Protest gegen den israelischen Militäreinsatz von Nablus: Die Anspannung im Nahen Osten ist zuletzt weiter gestiegen.

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In Israel und den Palästinensergebieten wird die Sorge nach einer weiteren Eskalation der Gewalt durch neuerliches Blutvergießen und weitere Waffengewalt genährt. In der Nacht auf Donnerstag griffen Terrorgruppen aus dem Gazastreifen grenznahe Gebiete in Israel an. Fünf Raketen konnten vom Schutzschild Iron Dome abgefangen werden, eine Rakete fiel auf unbewohntes Gebiet. In Reaktion auf die Angriffe bombardierten die israelischen Streitkräfte wenige Stunden später zwei militärische Ziele im Gazastreifen.

Zuvor waren bei einem israelischen Militäreinsatz in der palästinensischen Stadt Nablus im Westjordanland laut Angaben von Rettungskräften mindestens zehn Menschen getötet und mehr als hundert teils schwer verletzt worden, darunter auch Zivilisten. Damit steigt die Zahl der Menschen, die von israelischen Streitkräften getötet wurden, auf 60 seit Jahresbeginn. Im selben Zeitraum häuften sich Attentate palästinensischer Terroristen. Zehn Israelis und ein Ukrainer wurden dabei getötet, darunter auch zwei Kinder.

Vorsichtige Kritik

EU-Außenbeauftragter Josep Borrell erklärte in einer Aussendung, die EU "bedauert den Tod von Zivilisten". Gewalt dürfe "nur als letztes Mittel" eingesetzt werden.

Vorsichtige Kritik am Einsatz kommt von einem prominenten Militäranalysten in Israel. Amos Yadlin, früherer Direktor des israelischen Instituts für Sicherheitsstudien, sagte gegenüber "Ynet": "Gestern wurde eine Menge Blut vergossen. Wir müssen prüfen, ob das Vorgehen in Nablus gerechtfertigt war, ob es tatsächlich nötig war, um eine tickende Bombe zu entschärfen. Sollte das nicht der Fall sein, dann sind wir hier vielleicht zu weit gegangen." Pflegekräfte des Najah-Krankenhauses in Nablus berichten von einer Häufung von Schussverletzungen im Kopf- und Brustbereich sowie im Becken- und Oberschenkelbereich.

Die israelische Armee hingegen erklärte gegenüber Medien, der Einsatz sei notwendig gewesen, um drei gesuchte Terroristen festzusetzen. Die Männer seien nicht nur verdächtig, mehrere Schussattentate begangen zu haben, sondern auch weitere Anschläge zu planen. Man habe das Feuer erst eröffnet, als zwei der gesuchten Terroristen begannen, auf die Streitkräfte zu schießen. Sie seien dabei von anderen unterstützt worden, die Molotow-Cocktails auf die Soldaten schleuderten. Kein Armeeangehöriger wurde verletzt.

Weitere Attentate befürchtet

Ein Sprecher der Hamas verkündete am Donnerstag, das "Massaker von Nablus" habe "seinen Preis". Dass es nun vermehrt zu Raketenangriffen oder sogar zu einem neuen Gazakrieg kommen könnte, gilt als weniger wahrscheinlich. Sicherheitskreise erwarten vielmehr einen Anstieg terroristischer Angriffe auf israelische Ziele im Westjordanland, aber auch Attentate auf Zivilisten in Israel sind zu befürchten. Die Hamas verfolgt derzeit die Strategie, den Gazastreifen aus einer Eskalation so weit wie möglich herauszuhalten, damit die eigene militärische Infrastruktur intakt bleibt. Man setzt auf kleinteilige Gewalt im Gazastreifen, die bei Israelis zu mehr Blutvergießen führt – in der Folge aber auch bei Palästinensern.

Israels ultrarechte Regierung hat indes die Kommandostruktur im besetzten Westjordanland aufgespalten. Nach einem wochenlangen Machtkampf zwischen Verteidigungsminister Yoav Gallant von Netanjahus Likud-Partei und Finanzminister Bezalel Smotritsch von den rechtsextremen Religiösen Zionisten wurde ein wichtiger Teil der zivilen Befehlsgewalt im Westjordanland an Smotritsch übertragen. Bisher waren alle zivilen und militärischen Kompetenzen im Westjordanland beim Verteidigungsminister angesiedelt. In der Armee befürchtet man nun, dass durch den Bruch in der Befehlskette neue Sicherheitslücken entstehen. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 23.2.2023)