Wälder sollten massenhaft CO2 speichern und Finnland so klimaneutral machen. Daraus könnte nichts werden.

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Nur noch zwölf Jahre, dann will Finnland dort sein, wo alle anderen auch irgendwann hinwollen: Die Klimaneutralität ist so etwas wie das Endziel jeglicher Klimapolitik. Dann nämlich sollen die Emissionen so weit gesunken sein, dass in Summe keine neuen Treibhausgase mehr in die Atmosphäre gelangen. Je früher und schneller die Klimaneutralität erreicht wird, desto besser also für das Weltklima.

Finnland gibt dabei ein Tempo vor, das seinesgleichen sucht. Bereits 2035 will das Land CO2-neutral sein – damit hat Finnland eines der ambitioniertesten Klimaziele der Welt. In den vergangenen Jahren sind die CO2-Emissionen zudem stärker gesunken als im EU-Durchschnitt. Wie schaffen die Finnen das?

Im Energiesektor setzt das skandinavische Land voll auf Atomkraft. Vier Reaktoren an zwei Standorten betreibt das Land derzeit, auf der Insel Olkiluoto ist ein weiterer in Bau. Dort entsteht auch das weltweit erste Endlager für hochradioaktive Abfälle.

Mehrheit für Atomkraft

Die Mehrheit der Finninnen und Finnen steht Atomenergie positiv gegenüber, sie gilt dort als eine Lösung für die Bekämpfung der Klimakrise. In der Vergangenheit hatte es auch in Finnland politische Reibung um die anderswo auch heute noch umstrittene Energieform gegeben, die Grünen haben einmal sogar die Koalition wegen eines Atomkraftprojekts verlassen. Nach und nach legte die grüne Partei ihre Bedenken gegenüber der Nuklearenergie beiseite: 2018 beschloss die Partei, nur mehr "schlechte" Atomprojekte abzulehnen und an einem Atomausstieg festzuhalten. Vergangenes Jahr bekannte man sich schließlich zu einem Ausbau der Atomkraft in Finnland – als einzige grüne Partei in Europa.

Doch in vielen Bereichen lassen sich die Emissionen – zumindest derzeit – nicht zur Gänze eliminieren. Damit unter dem Strich bis 2035 doch noch eine Null herausschaut, sollen sogenannte Kohlenstoffsenken Treibhausgase aus der Luft saugen und dauerhaft speichern. Richten sollen es vor allem die Wälder, die drei Viertel der Landesoberfläche bedecken. Laut dem Plan der Regierung sollen 2035 vor allem sie die verbleibenden 20 Millionen Tonnen CO2 kompensieren, die in Industrie und Verkehr noch nicht vermeidbar sind.

Finnisches Waldproblem

"Doch diese Zahl ist nicht haltbar", sagt Raisa Mäkipää vom Natural Resources Institute Finland, das im Auftrag des finnischen Landwirtschaftsministeriums forscht, aber weitgehend autonom agiert. Vergangenen Dezember bestätigte das Institut, was vorläufige Daten bereits früher befürchten ließen: Der sogenannte Landnutzungssektor, vor allem aus Land- und Forstwirtschaft bestehend, speichert kein CO2 mehr, er emittiert es.

Das Problem sind vor allem Moore. Sie speichern pro Hektar enorm viel Kohlenstoff, weit mehr als Wälder – allerdings nur wenn sie intakt sind.

Werden sie trockengelegt, etwa für die Landwirtschaft, geben sie den über Jahrtausende gespeicherten Kohlenstoff rasant an die Atmosphäre ab. Genau das passiert aber noch immer. "Die landwirtschaftlich genutzte Fläche auf Mooren nimmt zu und nicht ab, wie es eigentlich sein sollte", sagt Mäkipää. Wenn es so weitergeht, könnte das Ziel der Klimaneutralität in die Ferne rücken.

Moore sind super Klimaschützer – solange sie selbst geschützt sind.
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Gefährliches Torf

Zudem wird in Finnland immer noch Torf zur Energiegewinnung verbrannt – und zwar so viel wie in keinem anderen Land. Seit der Ölkrise in den 1970er-Jahren förderte die Regierung den Abbau des heimischen Rohstoffs, heute versucht sie sich langsam an einem Torfausstieg. Denn der Brennstoff ist noch klimaschädlicher als Kohle.

Damit die ehrgeizigen Ziele noch zu erreichen sind, müsse die Erschließung neuer Moorböden gestoppt werden, bereits trockengelegte Moore müssten wieder vernässt werden, sagt Mäkipää. Sie sieht vor allem die EU-Agrarpolitik dafür verantwortlich, im Rahmen derer Fördergelder noch immer nach Fläche verteilt werden. Viele auf Torf angelegte Äcker würden ohnehin nur wenige Lebensmittel hervorbringen, aber überproportional viel Treibhausgas ausstoßen.

Doch nicht nur die Moore, auch die Bäume könnten die Klimapläne durchkreuzen. Auch sie speichern deutlich weniger CO2 als erwartet. Warum das so ist, wissen Forschende noch nicht genau. In den vergangenen Jahren wurde aber immer mehr Holz geschlagen. Die nachgepflanzten, jungen Bäume würden langsamer wachsen als solche im mittleren Alter und deshalb auch weniger CO2 aufnehmen, sagt Mäkipää.

Detaillierte Pläne

Um das Ziel der Klimaneutralität bis 2035 zu erreichen, muss Finnland also vor allem seine Kohlenstoffsenken in Ordnung bringen. Doch der Hunger nach Holz ist ungebrochen – als Ersatz für fossile Brennstoffe, aber auch um russisches Holz zu kompensieren, das nicht mehr importiert wird.

Trotzdem könnte Finnland Vorbild für andere Staaten sein. Denn das Land besitzt einen detaillierten Plan, der für jeden Sektor konkrete Reduktionspfade vorsieht. Die betroffenen Industrien konnten dabei selbst vorschlagen, wie viel sie zur Klimaneutralität bis 2035 beitragen wollen. Werden die Ziele nicht erreicht, treten strengere gesetzliche Vorgaben in Kraft.

In Österreich hingegen fehlen solche verbindlichen Reduktionspfade für bestimmte Branchen. Ein Klimaschutzgesetz würde sie vorschreiben – doch das lässt weiter auf sich warten. (Philip Pramer, 27.2.2023)