Wien – Lange war der Onlinelieferdienst Gurkerl.at auf der Suche nach neuem Personal, lange betonte man, niemanden zu finden. Dieses Problem dürfte sich erübrigt haben. Dem Vernehmen nach hat das Unternehmen 290 der rund 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Kündigung angemeldet. Gurkerl-Sprecher Manuel Kalleder bestätigt die Zahl zwar nicht, dementiert sie aber auch nicht. Über eine genaue Anzahl von Kündigungen könne er noch keine Auskunft geben, der "Frühwarnsystemprozess für Kündigungen" sei aber "angestoßen" worden.

Grund dafür ist die geplante Vollautomatisierung des Logistikzentrums im 23. Bezirk. An den Standorten München und Frankfurt passiere diese Umrüstung bereits – weil das rund 14.000 Produkte umfassende Wiener Lager aber deutlich kleiner sei, würde der Integrationsprozess länger dauern. "Die Notwendigkeit, Platz für die Automatisierung zu schaffen, bedeutet, dass sich der Personalbedarf verringert", sagt Kalleder. Parallel bei voller Auslastung weiterzuarbeiten sei nicht möglich. Mit der Automatisierung will der tschechische Eigentümer, die Rohlik-Gruppe, die Produktivität an allen drei Standorten steigern und so schneller in die Gewinnzone kommen.

Der geplante Umbau hat auch Auswirkungen für Kundinnen und Kunden. Um die Automatisierung zu implementieren, reduziert Gurkerl die Kapazitäten im Angebot. Ob es weiterhin Lieferungen am selben Tag geben wird und gleich viele Bestellungen wie bisher aufgenommen werden, lässt Kalleder noch offen.

Gurkerl reduziert die Kapazitäten, wie sich das genau auf die Kunden auswirkt, hängt von der veränderten Nachfrage ab.
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Schneller Wechsel im Chefsessel

Dass der massive Expansionskurs des Online-Supermarktes so nicht weitergehen wird, zeichnete sich bereits Mitte Jänner ab. Da wurde bekannt, dass Rohlik das Management von Gurkerl und der deutschen Tochter Knuspr zusammenlegt. DER STANDARD hat berichtet. Dieser Schritt hat den damaligen Österreich-Chef Maurice Beurskens den Job gekostet. Er war seit der Gründung 2020 dabei.

Ihm folgte Erich Comor nach, bis dahin Geschäftsführer von Knuspr. Viel Gefallen dürfte Comor daran nicht gefunden haben, mit Ende Mai tritt er von dem Posten schon wieder zurück. Im Firmenbuch sind bereits zwei andere Geschäftsführer eingetragen, einer davon ist Olin Novák, der CEO International bei Rohlik. Laut Gurkerl wird Comor gemeinsam mit Novák bis Ende Mai übergangsmäßig das Unternehmen leiten, danach solle ein neuer CEO übernehmen.

Auch in anderen Märkten steigt Rohlik beim Expansionskurs auf die Bremse. Der Geschäftsauftakt in Madrid und Mailand wurde vorübergehend auf Eis gelegt, wie das tschechische Medium "Czechcrunch" berichtet.

Zu schnelles Wachstum?

Gurkerl ist sehr schnell gewachsen. Zu schnell? Durch schlechte Organisation und fehlende Strukturen sei viel Geld verbrannt worden, sagen Personen, die das Unternehmen kennen. Dass große Summen vor allem ins Marketing gelaufen sein dürften, zeigt die Präsenz der Marke. Nun brauche es also den Rotstift, um nicht ganz zusperren zu müssen, heißt es. Gurkerl verweist lediglich darauf, den Standort automatisieren zu müssen, um profitabel zu wachsen. "Wir müssen einen Schritt zurückgehen, um dann zwei Schritte nach vorne zu gehen", sagt Unternehmenssprecher Kalleder. Die Gerüchte, dass gewisse Geschäftsteile nach Tschechien oder Deutschland ausgelagert werden, weist er zurück.

Das Logistikzentrum im 23. Bezirk soll vollautomatisiert werden.
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Schlechte Arbeitsbedingungen

Bei Unternehmen, die auf ultraschnelles Wachstum setzen und offensives Marketing betreiben, gibt es immer wieder Vorwürfe über schlechte Arbeitsbedingungen. Das ist bzw. war bei Gurkerl.at nicht anders. Im Kältebereich des Lagers steht jede Stunde eine zehnminütige Aufwärmpause zu, um diese wahrzunehmen, müssen Angestellte aus- und wieder einstempeln, auch Toilettenpausen würden von der Arbeitszeit abgezogen, so entstehen schnell Minusstunden, erzählen dem STANDARD ehemalige und aktuelle Mitarbeiter, die anonym bleiben wollen. Klickt man sich durch Kununu, die Bewertungsplattform für Arbeitgeber, raten die meisten von einem Job bei Gurkerl ab.

"Im Büro sind die Arbeitsbedingungen auch nicht besser als im Lager", sagt einer, der Angst um seinen Job hat. Der Umgangston sei harsch, die Kontrollen übergenau, und wer nicht ausreichend abliefere, müsse gehen, heißt es. Ein derartiges System stritt der damalige Chef Beurskens ab, bestätigte aber starke Fluktuation im Lager und dass Mitarbeiter ihre "Leistung bringen müssen". Zur aktuellen Lage bei Gurkerl äußert er sich auf Nachfrage nicht. Er habe Ende Jänner alle Aufgaben übergeben und seither keinen Kontakt und Einblick mehr.

Schweres Umfeld

Um einen Online-Supermarkt zu betreiben, ist Österreich generell ein hartes Pflaster. Die Supermarktdichte ist hierzulande so hoch wie kaum irgendwo anders. Außerdem ist die Corona-Pandemie vorbei. Die beflügelte zuerst die Essenszusteller, dann die mobilen Supermärkte. Dementsprechend ist der Lebensmittelhandel eine schwer zu erklimmende Festung. Bei dem Versuch scheiterten bereits einige Unternehmen. Im Dezember etwa meldete Flink Austria, eine Tochter des deutschen Lebensmittel-Blitzlieferdienstes Flink, und ihre Fahrradboten-Tochter nach etwas mehr als einem Jahr Insolvenz an. Rund 450 Beschäftigte waren vom Scheitern betroffen. Yipbee, Zuper und Jokr verschwanden ähnlich schnell, wie sie gekommen waren. (Andreas Danzer, 23.2.2023)