Die Pfeilspitzen aus der südfranzösischen Höhle sind wesentlich älter als die bisherigen Rekordhalter.
Foto: Philippe Psaila

Pfeile sind oft schwer zu finden. Haben sie sich beim Bogenschießen von der Sehne gelöst und sind nicht auf der Zielscheibe gelandet, kann es je nach Gelände und Flugbahn länger dauern, bis man sie gefunden hat: Neongreller Befiederung zum Trotz können sie sich flach in die Erde schieben und im Gras verstecken. In der Archäologie sind Pfeile ebenfalls schwierig aufzuspüren: Der Großteil besteht meist aus biologisch abbaubarem Material, wie auch der Bogen – von Holz über Fasern und Haare bis hin zu Harzen. Das hält sich selten über Jahrtausende. Oft bleibt nur die kleine Pfeilspitze übrig, und ob eine Waffe geschossen oder geworfen wurde, ist nicht so leicht zu unterscheiden.

Umso bemerkenswerter ist es, dass ein Forschungsteam den Rekord für die ältesten gefundenen Pfeile in Europa wohl gleich um 40.000 Jahre versetzt hat. In Frankreich stieß man auf 54.000 Jahre alte Spuren, die auf die Nutzung von Pfeil und Bogen als Jagdwerkzeug schließen lassen. Das berichtet ein französisch-amerikanisches Team im Fachmagazin "Science Advances".

Oben sind die winzigen Pfeilspitzen ("nanopoints") aus der Grotte dargestellt, die gefunden wurden – im Größenvergleich mit einem Euro-Cent. Unten ist der Größenvergleich zu anderen Steinspitzen zu sehen.
Foto: Laure Metz, Ludovic Slimak

Keine Wurfstöcke

Entdeckt wurden sie in der Mandrin-Grotte im Süden Frankreichs. In der Halbhöhle werden seit den 1960er-Jahren immer wieder Spuren moderner Menschen und Neandertaler gefunden, die Fundstücke sind bis zu 120.000 Jahre alt. Der Leiter der Grabungen, Ludovic Slimak, war auch an der aktuellen Studie beteiligt. Erstautorin Laure Metz, die am nationalen Forschungsinstitut Frankreichs CNRS und der Universität Connecticut in den USA arbeitet, forscht ebenfalls seit einigen Jahren in der Mandrin-Höhle. Spezialisiert hat sie sich auf altsteinzeitliche Waffen.

Die Halbhöhle, in der die Pfeilspitzen entdeckt wurden, befindet sich in der Nähe des Rhône-Flusses.
Foto: Ludovic Slimak

Die etwa 1.500 kleinen Spitzen aus Feuerstein, die das Team fand, lassen aufgrund ihrer Herstellungs- und Gebrauchsspuren darauf schließen, dass sie großteils tatsächlich auf Pfeilen befestigt und per Bogen abgeschossen wurden. Sie unterscheiden sich von anderen Waffen, die bereits vor 300.000 Jahren von Homo heidelbergensis und später von Neandertalern genutzt wurden und teils wie kleine Speere aussahen: Die Stöcke wurden mitunter mit Schleudern geworfen, um eine höhere Durchschlagskraft zu erreichen.

Bisherige Rekordfunde

Bogenschießen wird hingegen mit dem modernen Menschen Homo sapiens in Verbindung gesetzt. Entsprechende Funde aus Afrika sind etwa 70.000 Jahre alt. Erst vor etwa 54.000 Jahren dürfte den Funden der Mandrin-Grotte zufolge unsere Menschenspezies nach Europa gekommen sein. Allerdings handelte es sich vermutlich nur um kleine Gruppen, die keine langfristig dort lebenden Populationen gründeten. Erst vor rund 45.000 Jahren war dies der Fall. Im Laufe der Zeit setzte sich Homo sapiens großteils gegen die ansässigen Neandertaler durch, womöglich spielte dabei auch Waffentechnik eine Rolle.

Archäologinnen und Archäologen arbeiten bei der Mandrin-Halbhöhle.
Foto: Ludovic Slimak

Die bisher ältesten Nachweise, dass in Europa Bogenschießen betrieben wurde, sind mit 10.000 bis 12.000 Jahren jedoch wesentlich jünger. So alt sind Pfeile und Bögen, die in nordeuropäischen Torfmooren gefunden wurden. Die neuen Funde stellen dieses Rekordalter deutlich in den Schatten und übertreffen es um das Vierfache.

Knapp ein Drittel der gefundenen Feuersteinsplitter aus der französischen Höhle wiegen nur wenige Gramm. Weil die Steine so klein und schmal sind, schließt das Forschungsteam die Nutzung für andere Waffen aus. Darauf deuten auch typische Spuren eines Aufpralls hin: Das Team baute entsprechende Pfeile selbst nach und testete sie nach dem Prinzip der experimentellen Archäologie. Zudem finden sich an etlichen der winzigen Steine Anzeichen darauf, dass sie an einem Schaft befestigt wurden.

Laure Metz stellte mit Kollegen nach dem Muster der gefundenen Spitzen Pfeile her und testete sie beim Bogenschießen.
Foto: Ludovic Slimak

Vorteil bei der Jagd

Die Fachleute vermuten auch, dass die Technik des Bogenschießens spezifisch für Homo sapiens war und Neandertaler, die ebenfalls in der gleichen Grotte vorkamen, weiterhin eher große Speere nutzten. Waffen, die geworfen werden, erfordern jedoch eine gewisse Nähe zur Beute, die gefährlich werden kann. Daher dürften die bogenbeschleunigten Pfeile einen Vorteil bei der Jagd dargestellt haben.

Die winzigen Pfeilspitzen sind nicht leicht aufzuspüren.
Foto: Metz, CNRS

In der jüngeren Vergangenheit sind immer mehr Studien erschienen, die zeigen, dass Neandertaler modernen Menschen ähnlicher waren als gedacht. Jedoch gab es auch immer wieder Hinweise, dass es gewisse kognitive Unterschiede gab. Metz und ihren Kollegen zufolge dürften Neandertaler und moderne Menschen aber nicht nur aufgrund von Unterschieden im Gehirn, die ihre Fähigkeiten beeinflussten, ihre eigenen Jagdtechniken angewandt haben.

Ein Pferdekiefer und eine Pfeilspitze in der Mandrin-Grotte.
Foto: Ludovic Slimak

Soziale Unterschiede zwischen Neandertaler und Homo sapiens

Das Team argumentiert, dass die "Verbreitung technologischer Innovationen hauptsächlich durch soziale Entscheidungen beschränkt wird und nicht notwendigerweise durch rationale Vorzüge, die diese Innovationen bieten". Entsprechend könnte es vor allem an verschiedenen kulturellen Praktiken, sozialen Normen und entsprechendem Verhalten gelegen haben, wenn Neandertaler bei ihrer Jagd andere Waffen nutzten als moderne Menschen.

Die Grotte wartet aber weiterhin mit Mysterien der Menschheitsgeschichte auf. Immerhin jagten dort vor 54.000 Jahren offenbar moderne Menschen, hielten ihre Population aber nicht für sehr lange Zeit. Die nächste Fundschicht weist auf die Besiedlung durch Neandertaler hin. Weshalb Homo sapiens trotz womöglich effizienterer Jagdtechnik dank Pfeil und Bogen erst wesentlich später in der Region blieben, bleibt ein ungelöstes Rätsel. (Julia Sica, 24.2.2023)