In Österreich wird fast jede vierte Geburt eingeleitet. Nicht immer stecken medizinische Gründe dahinter.

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Die meisten Frauen wünschen sich die perfekte Geburt. Unter perfekt stellen sich viele eine spontane Geburt ohne den Einsatz von Medikamenten oder anderen medizinischen Hilfsmitteln vor. Doch es gibt immer wieder Umstände, die den Einsatz von Medikamenten notwendig machen, um die Gesundheit von Baby und Mutter nicht zu gefährden. Es kann etwa vorkommen, dass die Wehen nicht spontan einsetzen. In diesem Fall kann die Geburt mit Medikamenten oder anderen Hilfsmitteln eingeleitet werden.

In Österreich werden um die 25 Prozent aller Geburten eingeleitet. Dafür gibt es entweder medizinische Gründe wie eine Erkrankung der Mutter mit Diabetes oder Bluthochdruck. Aber auch ein vorzeitiger Blasensprung kann eine Einleitung notwendig machen. Als häufigste Ursache wird jedoch ein Verstreichen des errechneten Geburtstermins angegeben. Eine Assoziationsstudie des Amsterdam Medical Center hat nun ausgewertet, ob eine Einleitung der Geburt mit späteren schlechteren Schulleistungen der Kinder zusammenhängen könnte. Die Studie ist im Journal "Acta Obstetricia et Gynecologica Scandinavica" erschienen.

Schlechtere Schulleistungen nach eingeleiteten Geburten

Die Forschenden verglichen die Schulleistung von über 226.000 Kindern im Alter von zwölf Jahren. Bei einem Teil von ihnen wurde die Geburt eingeleitet, beim anderen Teil setzten die Wehen der Mütter spontan ein. Die Kinder kamen zwischen 2003 bis 2008 und zwischen der 37. und 42. Schwangerschaftswoche in den Niederlanden auf die Welt. Die Ergebnisse: Die Einleitung der Wehen war mit schlechteren Schulleistungen verbunden als bei Nichtintervention, zudem erreichten weniger Kinder nach Einleitung einen höheren Bildungsweg in der weiterführenden Schule.

Das Leitlinienprogramm der deutschen, österreichischen und schweizerischen Gesellschaften für Gynäkologie und Geburtshilfe empfiehlt eine Geburtseinleitung bei medizinischen Indikationen sowie beim Überschreiten des errechneten Geburtstermins von zehn Tagen. Die Schwangerschaftsdauer berechnet sich ab dem ersten Tag der letzten Periode auf 280 Tage, das entspricht 40 Wochen. Zwei Wochen nach Terminüberschreitung wird die Einleitung dringend empfohlen. Dieser Empfehlung liegen Studien zugrunde, die auf ein erhöhtes Krankheits- und Sterberisiko für das Kind hinweisen, wenn der Geburtstermin überschritten ist. Andere Untersuchungen haben gezeigt, dass eine Geburtseinleitung ab der 39. Schwangerschaftswoche mit einer geringeren Rate von Kaiserschnitten einhergeht.

Da die Einleitungen von Geburten weltweit in den letzten Jahrzehnten immer weiter zunimmt, sei die Studie "vor allem vor diesem Hintergrund interessant", erklärt Michael Abou-Dakn, Chefarzt für Gynäkologie und Geburtshilfe am St.-Joseph-Krankenhaus in Berlin. Und er sagt weiter: "Eine Einleitung ohne medizinische Indikation wird in Deutschland eher abgelehnt. In Studien der vergangenen Jahrzehnte wird aber eine Einleitung ab der 37. SSW durchaus kontrovers diskutiert. Vor allem wegen der Befürchtung, dass es zum Ende der Schwangerschaft noch zu einem intrauterinen Fruchttod, also Tod des Fötus in der zweiten Schwangerschaftshälfte, kommen könnte."

Argumente gegen vorzeitige Beendigung der Schwangerschaft

Eine Geburt kann durch verschiedene Medikamente oder auch mechanisch, etwa durch das Öffnen der Fruchtblase, eingeleitet werden. Bei der Studie wurde diese Faktoren außer Acht gelassen. Sven Kehl, Oberarzt am Universitätsklinikum Erlangen, berichtet: "Mechanische und medikamentöse Verfahren zur Geburtseinleitung haben keinen Einfluss auf die neurologische Entwicklung des Kindes. Dies war auch nicht das Thema dieser Studie. Die Geburtseinleitung führt zu einem früheren Beginn der Geburt und somit zu einer vorzeitigen Beendigung der Schwangerschaft. Diese vorzeitige Beendigung der Schwangerschaft kann dazu beitragen, dass die Gehirnentwicklung des Kindes beeinflusst wird."

Und er erklärt weiter: "Die Ergebnisse zeigten, dass bei jeder Schwangerschaftswoche bis zur 41. Woche die Geburtseinleitung im Vergleich zur spontanen Geburt zu einer verringerten schulischen Leistung der Kinder führte. Darüber hinaus erreichten nach einer Geburtseinleitung weniger Kinder eine höhere Schulbildung." Die Forschenden betonen jedoch, dass es sich hierbei lediglich um einen statistischen Zusammenhang handelt. "Die Ergebnisse bedeuten nicht, dass alle Kinder, die nach einer Geburtseinleitung geboren wurden, schlechtere schulische Leistungen erbringen werden. Es handelt sich lediglich um einen statistischen Zusammenhang, der nicht auf jeden Einzelfall übertragbar ist", stellt Kehl klar.

Bei der Studie fällt auf, dass vor allem die sozialen Schichten zwischen den Gruppen unterschiedlich sind. Michael Abou-Dakn sagt: "Es finden sich signifikant weniger gebildete Schwangere in der Gruppe, die sich ohne weitere Indikationen einleiten ließ. Das merkten auch die Autorinnen und Autoren der Studie kritisch an."

Dennoch ist die Studie laut Sven Kehl "beachtenswert". Denn der Tenor der Studie lautet: "Frühzeitige Beendigung der Schwangerschaft mittels Geburtseinleitung ohne medizinischen Grund kann zu Problemen im weiteren Leben des Kindes führen. Diese Probleme beziehen sich im vorliegenden Fall auf die schulische Entwicklung. In Anbetracht des Trends der vergangenen Jahre einer häufigeren Geburtseinleitung ab 39 Schwangerschaftswochen, auch ohne Vorliegen von Risiken, sind die Ergebnisse dieser Studie ein schlagkräftiges Argument gegen dieses Vorgehen." (jaa, 23.2.2023)