzte Langläuferin zu dieser Ehre. Auf Northug folgten die Fußballerin Ada Hegerberg sowie die Leichtathleten Karsten Warholm (dreimal) und Jakob Ingebrigtsen (zweimal). Nur Erling Haaland konnte die Herrschaft der beiden Lauf-Olympiasieger unterbrechen.

Vielseitigkeit

Norwegen ist eben nicht auf seine Nordischen, oder auch die Alpinen zu reduzieren, die zuletzt bei der WM in Frankreich die meisten Medaillen gewannen und deren Güte nach Platz zwei hinter der Schweiz belegten. Aus einem Reservoir an Menschen, das etwas mehr als halb so groß wie jenes Österreichs ist, kommen Sportstars aus vielen Bereichen. Ganz abgesehen von Haaland, dem teuersten Fußballer, und Magnus Carlsen, dem besten Schachspieler der Welt. Bei den Olympischen Sommerspielen 2021 in Tokio holte Norwegen viermal Gold und je zweimal Silber und Bronze – gemessen an der Bevölkerung war nur die Laufnation Jamaika erfolgreicher. Bei den Winterspielen in Peking war Norwegen überlegener Sieger der Medaillenwertung vor Deutschland und China.

Und nicht einmal im Winter spielen die Ressourcen die entscheidende Rolle. Zwar siegen im Langlauf und Biathlon auch die eingesetzten norwegischen Kronen, im Skispringen etwa stehen aber andere Nationen deutlich besser da. Das kann der Tiroler Alexander Stöckl bezeugen, der Trainer der norwegischen Männer, die in Halvor Egner Granerud einen der hohen Favoriten für die Einzelspringen der WM in Planica stellen.

Der Hunger auf den Erfolg

Lediglich sieben Springer und fünf Springerinnen erhalten laut Stöckl in Norwegen tatsächlich Verbandsförderungen in nennenswertem Ausmaß. In Österreich sind dagegen rund 30 Männer und 20 Frauen finanziell sorglos genug, um sich ganz auf ihren Sport konzentrieren zu können. "Der norwegische Spitzensportler ist in höherem Ausmaß Amateur", sagt Stöckl und meint damit nicht nur seine Sparte. Es gebe nicht wenige Athleten, die arbeiten gehen müssen, um sich ihren Sport überhaupt leisten zu können.

Die Gefahr einer gewissen Saturiertheit ist in diesem System nicht gegeben. Sportlerinnen leben fast ausschließlich von privaten Sponsoren gut, in vielen Bereichen dürfen die allerdings gar nicht präsent sein. Der Skiverband beansprucht zum Beispiel alle relevanten Werbeflächen für sich. Wer dagegen aufbegehrt – wie kurzzeitig Skistar Henrik Kristoffersen – ist nicht sonderlich wohlgelitten.

Outdoor-Menschen

Experten wie Stöckl oder Werner Schuster, der in Stams lehrende ehemalige Cheftrainer der deutschen Skispringer, verweisen auch auf die grundsätzliche Einstellung zum Sport. "Die Norweger sind Outdoor-Menschen", sagt Schuster. Auch Betreuerinnen der kleinsten Kinder seien verpflichtet, ihre Schützlinge täglich in die Natur zu bringen – ungeachtet des Wetters. Die Diskussion über die tägliche Turnstunde wäre in Norwegen niemandem begreiflich zu machen.

Die Menschen suchen das Naturerlebnis, sagt Schuster. Das sei in einem Land, in dem jeder Frau, jedem Mann theoretisch rund sieben Hektar Fläche zur Verfügung stehen, aber auch einfacher zu finden als im dichtbesiedelten Mitteleuropa. Der Verstreutheit steht ein hoher Organisationsgrad in nahezu 12.000 Multisportvereinen gegenüber, die auf insgesamt nahezu drei Millionen Mitglieder kommen.

Kompetenz-Zentrum

Aus den Vereinen kommen die Talente, die dann in einigen wenigen Zentren an die Spitze geführt werden. Über allen steht Olympiatoppen, ein Gebäudekomplex oberhalb Oslos, in dem Hochleistungssport disziplinenübergreifend gefördert wird. Dort treffen einander Kapazunder wie Johannes Hosflot Klaebo, der beste Langläufer der Gegenwart, und Karsten Warholm, der weltweit schnellste Läufer über 400 m Hürden, wenngleich der Wintersport die Hoheit hat. "Dort tauschen sich alle Fachkräfte aus, dort ist das gesamte Know-how gebündelt", sagt Skisprungtrainer Stöckl. Expertinnen und Experten für Nachwuchsförderung, Ausdauer- und Krafttraining, Sportpsychologie und -medizin arbeiten Hand in Hand. Die unweit gelegene Sporthochschule liefert den wissenschaftlichen Unterbau.

Zwar gibt es neben Olympiatoppen noch ähnliche Sportzentren in Lillehammer, Trondheim oder Bergen, in Konkurrenz zueinander treten sie allerdings nicht. "Es gibt in Norwegen weniger Inseldenken als in Österreich", sagt Schuster. Auch Mario Stecher, Österreichs sportlicher Leiter für Skisprung und Kombination, sieht in der Bündelung der Ressourcen einen wesentlichen norwegischen Erfolgsfaktor, "weil jeder von jedem profitieren kann, weil nicht jeder seine eigenen Schäfchen ins Trockene bringen muss". (Sigi Lützow, 22.2.2023)