Mehr Zeit für Hobbys, dafür ein gehetzter Arbeitsalltag? Das 30-Stunden-Vollzeit-Modell bringt Vor- und Nachteile.
Illustration: Fatih Aydogdu

Immer mehr Menschen wollen Stunden reduzieren – wegen Betreuungspflichten oder weil Vollzeit anstrengend ist. Einige Unternehmen haben deshalb auf eine Viertagewoche umgestellt und sind damit zufrieden. Doch was wäre, wenn wir alle weniger arbeiten würden? Wären wir gesünder? Wie sähe unser Arbeitstag aus, wie unsere Freizeit? Und welche Auswirkungen hätte das auf die Wirtschaft und das Klima?

Ein britisches Unternehmen führte nach einer landesweiten Studie die Viertagewoche dauerhaft ein. Das Ergebnis: zufriedene Mitarbeiter, mehr Bewerbungen und mehr Umsatz
DER STANDARD

Arbeitsalltag: Kürzer bedeutet nicht weniger

Die Wiener Kommunikationsagentur Verdino hat 2019 auf eine Viertagewoche umgestellt, bei gleichem Lohn. "Immer öfter haben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gesagt, dass sie gerne Stunden reduzieren würden", sagt Geschäftsführer Martin Verdino. "Es kristallisierte sich heraus, dass es vor allem darum ging, einen Tag mehr frei zu haben." Nun hat die Agentur am Freitag zu – nur eine Person hat Bereitschaftsdienst. Von Montag bis Donnerstag wird neun Stunden gearbeitet. "Das ist durchaus fordernd", gibt Verdino zu. Denn die Arbeit, die zu leisten ist, sei deshalb nicht weniger geworden.

Weniger Meetings und E-Mails – für die Viertagewoche gestalten Unternehmen ihre Arbeitstage um.
Illustration: Fatih Aydogdu

Der Vorteil seien aber die drei Tage Wochenende. Auf die Arbeit würde sich die Stundenreduktion insofern auswirken, als "dass wir schauen müssen, dass wir effizienter sind, dass wir stärker abwägen, wie wir bestimmte Sachen machen. Wir sind auch selektiver."

Das sagt auch Lasse Rheingans, Chef einer Bielefelder Firma, die 2017 als Erste in Deutschland den Fünf-Stunden-Arbeitstag einführte – ebenfalls bei gleichem Gehalt und Urlaubsanspruch. Während das Unternehmen als Digitalagentur startete, berät es inzwischen nur noch zum Thema New Work, also neue Arbeitskonzepte. Denn andere wollen wissen: Wie geht das überhaupt, die gleiche Arbeit in weniger Zeit zu erledigen?

Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden spiele dabei eine ganz entscheidende Rolle, sagt Rheingans: "Wir haben uns als Erstes zusammengesetzt und überlegt, wo überall Zeit flöten geht." Die Länge der Meetings sei von einer Stunde auf eine Viertelstunde verkürzt worden, die Anzahl der E-Mails reduziert. Außerdem gelte es, darauf zu achten, dass jeder Mitarbeiter, jede Mitarbeiterin das macht, worin er oder sie am besten ist. Dass Stärken zum Tragen kommen, trage zur Effizienz bei.

Essenziell sei auch, dass jeder für sich herausfindet, wie er produktiv arbeiten kann. Repetitive Aufgaben müsse künftig die künstliche Intelligenz erledigen. "Viele glauben immer noch, dass man in gewissen Arbeitsstunden eine gewisse Leistung erbringen kann", sagt Rheingans. Das sei ein Irrglaube, weil Menschen sich nur eine gewisse Zeitlang konzentrieren können. Und gerade für kreative Arbeiten gelte: Die besten Ideen habe man beim Sport oder beim Spaziergang im Wald – also außerhalb der Arbeit.

Kürzere Arbeitszeit, weniger Burnouts?

Auch bei einer 30-Stunden-Woche kommt es darauf an, wie die freie Zeit genützt wird. Machen Menschen mehr Sport, essen gesünder und treffen sich mit Freunden, wird es ihnen besser gehen, ist Tobias Glück überzeugt – verbringen sie die Zeit mit Computerspielen und auf der Couch, eher nicht. Trotzdem ist der Arbeitspsychologe überzeugt, dass Menschen im Allgemeinen psychisch gesünder sind, wenn sie weniger Arbeiten. Das legen Studien nahe. Das Burnout-Risiko etwa sinke um ein Vielfaches, sobald von 40 auf 35 Stunden pro Woche reduziert wird.

Durch kürzere Arbeitswochen könnte sich die psychische Gesundheit von Menschen bessern.
Illustration: Fatih Aydogdu

Mitarbeitende würden sich zudem als wirkungsvoller wahrnehmen. "Eine Mutter, die 30 Stunden arbeitet, ist häufig weit effizienter als alle Herren der Firma, auch weil Menschen dazu neigen, die zur Verfügung stehende Zeit auszufüllen, was nicht zwangsläufig produktiver ist", sagt Glück. Doch nicht in allen Berufen kann die Effizienz gesteigert werden.

Dienstleister wie Friseure, Masseurinnen oder auch Psychologen sind zeitgebunden. Ein guter Haarschnitt brauche seine Zeit, ebenso eine Therapiestunde. Zumindest noch. Denn bei letzterem könnte schon bald künstliche Intelligenz helfen. Chatbot basierte Therapieprogramme etwa könnten Dokumentationen erstellen oder Therapieformen anpassen. Nichtsdestotrotz müsse mit einer 30-Stunden-Woche eine "sinnvolle Änderung der Arbeitsabläufe" einhergehen. "Damit fällt viel Bullshit weg", sagt Glück. "Was Menschen häufig krank macht, ist die Sinnlosigkeit ihrer Arbeit oder einzelne Tätigkeiten wie zum Beispiel Meetings. Da sind die Unternehmen gefragt."

Arbeitskräftemangel könnte steigen, das BIP sinken

Angenommen alle in Österreich würden 38 Stunden arbeiten und auf 30 Stunden reduzieren – die Auswirkungen wären laut Helmut Hofer, Ökonom beim Institut für Höhere Studien (IHS) enorm. Immerhin würde um rund ein Viertel weniger gearbeitet. Der dadurch entstehende Arbeitskräftemangel wäre seiner Meinung nach nur mit extrem hoher Zuwanderung und späterem Pensionsantrittsalter zu stemmen.

Wirtschaftlich wären die Auswirkungen einer Arbeitszeitverkürzung enorm, sagen Ökonominnen und Ökonomen.
Illustration: Fatih Aydogdu

In Pflegeberufen oder der Gastronomie, wo schon jetzt Arbeitskräftemangel besteht, würde sich die Situation laut Hofer wohl weiter verschärfen. Auch wenn verkürzte Arbeitszeiten bei gesicherten Löhnen diese Berufe möglicherweise attraktiver machen, dürfe auf die Ausbildungszeiten nicht vergessen werden. "Das geht sich nicht aus", ist Hofer überzeugt.

Laut Monika Köppl-Turyna vom arbeitgebernahen Institut Eco-Austria seien neben einem massiv verstärkten Arbeitskräftemangel langfristig auch andere Effekte zu berücksichtigen, etwa ein verstärkter Einsatz von Maschinen.

Was die Wirtschaftsleistung betrifft, erwartet Köppl-Turya negative Effekte: "In 30 Stunden schneiden Friseure weniger Haare als in 38 Stunden." Während Corona sei das Wirtschaftswachstum um 6,5 Prozent gesunken. Einen derart starken Rückgang des BIP erwartet die Wirtschaftsexpertin zwar nicht, "ein paar Prozentpunkte wären es aber doch".

Mit der Zeit würde sich Anpassungseffekte einstellen, etwa durch Maschinen und Technologien. Steigt deren Einsatz aber nicht zeitgleich mit einer Einführung der 30-Stunden-Woche, kommt es unweigerlich zu einer Reduktion des BIP, sagt Köppl-Turyna.

Weniger arbeiten, Klima schützen?

Einige Studien deuten darauf hin, dass sich die Arbeitszeit stark auf den ökologischen Fußabdruck und den Treibhausgasausstoß von Menschen auswirkt. Schwedische Forschende berechneten: Die Arbeitszeit um ein Prozent zu verringern, könnte die Treibhausgasemissionen um rund 0,8 Prozent pro Person senken. Die Autoren schreiben, dass eine schrittweise Reduzierung der Arbeitszeit auf eine 30-Stunden-Woche im Jahr 2040 zu einem deutlich langsameren Wachstum der Energienachfrage führen würde. Dadurch wären auch die Klimaziele leichter zu erreichen. Eine Analyse der University of Massachusetts schlägt in eine ähnliche Kerbe: Würden Menschen zehn Prozent weniger arbeiten, würde sich ihr CO2-Abdruck um 8,6 Prozent verringern, heißt es.

Zur Arbeit pendeln, in der Kantine essen oder am PC arbeiten – die Arbeitszeit hängt eng mit dem ökologischen Fußabdruck zusammen.
Illustration: Fatih Aydogdu

Ganz so einfach ist es nicht: Vielen Studien fehlen bisher Daten, Berechnungen sind oft vereinfacht. Laut manchen Studien steigt durch weniger Arbeitsstunden sogar die Produktivität, was Klima und Menschen gleichermaßen belastet. Ökonominnen und Ökonomen befürchten vor allem, dass sich Emissionen durch eine Arbeitszeitverkürzung in die Freizeit verlagern könnten – etwa, wenn Menschen mehr Zeit haben, um am Wochenende mit dem Flugzeug zu verreisen. Ob und wie stark dieser sogenannte Rebound-Effekt auftreten würde, bleibt bisher unklar. Statt Arbeitszeiten zu kürzen, sehen es viele Ökonominnen und Ökonomen für sinnvoller, die Erwerbsarbeit von den Emissionen zu entkoppeln und die Wirtschaft als Ganzes nachhaltiger aufzustellen. Dazu brauche es mehr Investitionsanreize im Bereich Klimaschutz und Innovationen bei nachhaltigen Technologien.

Neue Hobbys, mehr Gleichberechtigung?

Auf der Couch, mit der Familie oder ehrenamtlich: Wie würden die Menschen ihre Zeit nutzen, wenn 30 Stunden das neue Vollzeit ist? Erfahrungen von Firmen, die ihre Arbeitszeit reduziert haben, zeigen: Wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nur fünf Stunden pro Tag arbeiten, lassen sie vernachlässigte Hobbys wieder aufleben. Außerdem beginnen einige Weiterbildungen, lernen Sprachen oder ein Musikinstrument.

Durch kürzere Wochenarbeitszeit haben Menschen mehr Freizeit. Die Fürsorgearbeit verteilt sich aber dadurch nicht, vermuten Fachleute.
Illustration: Fatih Aydogdu

Es stellt sich auch die Frage, ob sich die Fürsorgearbeit neu verteilen würde – also die Obhut über die Kinder, die Pflege von kranken Angehörigen und die Aufgaben im Haushalt. Lasse Rheingans, der in seiner Firma den Fünf-Stunden-Arbeitstag eingeführt hat, hält das für möglich. Er ist der Meinung, dass sich viele Männer mehr bei der Kinderbetreuung engagieren würden, wenn ein Arbeitstag kürzer wäre. Schon allein deshalb, "weil es den inneren Druck nicht mehr gibt, dass man viel arbeiten muss". Eine Arbeitszeitverkürzung könne so zur Gleichberechtigung beitragen.

Die Ökonomin Katharina Mader denkt wiederum nicht, dass das der Fall wäre: "Es würde wohl genauso traditionell weitergehen, wie davor", sagt sie. Das zeige auch das Beispiel Frankreich – wo 2000 die 35-Woche eingeführt wurde, um die Arbeitslosigkeit zu reduzieren. An der Verteilung der Care-Arbeit habe sich dadurch nichts verändert. In der Coronazeit wiederum zeigte sich, dass Väter in Kurzarbeit zwar mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen – "aber nicht unbedingt mehr Haushaltstätigkeiten verrichten."

Eine Arbeitszeitverkürzung würde also nicht "automatisch" zu mehr Gleichstellung führen, wie Mader erklärt. Um klassische Rollenbilder zu verändern, brauche es gleichzeitig eine Sensibilisierung der Gesellschaft für das Thema. (Julia Beirer, Lisa Breit, Florian Koch, 24.2.2023)