Es ist kaum zu übersehen – in Großbritannien sind frisches Obst und Gemüse derzeit Mangelware.

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Die Knappheit bei Tomaten, Paprika und Salat hat in Großbritannien den bestehenden Konflikt zwischen der konservativen Regierung und dem Landwirtschaftssektor verstärkt. Nachdem mehrere große Supermärkte frisches Gemüse rationierten, kam die zuständige Ministerin Therese Coffey bei der Jahrestagung des Bauernverbands in Birmingham unter heftigen Beschuss. Die Tomatennot habe mit dem Brexit nichts zu tun, beteuerte die Ministerin, vielmehr sei schlechtes Wetter auf der Iberischen Halbinsel dafür verantwortlich: "Und ich habe keine Kontrolle über das Wetter in Spanien."

Die Kunden melden es seit Wochen, diese Woche zogen große Einzelhändler wie Asda, Morrisons und Tesco die Konsequenz: Ab sofort gibt es in den Ketten mit vielen Filialen, die den Handel mit frischen Waren weitgehend kontrollieren, bestimmte Waren nur noch rationiert. Bei Morrisons gilt die Einschränkung für Gurken, Paprika, Salat und Tomaten; Asda-Kunden dürfen auch Himbeeren, Karfiol und Brokkoli nur noch begrenzt einkaufen. "Wie andere Supermärkte haben wir Schwierigkeiten bei der Versorgung mit Waren, die in Südspanien und Nordafrika angebaut werden", hieß es bei Asda.

Ungewöhnlich kühl

Das Landwirtschaftsministerium und die BBC begründen die Engpässe mit ungewöhnlich kühlem Wetter in Andalusien, der Hauptanbauregion Spaniens, sowie Überschwemmungen in Marokko. Zusätzlich hätten heftige Winterstürme den Transport frischer Waren aus Nordafrika über die Straße von Gibraltar zeitweise unmöglich gemacht.

Tatsächlich importiert die Insel seit langem den überwiegenden Teil ihres Bedarfs an Obst und Gemüse, vor allem aus Spanien. Im Winter liegt der Importanteil beispielsweise für Tomaten bei rund 95 Prozent. An einen weiteren wichtigen Faktor für die Knappheit aber wurde Ministerin Coffey in aller Schärfe vom Bauernverband NFU erinnert. NFU-Präsidentin Minette Batters lobbyiert seit Monaten dafür, dass ihre milliardenschwere Branche in ein Hilfsprogramm der Regierung für energieintensive Industrien einbezogen wird – vergeblich. Erst diese Woche wies die Regierung von Premier Rishi Sunak das Ansinnen erneut zurück: Wenn man den Bauern Erleichterungen verschaffe, müssten das alle Konsumenten von Strom und Gas durch höhere Preise ausgleichen.

Treibhäuser stillgelegt

Die Folge: Anders als in früheren Wintern haben Gemüsebauern auf der Insel ebenso wie in den benachbarten Niederlanden angesichts der exorbitant gestiegenen Energiepreise ihre Treibhäuser stillgelegt. Die größte derartige Einrichtung Europas in der englischen Grafschaft Kent sei früher "voll gewesen mit Salat, Paprika und Tomaten", erinnert sich der frühere Sainsbury's-Chef Justin King. Derzeit aber könne sich die Branche den Betrieb nicht leisten. Zusätzlich spielt dem Spitzenmanager zufolge auch der EU-Austritt eine Rolle: "Der Sektor hat unter dem Brexit brutal gelitten."

Dementsprechend feindselig war der Empfang für die Ministerin in Birmingham. Als NFU-Chefin Batters auf den eklatanten Rückgang bei der Eierproduktion auf der Insel hinwies – im vergangenen Jahr lieferte die Branche eine Milliarde Eier weniger aus als 2021 –, erwiderte Coffey unter Buhrufen: "Ich kann da kein Versagen des Marktes erkennen." Dabei haben Geflügelzüchter ähnliche Probleme wie die Obst- und Gemüsebauern: Während die Regierung die früher geltenden EU-Subventionen abschaffte und nur unzureichend ersetzte, wuchsen die Preise für Energie, Futter und Düngemittel. Zudem herrscht erhebliche Knappheit auf dem Arbeitsmarkt, weil Erntehelfer und Metzger aus Osteuropa ausbleiben.

Engpässe bleiben

Sie habe Anstoß genommen an den Äußerungen der Ministerin, erläuterte Batters: "Die Regierung könnte mehr dazu beitragen, damit hier im Land mehr Lebensmittel produziert werden." Einstweilen müssen sich die Konsumenten darauf einstellen, dass die Engpässe noch wochenlang so weitergehen.

Zudem steht ein weiteres Problem am Horizont: Erst Anfang nächsten Jahres enden alle Übergangsfristen für die Einfuhr von Obst und Gemüse aus dem EU-Binnenmarkt. Und da es der Brexit-Regierung nicht gelingt, ihr Verhältnis zu Brüssel zu normalisieren, ist damit die nächste Versorgungskrise programmiert. (Sebastian Borger aus London, 23.2.2023)