Bildungsminister Martin Polaschek geht davon aus, dass im Herbst bis zu 400 Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger unterrichten werden.

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Der Personalmangel hat Österreichs Schulen fest im Griff und das dürfte auch noch länger so bleiben: Bis 2030 brechen geschätzt 30 Prozent der Lehrkräfte durch ihren Pensionsantritt weg. Der Lehrkräftebedarf sei daher eine der größten Herausforderungen für das hiesige Bildungssystem, sagt Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP). Optimistisch stimmen ihn jedoch die Zahlen, die er am Donnerstag präsentierte: In nur vier Monaten hätten sich mehr als 1.000 Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger beworben.

Diese Zahl zeige, "dass wir mit der Kampagne ‘Klasse Job’ den richtigen Nerv der Gesellschaft getroffen haben", bilanziert der Bildungsminister. Fast 300 Bewerberinnen und Bewerber könnten sich bereits für den Herbst als Lehrkraft bewerben. Polaschek geht sogar von bis zu 400 Quereinsteigerinnen und Quereinsteigern aus, die im September in den Schulen ankommen werden. Zum Vergleich: Die Statistik Austria zählte im Jahr 2020/21 rund 121.000 Lehrerinnen und Lehrer in Österreich.

Bunte Klassenzimmer

Den Startschuss zur "größten Lehrkräfteoffensive der Zweiten Republik" hat es bereits im Oktober vergangenen Jahres gegeben. Die Ressortstrategie "Klasse Job" soll zum einen die "Erzählung von Schule modernisieren", andererseits auch die Ausbildung von Lehrkräften sowie das Personalmanagement verbessern – inklusive des Recruitings neuer Lehrkräfte. In den letzten Monaten lag der Fokus vor allem auf Menschen mit beruflichen Erfahrungen. Als "wertvolle Zusatzressource" bezeichnet Polaschek die Praktikerinnen und Praktiker, die "das Klassenzimmer bunter machen und das nötige Know-how einbringen". Neu ist hier, dass die Quereinsteiger nicht mit in der Regel schlechter bezahlten Zusatzverträgen, sondern mit regulären Dienstverträgen einsteigen.

Bevor sich die angehenden Lehrkräfte jedoch für eine ausgeschriebene Stelle bewerben können, müssen sie ein dreistufiges Zertifizierungsverfahren durchlaufen. Anschließend entscheidet eine eigens eingerichtete Kommission, welche Bewerberinnen und Bewerber überhaupt für den Lehrberuf geeignet sind. Weitere Voraussetzungen sind ein passendes Studium, drei Jahre Berufserfahrung und eine berufsbegleitende pädagogische Ausbildung. Das Modell gibt es für allgemeinbildende Fächer der Sekundarstufe (Mittelschule, AHS, BMHS)."

Mehr als 1.000 Menschen war es wichtig, diese Vorarbeit zu leisten und sich als Lehrer zu bewerben", zeigte sich Polaschek erfreut. Er hoffe aber, dass es nicht bei diesen 1.000 Personen bleibe. Insgesamt haben sich bis jetzt – regional gut verteilt – etwa gleich viele Männer und Frauen mit einem Durchschnittsalter von 40 Jahren beworben.

Christian Brandner: Wechsel in einen "lebendigen" Job

Der 43-jährige Christian Brandner gehört zu diesen Spätberufenen. Fragt man ihn nach seinen Beweggründen, an die Schule zu wechseln, sagt er: "Eigentlich kam der Gedanke mit Corona hoch." Fast 16 Jahre arbeitete Brandner als Landschaftsarchitekt in Wien. Doch irgendwann stellte sich die Ernüchterung ein: "Viel zu oft ging es nur noch um Einsparungen und Streitigkeiten. Das war mir zu wenig lebendig." Seit Herbst unterrichtet er nun an einer Wiener Mittelschule Biologie und technisches Werken.
Diesen Wechsel bezeichnet er als "180-Grad-Wende", die er bis heute nicht bereut. Schwierigkeiten bereiteten ihm jedoch die Gehaltseinbußen. "Ich habe zwei Kinder und steige mit dem Gehalt eines 24-Jährigen ein", sagt Brandner. Bei seinen Kollegen würden auch Vordienstzeiten nicht angerechnet. "All das hält bestimmt viele vom Quereinstieg ab." Gerade bei der Entlohnung müsse daher nachgeschärft werden. "Aber ich möchte auch eine Lanze für den Quereinstieg brechen", sagt Brandner. Er selbst könne seine Berufserfahrung sehr gut in die Schule einfließen lassen. Und generell tue der "Blick von außen", wie Brandner ihn nennt, der Schule gut.
Dass die offiziellen Stellen nun mit Informationen und Ansprechpartnern beim Quereinstieg unterstützen, sieht er als großen Fortschritt. "Da war ich leider etwas zu früh dran", lacht er. Was er generell Quereinsteigern mitgeben würde? "Nicht mit einer vollen Lehrverpflichtung einsteigen. Man sollte sich Zeit nehmen, in das Ganze reinzuwachsen."

Lehrkräfte machen Werbung

In einer zweiten Phase des Lehrkräfte-Recruitings will sich das Bildungsministerium nun vermehrt um Schülerinnen und Schüler bemühen. "Wir müssen junge Menschen motivieren, diesen Beruf zu ergreifen, damit wir nachhaltig Lehrkräfte im Bildungssystem haben", sagte Polaschek. Er wolle den Schülerinnen und Schülern in Erinnerung rufen, dass es eine spannende Option sein könne, "die Seite zu wechseln". Gelingen soll dies mit neuen Werbematerialien auf der Website klassejob.at, wie etwa "In Sprachen bin ich Klasse. Darum werde ich Lehrer". Außerdem sollen die Pädagogischen Hochschulen Konzepte für Schnuppertage erstellen, um die Schwelle von Schule zu Hochschule weiter zu verringern. Auch die Lehrkräfte in den Schulen wurden erneut aufgefordert, ihren Beruf zu bewerben und einen Brief des Ministers an Maturaklassen zu verteilen. Der gewählte Zeitpunkt ist hier kein zufälliger, immerhin laufen die Aufnahmeverfahren für Lehramtstudien aktuell noch bis Ende März.

Konkrete Zahlen zur tatsächlichen Personalsituation an Österreichs Schulen konnte Polaschek auf STANDARD-Nachfrage nicht nennen. Der oberste Wiener Pflichtschullehrervertreter Thomas Krebs (FCG) warnte aber erst vor wenigen Tagen vor einer nächsten Kündigungswelle. Nachdem es in den Wochen vor Weihnachten laut Krebs 35 Dienstauflösungen gegeben habe, vor allem im Pflichtschulbereich, hätte auch in den Semesterferien pro Tag eine Lehrperson gekündigt. (Anna Wiesinger, Elisa Tomaselli, 23.2.2023)