Kaum hatte Joe Biden seine Rede in Warschau beendet, stimmte die Kommentatoren-Runde beim linksliberalen Sender CNN unisono eine Lobeshymne an. "Kraftvoll" und "stark" sei der Präsident aufgetreten und habe ein eindrucksvolles Zeichen gegen den russischen Angriffskrieg in der Ukraine gesetzt, urteilten die professionellen Beobachter. Beim rechten Sender Fox News sah das eine Fünfer-Runde ganz anders. "Alles nur Floskeln", erregte sich eine Teilnehmerin. Eine andere monierte, Biden solle sich lieber um die Probleme im eigenen Land kümmern.
Der Kontrast auf der Mattscheibe illustriert die gespaltene Haltung der Amerikaner zum Ukraine-Krieg. Von einem kollektiven Versammeln der Nation um die US-Flagge wie früher bei Konflikten mit direkter amerikanischer Truppenbeteiligung ist nichts zu spüren. Die Zustimmung zu Waffenlieferungen ist seit dem vorigen Mai um mehr als zehn Punkte gefallen: Gerade noch 48 Prozent der Amerikaner wollen nach einer aktuellen AP-Umfrage der Ukraine militärisch helfen. Der Rest ist entweder dagegen oder hat keine Meinung.
"Historische" Reise
Entsprechend kontrovers fallen auch die Reaktionen auf den Überraschungsbesuch von Biden in Kiew und seine Rede in Warschau anlässlich des Jahrestages der russischen Invasion in der Ukraine aus. Vertreter der Demokraten sprechen wie die frühere Repräsentantenhaus-Sprecherin Nancy Pelosi von einer "historischen" Reise. Der Präsident habe "die richtige Botschaft zur richtigen Zeit" ausgesprochen, lobt die "Washington Post".
Lautstarke Unterstützung bekommt Biden auch vom traditionellen Flügel der Republikaner. "Ich bewundere Reagans Diplomatie während des Kalten Krieges", sagte der Publizist und Never-Trumper Tom Nichols: "Aber mit seiner Reise nach Kiew und der Rede in Warschau ist Biden in die erste Liga der großen Außenpolitiker im Präsidentenamt aufgestiegen." Ähnlich urteilte der Ex-Abgeordnete Adam Kinzinger nach Bidens Begegnung mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj: "Kraftvoll. Ganz egal, wo man politisch steht: Das ist Amerika vom Feinsten."
Forderung nach mehr Waffenlieferungen
Den außenpolitischen Falken im konservativen Lager ging Bidens Absage an die russischen Expansionsgelüste gar nicht weit genug. "Der schnellste Weg zum Frieden ist es, Putin zu besiegen", schreibt etwa das "Wall Street Journal", das Biden bei aller rhetorischen Härte eine zu zögerliche Politik vorwirft. So habe Washington zunächst keine Panzer liefern wollen und halte nun Langstreckenraketen und F-16-Kampfjets zurück: "Es ist zunehmend dringend, der Ukraine alle Waffen zu liefern, die sie braucht."
Diese Stimmen aber vertreten längst nicht mehr die Mehrheitsmeinung bei den Republikanern. Es ist bezeichnend, dass sich deren Parlamentssprecher Kevin McCarthy in den vergangenen Tagen bei Twitter zu allen möglichen Dingen ausließ, aber keinen Kommentar zum Kiew-Besuch oder der Warschauer Rede von Biden abgab. Ein wachsender Teil seiner Fraktion stellt die Ukraine-Hilfen offen infrage. Der rechtsextreme Abgeordnete Matt Gaetz hat gerade einen Antrag eingebracht, der ein Ende der Unterstützung fordert.
Trump: "Wie verrückt ist das?"
Ex-Präsident Donald Trump warf seinem Nachfolger auf der eigenen Propagandaplattform "Truth Social" vor, er dränge Amerika "systematisch, vielleicht unbeabsichtigt, in die Richtung eines Dritten Weltkrieges". Trump, der von sich selbst behauptet, er könne den Ukraine-Konflikt innerhalb von 24 Stunden lösen, setzte mit Bezug auf Biden hinzu: "Wie verrückt ist das?"
Europa sollte sich daher keine Illusionen über die US-amerikanische Ukraine-Politik im Falle eines Präsidentenwechsels 2024 machen. Das Trump-Lager streut bereits breit die Argumente für einen Rückzug der USA. "Deutschland tut nicht genug", wetterte am Dienstag Ex-Botschafter Richard Grenell. Mehrere Abgeordnete des rechten Republikaner-Flügels forderten, Biden solle lieber die US-Grenze zu Mexiko als die der Ukraine sichern.
"Ich kann gar nicht ausdrücken, wie sehr die Amerikaner Joe Biden hassen", wütete die rechtsextreme Abgeordnete Marjorie Taylor Greene. Dem Demokraten warf sie vor, dass er am Montag, dem amerikanischen Presidents' Day, "die Ukraine Amerika vorgezogen" habe, "während er das amerikanische Volk zwingt, für die ukrainische Regierung und ihren Krieg zu zahlen".
Präsident ohne Krawatte
Ganz besonders erregte Greene, dass Präsident Selenskyj keine Krawatte trug: "Er nimmt unser Geld im T-Shirt und Pullover an, während sich Biden fein gemacht hat. Das ist beleidigend." (Karl Doemens aus Washington, 22.2.2023)