Im Gastblog behandelt Rechtsanwältin Piroska Vargha die Frage, bis zu welchem Zeitpunkt rechtlich von einer Lebensgemeinschaft gesprochen werden kann.

Das Eingehen einer Lebensgemeinschaft (und deren Beendigung) liegt in der Privatsphäre einer jeden Person. Ob, ab wann und wie lange von einer Lebensgemeinschaft zu sprechen ist, hat aber nicht nur persönlich-emotionale, sondern auch ganz greifbar rechtliche Bedeutung. Der Oberste Gerichtshof hat sich bereits öfter mit den Kriterien des Bestehens und der Beendigung einer Lebensgemeinschaft im Sinne des § 725 ABGB auseinandergesetzt – und dennoch tauchen immer wieder Einzelfälle auf, die eine neue Facette an Überlegungen erfordern.

Lebensgemeinschaften können auch dann als beendet anerkannt werden, wenn dies nicht explizit ausgesprochen wurde.
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Eine Lebensgemeinschaft zeichnet sich grundsätzlich durch eine eheähnliche Verbindung zwischen zwei Personen aus, die einerseits in einer seelischen Verbundenheit wurzelt, andererseits in der Regel auch die Merkmale einer Wohn-, Wirtschafts- und Geschlechtsgemeinschaft aufweisen muss.

Lebensgefährtin als Alleinerbin

Im hier gegenständlichen Fall musste der OGH über das Erbrecht der im Testament als "Lebensgefährtin" betitelten Alleinerbin (im Weiteren "die Erstantragstellerin") und der acht gesetzlichen Erbberechtigten urteilen. Die Frage, ob eine Lebensgemeinschaft vorlag, stand im Mittelpunkt: Der 2017 verstorbene Erblasser und die Erstantragstellerin lernten einander in den 1980er-Jahren kennen und gingen im Jahr 1997 eine Beziehung ein. Der Erblasser war in Niederösterreich, die Erstantragstellerin in Tirol wohnhaft. Ihren Kontakt gestalteten sie in alternierenden, jeweils mehrwöchigen wechselseitigen Besuchen und verbrachten so durchschnittlich etwa sechs Monate im Jahr miteinander.

Die Beziehung zeichnete sich in erster Linie durch eine tiefe seelische Verbundenheit und ein Zusammengehörigkeitsgefühl aus. Sie tauschten Zärtlichkeiten aus, vollzogen aber nur sehr selten den Geschlechtsverkehr.

Veränderung der Beziehung

Am 3. Oktober 2002 setzte der Erblasser eine letztwillige Verfügung auf, in dieser bezeichnete er die Erstantragstellerin als seine Lebensgefährtin und setzte sie als Alleinerbin ein. Eine solche gewillkürte Erbseinsetzung hat zur Folge, dass sonstigen gesetzlichen Erben und Erbinnen lediglich ein obligatorischer Geldanspruch in der Höhe der Hälfte des gesetzlichen Erbanspruchs zusteht.

Die Beziehung bestand auf diese Weise 15 Jahre lang – dann kam es aber zu einer relevanten Veränderung: Nach einer Operation des Erblassers im September 2012 wollte die Erstantragstellerin für die Dauer der Genesung seine Pflege übernehmen. Die Aufgabe löste bei ihr allerdings bereits am ersten Tag Überforderung aus. Sie veranlasste kurzerhand die Wiedereinweisung des Erblassers ins Krankenhaus und trat die Heimreise nach Tirol an.

Der weitere Kontakt zwischen dem Erblasser und der Erstantragstellerin reduzierte sich auf Telefonate, die zum Teil täglich, während einer Erkrankung der Erstantragstellerin zum Teil monatlich stattfanden. Zu einem persönlichen Treffen kam es bis zum Tod des Erblassers lediglich ein einziges Mal, dies zum Anlass seines 80. Geburtstags.

Auflösung der Lebensgemeinschaft

Nach dem Tod des Erblassers gaben die Erstantragstellerin sowie die gesetzlichen Erbberechtigten bedingte Erbantrittserklärungen ab. Die Erstantragstellerin gestützt auf die letztwillige Verfügung, in welcher sie als Lebensgefährtin die Alleinerbin sein sollte, die gesetzlichen Erbberechtigten gestützt auf ihr gesetzliches Erbrecht. Letztere begründeten ihren Erbanspruch damit, dass die Lebensgemeinschaft zwischen dem Erblasser und der Erstantragstellerin im Jahr 2012 beendet worden und die letztwillige Verfügung gemäß § 725 ABGB aufgehoben worden sei. Diese Bestimmung besagt, dass es erbrechtliche Konsequenzen hat, wenn die Angehörigenstellung verloren geht (wie etwa bei Auflösung der Ehe, der eingetragenen Partnerschaft oder der Lebensgemeinschaft). Wurde jemand als Angehöriger oder Angehörige (und damit implizit: weil er oder sie diese diese Stellung hat) als Erbe oder Erbin eingesetzt, so soll im Fall des Verlustes dieser Angehörigenstellung das Testament in eben diesem Umfang aufgehoben werden.

Das Erstgericht entschied im Sinne der gesetzlichen Erbberichtigten und sah die Lebensgemeinschaft nach dem Vorfall 2012 als beendet an. Das Rekursgericht konnte keinen Willen des Erblassers erkennen, die Lebensgemeinschaft zu beenden, und ließ die letztwillige Verfügung demnach bestehen.

OGH: Betrachtung des Einzelfalls

Der Oberste Gerichtshof setzte sich in der Folge mit den Kriterien des Bestehens und der Beendigung einer Lebensgemeinschaft im Sinne des § 725 ABGB auseinander. Die oben genannten Kriterien der inneren Verbundenheit, aber auch der außen wirksamen Wohn-, Wirtschafts- und Geschlechtsgemeinschaft sei im Sinne eines "beweglichen Systems" zu verstehen. Wann eine Lebensgemeinschaft als beendet anzusehen ist, könne daher immer nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beantwortet werden.

Auf den konkreten Fall bezogen sprach der Oberste Gerichtshof aus, dass angesichts der seit 2012 bestehenden Fakten keine der drei wesentlichen Kriterien der Lebensgemeinschaft (mehr) vorliegen. Dies zeigte sich für den Obersten Gerichtshof insbesondere in Form der Nichtbeteiligung an der Pflege des Erblassers nach dessen Operation 2012 sowie darin, dass die Erstantragstellerin den Erblasser in den sieben Jahren ab dessen Operation 2012 bis zu seinem Tod nur ein einziges Mal besucht hat. Dass sie ihn am Tag nach seiner Operation verließ und auch im gesamten ersten halben Jahr nach der Operation des Erblassers, als sie selbst noch ganz gesund war, keine Anstalten gemacht hatte, ihn zu besuchen, wertete der Oberste Gerichtshof als Fehlen eines Mindestmaßes an persönlicher Nähe und Interesse an der Gemeinschaft.

Das entscheidende Mindestmaß

Die Entscheidung zeigt, dass die wirksame Bezeichnung als "Lebensgefährte" oder "Lebensgefährtin" in einer letztwilligen Verfügung nicht das Bestehen einer "vollen" Lebensgemeinschaft voraussetzt. Lebensgemeinschaften können durchaus unterschiedlich gelebt werden und selbst eine ordentliche Distanz zwischen den Wohnorten der Personen schließt das Vorliegen einer solchen Gemeinschaft nicht prinzipiell aus. Dennoch ist ein gewisses Mindestmaß an (persönlichem) Kontakt, Zuwendung und bisweilen auch Pflege notwendig, um von einer Lebensgemeinschaft sprechen zu können und demzufolge aufgrund dieses Rechtsinstitutes zu erben. Bei der Beurteilung des (Nicht-)Vorliegens einer Lebensgemeinschaft stellt der Oberste Gerichtshof letztlich immer auf die Umstände des Einzelfalls ab, sowie auf die Perspektive des Erblassers. (Piroska Vargha, 24.2.2023)