Das neutrale Österreich gefällt sich als "Brückenbauer" zwischen Ost und West – zumindest beharren Bundesregierungen seit Jahrzehnten trotz durchaus fragwürdiger Erfolgsquote auf dieser Eigentitulierung. Und Wien ist, dieser Logik folgend, der ideale Ort für diplomatische Amtssitze und Veranstaltungen aller Art. Neben der Uno nennt auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) Wien ihr Zuhause, in der Hofburg hat sie ihre repräsentative Zentrale. Hier findet alljährlich am vierten Donnerstag und Freitag im Februar die "Wintertagung" der Parlamentarischen Versammlung der Organisation statt. Doch in diesem Jahr mischen sich unter die feinen diplomatischen zahlreiche politische Misstöne. Grund: der Ukraine-Krieg.

Vertrautes Motiv am Wiener Heldenplatz: der "Flaggenwald" der OSZE.
Foto: AP Photo/Ronald Zak

Justament am ersten Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine steht diesmal das Treffen der 323 Delegierten aus 57 Mitgliedsstaaten auf dem Programm – und da russische Abgeordnete, die unter EU-Sanktionen stehen, anreisen werden, boykottieren Vertreterinnen und Vertreter nicht nur aus der angegriffenen Ukraine, sondern auch aus Litauen die Tagung – für Gastgeber Österreich ist das mehr als nur unangenehm, steht doch der Vorwurf im Raum, man übe aus Feigheit oder falsch verstandener Neutralität zu viel Nachsicht mit Russland.

"Rechtfertigung der Aggression"

Der ukrainische Delegationsleiter Mykyta Poturajew findet für einen Diplomaten ungewöhnlich offene und direkte Worte: Die russische Delegation werde die OSZE-Wintertagung zweifellos zur "Rechtfertigung der Aggression gegen die Ukraine" sowie zur "Schönfärberei von an Ukrainern verübten Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit" verwenden. Daher werden die ukrainischen Abgeordneten der Parlamentarischen Versammlung zwar nach Wien reisen, aber nicht am offiziellen OSZE-Programm in der Hofburg teilnehmen. Stattdessen werde man im informellen Rahmen mit verbündeten Ländern beraten, wie die OSZE aus ihrer Krise herauskommen könnte. Ob Österreich da mitreden sollte, blieb offen.

Österreichs Außenamt verweist auf das Amtssitzabkommen mit der OSZE: Die Republik Österreich – und schon gar nicht die Bundesregierung – habe die Möglichkeit, Russland auszuladen. Man könnte geneigt sein zu sagen, das sei eben der Nachteil, wenn man "Brückenbauer" sein will. Außenminister Alexander Schallenberg zeigte sich jedenfalls unglücklich mit dem Termin der Versammlung. Doch an diesem sei nicht zu rütteln gewesen.

Protestschreiben an das Außenministerium

Das Problem für Österreich hatte spätestens dann begonnen, als 81 Abgeordnete aus 20 Ländern Anfang Februar die Republik aufgefordert hatten, die Teilnahme der russischen Delegation an der OSZE-Tagung zu "verhindern" – doch dieses formale Pouvoir hat Österreich, laut Außenamt mit Verweis auf das Amtssitzabkommen als Gastgeberland einer diplomatischen Organisation, gar nicht.

Parlamentarierinnen und Parlamentarier aus Belgien, Dänemark, Deutschland, Estland, Frankreich, Georgien, Großbritannien, Island, Kanada, Lettland, Litauen, den Niederlanden, Norwegen, Polen, Rumänien, Schweden, der Slowakei, Slowenien, Tschechien und natürlich der Ukraine unterzeichneten das Schreiben. Litauen hat dem Vernehmen nach außerdem eine Verschiebung der Veranstaltung in den März beantragt. Die litauische Delegation will – anders als die ukrainische – der Versammlung gänzlich fernbleiben, hat dies laut einem Pressesprecher der Versammlung aber bisher nicht offiziell mitgeteilt.

Russland provoziert im Vorfeld

Ist in Wien ein ernsthafter Dialog unter diesen Rahmenbedingungen überhaupt zu erwarten oder möglich? In einem Brief an das Generalsekretariat der OSZE betonte Russlands ständiger Vertreter Alexander Lukaschewitsch, dass "(...) jegliche Anträge des Generalsekretariats nicht beachtet" würden, wenn sie "inakzeptable Formulierungen" rund um Russlands territoriale Integrität beinhalten würden. Kurzum: Moskau will nicht über den Status der annektierten Gebiete in der Ost- und Südukraine diskutieren, denn diese würden zu Russland gehören – Ende der Debatte.

Der polnische Botschafter bei der OSZE, Adam Halacinksi, sieht diesen Brief als "weiteren Beweis dafür, wie Russland internationales Recht und die Prinzipien der OSZE missachtet". Daher glaubt Halacinksi nicht daran, dass es einen "konstruktiven Dialog innerhalb der OSZE" geben wird.

Scharfe Worte gab es auch von der Gruppe der nordisch-baltischen Staaten (NB8), die vor zwei Wochen gemeinsam mit Polen tagte. "Russlands Teilnahme an der Parlamentarischen Versammlung der OSZE wird ohne Zweifel für Propagandazwecke missbraucht werden", hieß es in einem Statement. Litauen konnte da die anderen Staaten aber nicht dazu bewegen, sich einem Boykott der OSZE-Versammlung anzuschließen.

Der Pole Halacinksi sagt zum STANDARD, er verstehe die Argumentation des österreichischen Außenministeriums, wonach man als Gastgeber der OSZE rechtliche Verpflichtungen habe. Allerdings müssten auch moralische und politische Überlegungen eine Rolle spielen.

Alljährliches Politikum: Akademikerball

Wie schon in vergangenen Jahren ist auch heuer der Akademikerball ein Streitthema. Pandemiebedingt war der Ball in den vergangenen zwei Jahren ausgefallen, heuer findet er auch ausgerechnet am 24. Februar statt, dem Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine – und zwar in unmittelbarer geografischer Nähe zur OSZE-Tagung. Ob rechtsextreme russische OSZE-Delegierte den Ball besuchen werden, kann Ballorganisator Udo Guggenbichler (FPÖ) nicht sagen, jeder könne sich eine Karte kaufen. Freude darüber hätte man jedenfalls keine, betont er. Der Ball sein prinzipiell eine "unpolitische Ballveranstaltung". (Kate Manchester, Fabian Schmid, Gianluca Wallisch, 23.2.2023)