"Natürlich kann und soll man ernsthaft und zielorientiert über Einsparungspotenziale gerade in Unternehmen, die – auch – von der öffentlichen Hand finanziert werden, nachdenken. Aber das hat nichts mit der Art der Finanzierung zu tun, die ihren Beitrag zur Unabhängigkeit des ORF leisten muss": Medienwissenschafter Josef Seethaler

Wien – "Über das, was dem zuständigen Ministerium strategisch zum ORF eingefallen ist, kann man nur den Kopf schütteln. Unausgegoren und dilettantisch sind noch die freundlichsten Beurteilungen, die einem in den Sinn kommen", kritisiert Medienwissenschafter Josef Seethaler gegenüber dem STANDARD die Pläne für die künftige ORF-Finanzierung in Verbindung mit ORF-Sparmaßnahmen.

"Natürlich kann und soll man ernsthaft und zielorientiert über Einsparungspotenziale gerade in Unternehmen, die – auch – von der öffentlichen Hand finanziert werden, nachdenken. Aber das hat nichts mit der Art der Finanzierung zu tun, die ihren Beitrag zur Unabhängigkeit des ORF leisten muss. Diese Verknüpfung schaukelt unnötig Emotionen hoch, die sich – je nach Standpunkt – gegen den ORF oder gegen die Regierung richten." Seethaler: "Die lachenden Dritten sind dabei jene Kräfte, die sowohl gegen den ORF als auch gegen die Regierung sind – und zwar gegen jede Regierung, die nicht von ihnen gebildet wird – und im nächsten (kleinen) Schritt gegen einen angeblichen 'Staatsrundfunk' und gegen diesen Staat Stimmung machen."

Die Tücken der ORF-Haushaltsabgabe

Die Diskussion um die ORF-Finanzierung und eine mögliche Haushaltsabgabe "kann und müsste man sachlich und nüchtern führen". Seethaler: "Eine Haushaltsabgabe macht den Verwendungszweck transparent, da in der derzeitigen GIS noch eine ganze Reihe von Bundes- und in der Höhe variierende Landesabgaben enthalten sind, die dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk gar nicht zugutekommen – was den wenigsten Gebührenzahlenden bewusst ist." Sie habe dennoch "abhängig von der tatsächlichen rechtlichen Ausformung, die wir in Österreich derzeit noch in keiner Weise kennen, ihre Tücken, beispielsweise wenn es um das Verfahren bei Abgabenerhöhungen oder diverse 'Opting out'-Optionen geht".

Unternehmensstruktur vor Programmangebot

Wo ortet der Medienwissenschafter Sparpotenzial für den ORF? Seethaler: "Da geht es zuerst einmal um die Wirtschaftlichkeit von Unternehmensstrukturen. Erst dann geht es um das Programmangebot. Hier müsste das kommunikationswissenschaftliche Repertoire von detailliert aufzuschlüsselnden Reichweiten und Nutzungsmustern einerseits zum öffentlich-rechtlichen Auftrag und andererseits zum wirtschaftlichen Aufwand in Beziehung gesetzt werden. Aus wissenschaftlicher Sicht ist das eine interdisziplinäre Übung, die nicht einfach ist. Ich hoffe, der Generaldirektor hat es sich in der Kürze der Zeit nicht zu einfach gemacht. Zumindest nicht so einfach wie bei dem demokratiepolitisch kurzsichtigen Angebot, orf.at zu schrumpfen."

Öffentliche Finanzierung und Werbung

Nur wenige öffentlich-rechtliche Sender in Europa hätten einen ähnlich geringen Anteil öffentlicher Finanzierung an ihrem Gesamtumsatz, schließt Seethaler aus europäischen Vergleichsdaten von 2020. Beim ORF machten die GIS-Gebühren 65,1 Prozent der Einnahmen aus – nur bei einer Handvoll öffentlicher Sender in Europa liege dieser Anteil unter zwei Drittel der Gesamteinnahmen.

"Man kann dann natürlich darüber klagen, dass der ORF so hohe Werbeeinahmen hätte, die den Markt verzerren würden. Dann muss man sich allerdings entscheiden, was man will: ein Mehr oder ein Weniger an öffentlicher Finanzierung. Weniger Werbeeinnahmen und weniger öffentliche Finanzierung hieße: weniger Medienangebot, das für eine 'vielfältigere und demokratischere Öffentlichkeit sorgt', um Leonhard Dobusch zu zitieren."

Notwendige Reformen

Welche Reformen bräuchte der ORF laut Seethaler wirklich? "Was rechtliche Reformen betrifft, stehen aus Sicht einer demokratischen Gesellschaftsordnung zwei Dinge ganz oben auf der Agenda: erstens der Ausbau der Möglichkeiten, auf den digitalen Plattformen zu agieren – alles andere bedeutet schon mittelfristig eine extreme, nicht wieder auszugleichende Schwächung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Allein deshalb, weil immer mehr Generationen – und nicht nur die ganz jungen – zusehends wegbrechen werden.

Und zweitens ein Ende des anachronistischen 'Politics in Broadcasting'-Systems, das hieße vor allem:

  • Re-Organisation der Zusammensetzung des Stiftungsrates mit Vorrang für Fachleute, die in ihren jeweiligen Wirkungsfeldern berufsethischen Maßstäben unterliegen, und/oder einer angemessenen Zahl von 'Rundfunkschöffen', also per Los ausgewählten Beitragszahlenden – wie Leonhard Dobusch vorgeschlagen hat –, sowie Einbindung großer zivilgesellschaftlicher Organisationen in das Entsendungsverfahren unter Offenlegungspflicht der internen Entscheidungsprozesse
  • Ausschreibungen von führenden Managementpositionen mit nachvollziehbaren Qualifikationskriterien, öffentlichen (Online)Hearings und geheimer Wahl
  • Ausbau der Mitwirkungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten der journalistischen Mitarbeiter:innen bei der Bestellung redaktioneller Leitungspositionen." (Astrid Ebenführer, 23.2.2023)