Dass Menschen schon vor zehntausenden Jahren erfolgreiche Operationen durchführen konnten, ist ein beeindruckendes Zeichen für fortgeschrittenes medizinisches Wissen und Können. Manchmal führten sie auch erstaunliche Prozeduren durch, etwa sogenannte Trepanationen, bei denen Löcher in die Schädeldecke gebohrt oder geschnitten wurden. Dies sollte körperliche und manchmal wohl auch mentale Leiden lindern und wurde zu verschiedenen Zeiten in unterschiedlichen Kulturen durchgeführt.

Doch nicht immer waren die Eingriffe erfolgreich, wie sich an der Knochenkante ablesen lässt. Ist diese glatt und scharfkantig, dürfte die betroffene Person recht kurz nach der OP verstorben sein. Überlebte sie, hatte der Körper quasi Zeit, auch am Knochen Heilungsprozesse anzuregen und weiteres Knochenmaterial anzubauen – die Kante wird also uneben.

Das Schädelloch des Fundes aus Israel in der Vergrößerung. Es befindet sich oben am Kopf des Verstorbenen. Der Vergleichsbalken stellt bei a und b zwei Millimeter dar, bei Bild c einen Zentimeter.
Foto: Rachel Kalisher et al.

Ein interessanter Fund, der im Fachjournal "Plos One" beschrieben wird, erzählt die Geschichte eines Mannes, der sich mit wenig Erfolg einer solchen Prozedur unterzog. Mit seinem Bruder lebte er vor etwa 3.500 Jahren in der Palastsiedlung Megiddo. Sie war in der Bronze- und Eisenzeit eine reiche und mächtige befestigte Stadt mit Tempeln und Palastgebäuden im Norden des heutigen Israels. Sie befand sich an einer damals wichtigen Handelsroute, der "Via Maris", die Ägypten mit Mesopotamien und Anatolien verband, und kontrollierte sie teils.

Bestattet unter dem Fußboden

Die Brüder waren von langer Krankheit und Entwicklungsstörungen bis auf die Knochen gezeichnet, als sie starben. Doch trotz ihrer Gebrechen waren sie in der Gesellschaft integriert und wurden würdevoll begraben, berichtet das Archäologenteam mit österreichischer Beteiligung.

Eine würdevolle Bestattung bedeutete zu jener Zeit in dieser Region, dass sie zusammen mit Essens-Opfergaben und edlen Keramikgefäßen unter dem Fußboden eines Hauses begraben wurden, erklärt Mario Martin vom Institut für Alte Geschichte und Altorientalistik der Universität Innsbruck: "Diese recht eigenartige Tradition muss irgendetwas mit Ahnenkult und Besitzansprüchen zu tun gehabt haben", sagt Martin, der von 2016 bis 2022 Co-Direktor der Ausgrabungen in Megiddo war.

Die Knochen des Älteren waren in der Erde noch als intaktes Skelett angeordnet, jene des Jüngeren wild zusammengewürfelt. Letzterer war vermutlich ein bis drei Jahre vor seinem großen Bruder verstorben und anderswo begraben worden, um nach dem Tod des älteren Bruders exhumiert und gemeinsam mit ihm in einem Winkel des Hauses bestattet zu werden. Dass es sich um Geschwister handelte, hatten Erbgutanalysen gezeigt.

Mangel in Kindheit

Ein Team um Rachel Kalisher von der Brown University in Providence (USA) inspizierte die Skelette. Der ältere Bruder war 21 bis 46 Jahre alt, als er starb. Abbauerscheinungen an der Deckknochenschicht im Dach der Augenhöhlen verraten, dass er in der Kindheit an Blutarmut (Anämie) oder Mangelernährung litt, sagt die Forscherin. Die beiden Hälften seines vorderen Schädelknochens sind nicht zusammengewachsen, was aber keinen Einfluss auf die Gehirnentwicklung habe.

Archäologin Rachel Kalisher bei der Arbeit in Megiddo.
Foto: Rachel Kalisher

Im rechten Oberkiefer hatte er einen zusätzlichen Mahlzahn, und sein Gesicht rund um die Nase war deformiert. Es war dort wohl aufgrund eines Aufpralls oder Stoßes gebrochen. "Diese Verletzung ist aber komplett verheilt", sagt Kalisher.

Anhaltende Infektionskrankheit

Ein Großteil seines Stützapparates war wohl von mehrere Jahre andauernden Entzündungen angegriffen: Knochenauflösung machte das Skelett porös, die Knochenhaut war durch entzündliche oder degenerative Prozesse sklerotisch, also verhärtet. "Es gibt mehrere Infektionskrankheiten, die solch ein Erscheinungsbild an den Knochen hinterlassen können", erklärt Kalisher, zum Beispiel Lepra, Tuberkulose und Syphilis. Es könnte sich demnach um einen der ältesten Hinweise auf eine Lepraerkrankung handeln.

Im Vorderschädel klafft ein quadratisches Loch von gut drei Zentimetern Seitenlänge. Der Schädel wurde offensichtlich chirurgisch geöffnet, wahrscheinlich um übermäßigen Druck auf das Gehirn zu lindern und eine gesundheitliche Verschlechterung aufzuhalten.

Vorgang einer Trepanation

"Zuerst wurden bei einem solchen Eingriff ein Hautlappen entfernt und zwei Furchen erzeugt. Die Ausübenden stoppten das Einkerben, wenn sie die Innenseite des Schädeldaches erreichten, um das Weichgewebe unmittelbar darunter nicht zu beschädigen. Wenn sämtliche Knochenstücke beweglich waren, wurden sie alle auf einmal mit einem Hebel entfernt", sagt Kalisher.

Die Trepanation, also das Loch im Schädel, ist im linken Bild im Detail zu sehen – ein entfernter Teil des Schädels wurde wieder eingesetzt. Rechts zwei erhaltene Bruchstücke, die bei der Analyse entdeckt wurden.
Foto: Rachel Kalisher et al.

Die Operation habe eine erfahrene Person mit großer Präzision durchgeführt. Zwei der Knochenstücke waren bei dem Skelett zu finden. Möglicherweise wurden sie wieder in das Loch gesteckt, damit die Wunde besser heilt. Doch dies passierte nicht mehr. Der Eingriff konnte das Leben des Schwerkranken nicht retten, er starb während der Operation oder bald darauf.

Der jüngere Bruder – er war bereits zuvor verstorben, als Teenager oder kaum älter als 20 Jahre alt – hatte ähnliche Leiden: Er dürfte schon als Kind Mangelerscheinungen gehabt haben oder anämisch gewesen sein. Ihm fehlte interessanterweise die Anlage eines Mahlzahnes. Außerdem zeigt sein Skelett Knochenschäden, vermutlich durch eine Infektionskrankheit. Die Auswirkungen auf das Skelett waren nicht so gravierend, möglicherweise, weil er rascher an der Erkrankung verstorben war.

Haus in Bestlage

"Das Haus, unter dem sie begraben wurden und in dem sie möglicherweise gelebt hatten, befand sich in Bestlage der Stadt Megiddo gleich neben dem Tor und Palast", erklärte Martin: "Sie müssen demnach zur lokalen Elite gehört haben." Ihr Elite-Status machte es den Brüdern wohl möglich, mit der Krankheit, die wahrscheinlich ihre Mobilität beeinträchtigte, mindestens ein paar Jahre zu leben.

Aus der durchgeführten Schädel-OP schließt das Forschungsteam, dass die beiden Brüder Zugang zu bester medizinischer Versorgung hatten – auch wenn die Operation letztlich nicht erfolgreich war und der Patient verstarb. Obwohl sie sehr krank und dadurch beeinträchtigt waren, wurden sie von ihrem Umfeld nach allem, was sich 3.500 Jahre nach ihrem Tod sagen lässt, nicht ausgeschlossen. Das zeigt nicht zuletzt ihre Bestattung – nach dem damaligen Usus und mit wertvollen Beigaben. (sic, APA, 22.2.2023)