Ein Schnapserl nach deftigem Essen fördert nicht tatsächlich die Verdauung, es betäubt nur das Völlegefühl.

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Rund um das Thema Alkohol ranken sich viele Mythen – manche davon animieren zum Trinken, andere verharmlosen den eigenen Alkoholkonsum und verwandeln ihn in einen Schenkelklopfer. Was alle gemeinsam haben: Sie sind eher positiv konnotiert.

Kein Wunder, findet Kurt Fellöcker, Psychotherapeut und Leiter des Lehrgangs für Suchtberatung und Prävention an der Fachhochschule St. Pölten. Schließlich seien Mythen eine Form von Abwehrmechanismen, erklärt er. "Es ist ja nicht so, dass Menschen nicht wissen würden, dass Alkohol schlecht für einen ist. Es ist Suchtexperten auch ein Rätsel, warum Alkohol nicht als harte Droge klassifiziert ist. Um dieses Wissen abzuwehren und sich die Lusterfahrung durch den Alkohol nicht zu nehmen, werden Mythen gebildet." Grund genug, über vier weitverbreitete Mythen aufzuklären:

Mythos Nr. 1: Bier auf Wein, das lass sein. Wein auf Bier, das rate ich dir

Was heute als gut gemeinter Tipp, um einem Kater vorzubeugen, gilt, hat eigentlich einen ganz anderen Ursprung. Man vermutet, dass sich der Mythos historisch erklären lässt. Früher konnten sich arme Menschen nur Bier leisten, Wein stand für einen gesellschaftlichen Aufstieg. Von Bier auf Wein umzusteigen war also erstrebenswert. Als Antikatertipp hält der Mythos einer wissenschaftlichen Prüfung allerdings nicht stand, wie Studien zeigen.

Britische und deutsche Forschende haben den Mythos mit 90 Teilnehmerinnen und Teilnehmern untersucht. Drei Gruppen sollten Bier und Wein in verschiedenen Reihenfolgen trinken. Eine Gruppe bekam erst zweieinhalb Pints, das sind etwa 1,4 Liter, Bier und dann vier Gläser Weißwein. Die zweite Gruppe trank die Getränke genau andersherum. Und jeweils eine weitere Gruppe trank entweder nur Bier oder nur Wein. Am Ende sollten alle Probandinnen und Probanden die gleiche Menge Alkohol, nämlich 1,1 Promille, im Blut haben.

Als Grundlage erhielten vorab alle die gleiche, am persönlichen Gewicht orientierte Mahlzeit. Vor dem Schlafengehen gab es noch ein Glas Wasser. Am nächsten Tag wurden die Katersymptome gemessen. Eine Woche später wurde das Experiment mit vertauschten Trinkrollen wiederholt.

Das – wortwörtlich – ernüchternde Ergebnis: Es spielt für den Kater am nächsten Tag absolut keine Rolle, in welcher Reihenfolge Wein und Bier getrunken werden. Zu viel ist einfach zu viel, egal in welchem Getränk der Alkohol enthalten ist.

Mythos Nr. 2: Schnaps kurbelt die Verdauung an

Nach einer deftigen Mahlzeit lässt das unangenehme Völlegefühl oft nicht lange auf sich warten. Was helfen soll? Ein Verdauungsschnapserl – so zumindest die weitverbreitete Annahme. Dabei fördert Hochprozentiges nicht die Verdauung, zeigt die Faktenlage. In einer randomisiert-kontrollierten Studie wurde verglichen, wie sich verschiedene Getränke auf den Magen und dessen Entleerung auswirken. Die Ergebnisse zeigen, dass Alkohol die Verdauung eher verlangsamt, anstatt sie zu fördern. Der Schnaps würde zwar die Magenmuskulatur entspannen und so das Völlegefühl betäuben, aber tatsächlich tut man sich damit nichts Gutes. Dazu kommt, dass hochprozentiger Alkohol die Magenschleimhaut reizen kann. Besser: ein Verdauungsspaziergang, der Kreislauf und Verdauung in Schwung bringt, eine Wärmflasche zur Entspannung, eine sanfte Bauchmassage oder eine Tasse Tee.

Mythos Nr. 3: Wer davor viel und fett isst, verträgt mehr Alkohol

Da werden wohl bei vielen Erinnerungen an die Teenagerzeit wach. Man wusste: Wer trinken will, braucht eine ordentliche Unterlage. Trinkt man auf leeren Magen, fühlt man sich schneller angetrunken.

Aber die Wirkung der vorsorglichen Unterlage ist trügerisch. Reichhaltiges Essen verzögert nur die Aufnahme von Alkohol ins Blut, am Ende kommt der getrunkene Alkohol aber in jedem Fall dort und damit auch im Gehirn an. Durch die Verzögerung kann die Wirkung des Alkohols unterschätzt werden.

Mythos Nr. 4: Alkohol kann man wieder rausschwitzen

Manche kennen das vielleicht. Wenn man sich trotz Hangover zum Sporteln aufrafft, fühlt man sich danach meist deutlich besser.

Das liegt aber nicht daran, dass man den Alkohol "rausgeschwitzt" hat, ganz im Gegenteil. Nur ein geringer Teil des Alkohols wird über die Haut und die Nieren ausgeschieden. Den Großteil verarbeitet der Körper zu Wasser und Kohlenstoffdioxid. Über 90 Prozent des Alkohols baut die Leber ab – und das dauert. Bei Frauen sinkt der Alkoholgehalt durchschnittlich um 0,13 Promille, bei Männern um 0,15 Promille pro Stunde.

Und für alle diese regenerativen Stoffwechselvorgänge braucht der Körper ausreichend Flüssigkeit. Wenn diese fehlt oder nicht genügend davon da ist, verschlechtert sich die körpereigene Fähigkeit der Regeneration. Mit der Flüssigkeit werden zudem auch wichtige Salze und Mineralien ausgeschieden, das erhöht das Risiko für Krämpfe. Sport oder Saunieren verlangsamt also das Auskatern, statt es zu beschleunigen. Auch ein Spaziergang an der frischen Luft beschleunigt den Alkoholabbau im Körper nicht, wenngleich man sich dadurch vielleicht immerhin subjektiv ein bisschen besser fühlt. Jedenfalls gilt: Ausreichend trinken. Wasser, versteht sich. (poem, 26.2.2023)