Kay Voges ortet bei der ÖVP nach heftiger und "verleumdender" Kritik "Kulturlosigkeit".

Foto: Nikolaus Ostermann

Die Publikumszahlen scheinen sich allmählich zu erholen, und schon sieht sich das Volkstheater mit neuen Vorhaltungen konfrontiert. Auf der Webseite dasistnichtnormal.wien wettert die ÖVP gegen die Politik der Wiener Stadtregierung und stürzt sich im Zuge dessen auch auf das seit 2020 von Kay Voges geleitete Stadttheater. Die SPÖ hat postwendend mit diesindnichtnormal.wien reagiert. Wir baten Volkstheater-Direktor Kay Voges, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen.

STANDARD: Die ÖVP attackiert in einer Online- und Plakataktion das Volkstheater als "Skandaltheater" und spricht auch von mangelndem Reformwillen. Stimmt das?

Voges: Die Kampagne hat mich sprachlos gemacht. So viele Falschaussagen auf so wenig Platz, das ist reine Polemik. Es ist gelogen, und es ist verwerflich, das Volkstheater zum Spielball populistischer Politik zu machen. Ich bin schockiert über die Kulturlosigkeit der ÖVP. Es ist peinlich, wie hier Vorwürfe aus der Luft gegriffen werden, etwa gegen das Stück Zertretung von Lydia Haider. Wenn jemand aus der Volkspartei die Inszenierung gesehen hätte, wäre klar geworden, dass dieser Abend natürlich kein Gewaltaufruf ist, sondern sich mit der Gewalt in der Sprache und der Fantasie befasst. Es ist unfassbar, wie sich Herr Eppinger, der Kultursprecher der ÖVP im Gemeinderat, vor den Kulturausschuss stellt und sagt, Stücktitel wie Erniedrigte und Beleidigte oder Der Würgeengel würden nicht nach Kultur, sondern nach Dschungelcamp-Ekelprüfung klingen. Das sind Werke von Dostojewski und Buñuel – mehr Hochkultur geht gar nicht. Thomas Bernhard meinte im Theatermacher, Butzbach sei die absolute Kulturlosigkeit, ich würde sagen, es ist die ÖVP. Es ist auch reine Verleumdung zu sagen, wir hätten eine Auslastung von zehn Prozent.

STANDARD: Woher kommt die Zahl?

Voges: Aus dem Fantasieland. Wir merken einen kontinuierlichen Anstieg von Besucherzahlen. Derzeit ist jede fünfte Vorstellung ausverkauft. Vielleicht hat Herr Eppinger ja deshalb keine Karte bekommen.

STANDARD: Sie sprachen Ende Oktober von einer 70-prozentigen Auslastung, veröffentlichen aber seither keine Zahlen. Machen Sie sich nicht angreifbar?

Voges: Nein. Wir werden wie gewohnt im Mai unsere Saisonzahlen veröffentlichen. Die permanente Debatte über Auslastungszahlen vergiftet das Theater.

STANDARD: Verzeichnen Sie eine signifikante Zunahme?

Voges: Die Zahlen sind seit Spielzeitbeginn im September konstant gestiegen. Es gibt auch Stücke, die noch nicht so gut laufen, aber wir merken, dass es sich normalisiert.

STANDARD: Die Abozahl von 250 habe sich verdreifacht, sagten Sie im Oktober. Wie hoch ist sie also?

Voges: Es sind inzwischen noch ein paar mehr geworden. Die Fokussierung auf Zahlen verdeckt aber auch hier, dass im Volkstheater mit der Neuausrichtung aufgrund des Intendantenwechsels, der Generalsanierung und der Pandemie drei riesige vertriebliche Herausforderungen zusammengekommen sind. Wir konnten zwei Jahre lang keine fixen Abos anbieten, haben also bei null gestartet. Das ist eine einzigartige Situation.

STANDARD: Das Volkstheater war bis 1999 im Eigentum des SPÖ-dominierten Gewerkschaftsbundes. Hat denn der ÖGB noch Rechte oder Mitsprache?

Voges: Der ÖGB, gemeinsam mit dem Restitutionsfonds der freien Gewerkschaften, ist und bleibt Stifter des Volkstheaters. Zwecks Transparenz hat man sich entschlossen, die Gremien in Stiftung und Volkstheater GmbH durch von Stadt Wien und Bund, also den Geldgebern, nominierte Personen zu besetzen. Der Vorstand und die Kontrollorgane sind folglich mit Vertreterinnen und Vertretern der Geldgeber besetzt, und das ist auch völlig richtig so.

STANDARD: Auf der betreffenden ÖVP-Webseite dasistnichtnormal. wien steht auch, dass es ein stetes Budgetdefizit gebe. Stimmt das?

Voges: Natürlich nicht. Es ist dort alles falsch. Das letzte Defizit gab es 2016/17. Wir wurden übrigens von der ÖVP auch nie kontaktiert.

STANDARD: Der Stadtrechnungshof hat vor Ihrem Amtsantritt Vorschläge für Umstrukturierungen am Volkstheater gemacht, betreffs Prämien oder Überstundenreduktion. Auch gab es den Einsparungsvorschlag, vorzugsweise tantiemenfreie Stücke zu spielen. Was ist der Stand der Dinge?

Voges: Die Kulturnation Österreich ist Weltführer bei den großen Autorinnen und Autoren wie Thomas Bernhard, Elfriede Jelinek oder Ferdinand Schmalz, und dann soll man nur alte Klassiker spielen!? Da fasst man sich doch an den Kopf. Aber zu den anderen Punkten: Der Großteil ist umgesetzt, wir stehen ja auch im permanenten Austausch mit dem Aufsichtsrat und sind der Stadt wie dem Bund gegenüber transparent. Aber ich hätte eine Optimierungsanfrage meinerseits. Das Volkstheater ist die zweitgrößte Sprechtheaterbühne der Stadt, wir haben aber eine unwürdige Probensituation, proben in unzureichend adaptierten Gewerbeflächen von Gründerzeithäusern.

STANDARD: Warum hat das Ihre Vorgänger und Vorgängerinnen nicht gestört?

Voges: Hat es, aber damals lag die Priorisierung auf der überfälligen Generalsanierung. Man sieht, wie stiefmütterlich das Haus behandelt wurde. Vor der Sanierung und der Erhöhung der Förderung war das reine Notstandsverwaltung. Wir haben einen Jahresetat von 16 Millionen Euro, das Burgtheater 48 Millionen. Das ist eine harte Relation. Da würde ich die ÖVP bitten, sich für bessere Probenbedingungen unseres Hauses einzusetzen.

STANDARD: Wie bewerten Sie den notorischen Blick auf Zahlen?

Voges: Es wird damit die Relevanzfrage gestellt, was uns einem permanenten Rechtfertigungsdruck aussetzt. Die Relevanz des Theaters ist aber die Kunst, die wir für die Menschen machen, natürlich nicht vor leeren Rängen, sondern für viel Publikum. Im steten Fragen nach Zahlen schwingt eine profunde Kulturfeindlichkeit mit. Stellen Sie sich vor, wir würden in Wien von einer Partei regiert werden, die allen Ernstes meint, der Würgeengel sei ein Porno. Dann ist es ja vorbei.

STANDARD: Das Volkstheater war oft das Sorgenkind. Wie zuversichtlich sind Sie, dass sich das Image ändert?

Voges: Ich bin zunächst einmal glücklich, dass es uns gelungen ist, mit wenig Geld ein eigenes Profil zu etablieren. Wir haben viel neues Publikum erobert und erfahren viel Zuspruch. Das Volkstheater wird auch überregional wahrgenommen. In Berlin, wo ich gerade war, wird viel positiver über das Volkstheater gesprochen als in der eigenen Stadt.

STANDARD: Sie werden also nicht so schnell das Handtuch werfen?

Voges: Mein Vertrag läuft aktuell bis 2025. An den Gerüchten, ich könne nach Köln oder sonst wohin wechseln, ist nichts dran. Das Rumhacken der ÖVP auf der Kultur ist von einem reaktionären Geist durchtränkt, der mich eher an Viktor Orbán erinnert als an eine demokratische Partei. Die ÖVP versucht derzeit, die FPÖ rechts zu überholen. Als Volkstheater haben wir dazu eine Haltung, wir glauben nicht, dass dieser populistische Weg gut ist für das Land. (Margarete Affenzeller, 22.2.2023)