Mit der Begrünung rund um den Lene-Voigt-Park in Leipzig sind die Preise rasant gestiegen.

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2004 war er endlich fertig. Drei Jahre nachdem einzelne Bereiche bereits eröffnet worden sind, bietet der Lene-Voigt-Park im Osten der deutschen Stadt Leipzig seither allen voran den Anwohnerinnen und Anwohnern deutlich mehr Lebensqualität. Auf einer Länge von 800 Metern wachsen Hecken und Robinien aus dem Boden. Sie werfen einen Schatten auf den Spielplatz, die Tischtennisplatten – aber auch auf die Immobilienpreise rund um den Park.

Denn während auf der früheren Brachfläche des noch früheren Bahnhofsgeländes immer mehr Grün gen Himmel wächst, schießen auch die Miet- und Kaufpreise in den Gebäuden rundherum rasant in die Höhe. "Und das, obwohl es in Leipzig zuvor sogar deutlichen Leerstand gab", sagt Annegret Haase. Man sei lange davon ausgegangen, dass sich in Städten, in denen kein angespannter Wohnungsmarkt herrscht, keine sogenannte grüne Gentrifizierung entwickelt. "Das hat sich nicht bewahrheitet", weiß Haase heute.

Bäume steigern Immobilienwert

Die Stadtsoziologin forscht am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig. Sie befasst sich seit vielen Jahren mit schrumpfenden Städten, wie Leipzig bis zur Jahrtausendwende eine war, und eben auch dem Phänomen der grünen Gentrifizierung.

Gentrifizierung generell beschreibt die Verdrängung der ansässigen Bevölkerung durch wohlhabendere Bevölkerungsschichten, weil Grätzel etwa durch Sanierung oder Umbau der Gebäude aufgewertet werden. Grüne Gentrifizierung ist eine Abstufung davon. Der Begriff beschreibt die Verdrängung einkommensschwacher Haushalte durch steigende Immobilienpreise aufgrund von neuen, naheliegenden und hochwertigen Parks sowie Grünanlagen.

Wie alles begann

Green Gentrification erforschen Wissenschafterinnen und Wissenschafter seit Mitte der 2000er-Jahre. Angefangen hat alles mit der High Line, einem erhöhten und teilweise begrünten Gehweg in Manhattan, New York City.

Während die ehemalige Güterzugtrasse zwischen 2006 und 2019 zum High Line Park umgebaut und in Abschnitten der Öffentlichkeit übergeben wurde, zogen rundherum immer mehr Bewohnerinnen und Bewohner aus ihren Wohnungen aus. Der Grund: Sie konnten sich die Mieten nicht mehr leisten. Die Immobilienpreise stiegen rasant.

Ein Blick über die US-amerikanischen Landesgrenzen offenbarte dasselbe Phänomen in Städten wie beispielsweise Toronto, Montreal und auch Vancouver, berichtet Haase. Mittlerweile belegen mehrere Studien, dass die Zunahme von Grünflächen wie die des High-Line-Parks zu Gentrifizierung führen kann.

Mit dem Bau des High-Line-Parks in New York City zogen rundherum die Immobilienpreise an.
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Seit rund zehn Jahren ist auch der deutsche Begriff der grünen Gentrifizierung in wissenschaftlichen Beiträgen gängig. In Europa hat sich das Phänomen unter anderem in London, Paris, Berlin, Barcelona und eben auch Leipzig verbreitet. Laut Haase wächst Leipzig seit 2010 stark. Bis dahin sei der Wohnungsmarkt aus Mietersicht vergleichsweise entspannt, die Wohnkosten seien vergleichsweise niedrig gewesen.

Ironischerweise, so berichtet Haase, sei die Idee zur Begrünung des brachliegenden Eisenbahngebiets auch entstanden, um einer Abwanderung des Arbeitergebiets entgegenzuwirken. Parallel zur Sanierung des Baubestands rund um das Areal habe die Stadt einen partizipativer Prozess in Gang gesetzt, um die Bewohnerinnen und Bewohner in die Planung einzubeziehen.

Standortfaktor Grün

"Das Problem mit der Verdrängung ist, dass man erst darauf aufmerksam wird, wenn die Leute schon weg und höhere Bildungsschichten eingezogen sind", sagt Haase. Eine Erhebung in den Jahren 2017 und 2019 habe aber gezeigt, dass die Kosten und ebenso der Verdrängungseffekt schneller gestiegen sind als in anderen Gebieten der Stadt.

Dass ein Zusammenhang zwischen dem neuen Park und den gestiegenen Wohnkosten besteht, zeigt laut Haase auch ein Blick auf die Wohnungsinserate. Ein signifikanter Anteil der Inserate weise auf das Grün als Standortfaktor hin.

Immobilienunternehmen würden in Leipzig seither häufig mit grünen oder blauen Standortqualitäten, sprich Wasser in der unmittelbaren Umgebung, werben. Entwickler würden sogar im Voraus informieren, wo künftig Parks oder Wasserflächen entstehen, um dort Projekte zu realisieren. "Das wird ganz einfach auf die Renditen umgelegt", sagt Haase. Das sei mittlerweile in vielen Großstädten zu beobachten – Leipzig sei hier keine Ausnahme.

Grünes Paradox

Aber was bedeutet das nun für Städte und ihre Bewohnerinnen und Bewohner? Qualitativ hochwertige Parks und Grünflächen sind wichtig, um Hitzeinseln zu vermeiden. Andererseits sollten sich Anwohnerinnen und Anwohner auch die Wohnkosten weiterhin leisten können. "Nicht begrünen ist nicht die Lösung", sagt Haase. Stattdessen sei die Politik gefragt.

Denn: "Nicht das Grün treibt die Preise, sondern der Immobilienmarkt", sagt sie weiter und dass ökologische und soziale Ziele nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen.

Wichtig sei es, einerseits marktwirtschaftliche Verteilungsgerechtigkeiten herzustellen und Begrünung von Anfang an mitzudenken. In Leipzig etwa seien rund um den Lene-Voigt-Park mittlerweile Luxussanierungen verboten. Derartige Regelungen kann sich Haase in Zusammenhang mit grüner Aufwertung vorstellen. Allerdings brauche es für jedes Grätzel eigene Lösungsansätze.

Grüne Gentrifizierung in Österreich

Ob grüne Gentrifizierung auch in Wien ein Thema ist oder noch wird, das versucht Thomas Thaler herauszufinden. Er forscht an der Universität für Bodenkultur aktuell an einem Projekt mit dem Namen "The social equality of Nature-based Solutions to urban heat stress", kurz Sensus.

Im Zentrum steht die Frage, wie naturbasierte Lösungen in Städten zu einer höheren Widerstandsfähigkeit gegenüber steigenden Hitzebelastungen beitragen können, ohne dabei soziale Ungleichheiten zu verstärken. Dafür arbeitet Thaler mit der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) und der TU Wien zusammen. Finanziert wird das Projekt vom Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds (WWTF).

Während der Pandemie sei die Nachfrage nach Grünflächen stark gestiegen. Auch der Green Deal sehe mehr Grün- und Blauflächen in Städten vor. Das bringe nachweislich weniger psychologischen Stress, könnte aber auch soziale Folgen haben, und die gilt es zu beobachten, sagt Thaler.

Wiens Hitzeinseln

Eine kürzlich durchgeführte Umfrage in Wien sei für die Forschenden zu einem überraschenden Ergebnis gekommen: In der Nähe gelegene Grünflächen spielen bei der Wohnungswahl keine große Rolle. Nähe zu Kindergarten, Schule, U-Bahn und Arbeitsplatz seien wichtiger.

Allerdings, so Thaler, gibt es bestimmte Bevölkerungsgruppen, die den Grünraum in der Stadt benötigen. Etwa jene, die kein Auto besitzen oder deren soziale Kontakte sich hauptsächlich in der Stadt bewegen.

Für jene rund 60 Prozent der Wiener Bevölkerung, die im geförderten Wohnbau wohnen, werde es keine Veränderung geben, wenn naheliegend Grünflächen entstehen. "Die Mieten sind gedeckelt", sagt Thaler. Für die restlichen 40 Prozent sehe es anders aus.

In Wiens Hitzeinseln wie etwa Margareten, Ottakring, Hernals und Brigittenau leben einkommensschwache Personen, weiß Thaler. Dort sei auch die Baustruktur vermehrt schlechter, die Wände beispielsweise dünner und die Mietverträge eher befristet. Hier stelle sich jedenfalls die Frage, was geschieht, wenn mehr Grünflächen entstehen.

Denn auch in Wien sind Parks und Teiche Marketingmaßnahmen, um Wohnungen zu vermieten. "Den Trend beobachten wir auch in Österreich", sagt Thaler. In Floridsdorf nahe der Donau seien die Immobilienpreise bereits gestiegen. "Am besten wäre überall gleichzeitig Grünflächen anzulegen, dann könnte der Immobilienmarkt nicht reagieren", sagt Thaler. (Julia Beirer, 1.3.2023)