Unter seiner blauen Anzughose lugten derbe Lederstiefel hervor. Auf dem Kopf thronte ein rotes "Make America Great Again"-Käppi. "Sie haben nichts für euch getan", rief Donald Trump den Zuhörern in der örtlichen Feuerwache von East Palestine, Ohio, zu: "Aber wir stehen euch bei!" Dann ließ er ein paar Tausend Flaschen Wasser verteilen. Einige hatten ein edles blaues Etikett mit einem Fantasiewappen. "Passt auf, dass ihr das Trump-Wasser bekommt", riet der Ex-Präsident: Das andere habe "eine sehr viel schlechtere Qualität".

Nur billiger Populismus und Wahlkampfschmäh? Donald Trump verteilt Mineralwasser.
Foto: REUTERS/Alan Freed

Der hastig organisierte Kurzbesuch von Trump in dem von einer Umweltkatastrophe heimgesuchten Ort am Mittwoch hatte alle Merkmale einer politischen Publicity-Show. Stundenlang mussten seine Anhänger im Regen ausharren. Die Schulen blieben geschlossen, um die Straßen für die Wagenkolonne des republikanischen Kandidaten für die Präsidentschaftsvorwahlen freizuhalten.

Wenig Interesse, viel Show

Für die Hintergründe des desaströsen Unglücks, bei dem vor drei Wochen ein 2,8 Kilometer langer Güterzug mit 150 Wagons voller giftiger Chemikalien wegen eines überhitzten Radlagers entgleist, teilweise in Brand geraten und anschließend kontrolliert abgefackelt worden war, interessierte sich Trump eher wenig. Dafür besuchte er eine McDonald's-Filiale, um sich vor laufenden Kameras für den Rückflug demonstrativ mit Hamburgern einzudecken. "Ich kenne die Speisekarte besser als alle anderen hier", brüstete er sich. Zum Abschied rief er den Wartenden zu: "Habt viel Spaß!"

Doch trotz dieser bizarren Szenen bereitet der populistische PR-Gag des Ex-Präsidenten der Biden-Regierung heftige Kopfschmerzen. Kurz nach dessen Bekanntwerden kündigte der demokratische Verkehrsminister Pete Buttigieg für den Donnerstag ebenfalls einen Besuch in dem Katastrophenort an.

Präsident Joe Biden versicherte derweil den Einwohnern über Twitter, dass sie seine Unterstützung hätten. Und das Weiße Haus betonte, Biden habe aus Warschau mehrere Telefonate mit den Gouverneuren von Ohio und dem Nachbarstaat Pennsylvania sowie mit dem Chef der Umweltbehörde EPA, Michael Regan, geführt, um über die Situation auf dem Laufenden zu bleiben.

Unmut der Bevölkerung

Ob das reicht, den Unmut vor Ort einzufangen, ist fraglich. Bei der Verbrennung der krebserregenden Chemikalie Vinylchlorid war Anfang des Monats nämlich ein gewaltiger schwarzer Rauchpilz aufgestiegen, und die giftigen Gase Chlorwasserstoff und Phosgen wurden freigesetzt. Seither klagen viele der 5000 Bewohner von East Palestine über Augenreizungen, Kopfschmerzen und Übelkeit. Im Ohio River und seinen Zuflüssen wurden tausende tote Fische gefunden. Im Internet kursieren Bilder von verendeten Haustieren und Füchsen, die angeblich seit dem Unfall gestorben sind.

Zwar haben Messungen der EPA weder in der Luft noch im Wasser noch in einigen Hundert Häusern gefährliche Konzentrationen von Giftstoffen festgestellt. Doch in der Bevölkerung herrscht große Verunsicherung über mögliche Langzeitfolgen – und eine Vertrauenskrise hinsichtlich der Politik, die sich lange nicht um diese ländliche Gegend gekümmert hat. Dazu trug auch bei, dass renommierte US-Medien zwei Wochen lang nicht über die Umweltkatastrophe berichteten. Umso dramatischer wurde der Vorfall in rechten Internetforen und beim rechten Sender Fox News zu einem "Tschernobyl in Ohio" dramatisiert.

"Ihr seid vergessen"

Vor diesem Hintergrund fällt Trumps Botschaft auf fruchtbaren Boden. "Ihr seid vergessen!", rief er den Zuhörern zu. Hinter ihm stand Trent Conaway, der örtliche Bürgermeister, der den derzeitigen Präsidenten Biden vor wenigen Tagen scharf angegriffen hatte: "Wir sind ihm egal", kritisierte er dessen Kiew-Besuch. "Er gibt den Menschen dort drüben Millionen Dollar, nicht uns. Ich bin wütend." Das ist das Narrativ, das seit Tagen auch von Fox News bedient wird.

Tatsächlich hat die Regierung rasch Fachleute an den Unglücksort geschickt, den Vorfall aber extrem technokratisch behandelt. Verkehrsminister Buttigieg erklärte ausdrücklich, er wolle sich aus der Sache heraushalten, solange die Ermittlungen zur Unglücksursache liefen. Auch EPA-Chef Regan ließ sich erst nach zwei Wochen persönlich vor Ort blicken. "Ich hätte früher darüber reden können, wie stark mich dieser Vorgang berührt", gestand Buttigieg nun in einem Fernsehinterview ein. Ansonsten versucht er, die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Profitgier des Eisenbahnunternehmens Norfolk Southern und auf die von der Trump-Regierung gelockerten Sicherheitsvorschriften zu lenken.

Die um ihre Zukunft bangenden Einwohner von East Palestine dürfte das weniger interessieren. Und die Republikaner samt ihren Hilfstruppen tun alles, um deren Notlage für ihre Ziele zu nutzen. "Don hat geliefert", jubelte der rechte Fox-Moderator Sean Hannity am Mittwoch. Im einstigen Swing-State Ohio, der von Barack Obama noch gewonnen worden war und dann 2016 an Trump fiel, dürften die Demokraten künftig einen noch schwereren Stand haben. "Das Trump-Wasser hat den Linken den Rest gegen", jubelte am Donnerstag Donald Trump Jr., der Sohn des Ex-Präsidenten, schon auf Twitter. (Karl Doemens aus Washington, 23.2.2023)