Der demokratische Senator Ben Cardin ist Chef der US-Delegation zur Parlamentarischen Versammlung OSZE, die seit Donnerstag bis einschließlich Freitag in Wien stattfindet. Die Entscheidung Österreichs, der russischen Delegation Visa für die Teilnahme auszustellen, hat Cardin wiederholt scharf kritisiert. Im Gespräch mit dem STANDARD erklärt er, wieso er diesen Schritt kritisiert und es für richtig hält, Russland aus dem OSZE-Prozess zumindest vorerst auszuschließen.

Ben Cardin: "Dass man Entscheidungen in der OSZE nur im Konsens treffen kann, ist Unsinn."
Foto: APA / Eva Manhart

STANDARD: Sie waren sehr klar, was die Vergabe von Visa an die russische Delegation durch Österreich angeht. Auch US-Präsident Joe Biden war sehr klar in seinen Ausführungen in Kiew und Warschau, was die Unterstützung für die Ukraine angeht. Haben Sie mitunter den Eindruck, die EU braucht manchmal einen kleinen Schubs?

Cardin: Wir werden immer mehr schubsen. Aber wenn man sich das Gesamtbild der Kooperation zwischen den USA und Europa ansieht, läuft das weitaus besser, als irgendjemand vor einem Jahr gedacht hätte. Wir waren in der Lage, starke Sanktionen zu verhängen – nicht scharf genug, aber immerhin. Wir waren in der Lage, Russland zu isolieren. Und auch hier: nicht stark genug, da muss noch mehr getan werden, aber immerhin. Also, wir waren in der Lage, viel zu erreichen, und das hat der Ukraine geholfen. Ich werde mich also nicht beschweren. Aber ja: Ich fordere mehr.

STANDARD: Da ist der ukrainische Vorschlag in der OSZE, einen Ausschlussmechanismus zu schaffen, falls ein Mitgliedsstaat gegen Grundprinzipien verstößt. Wird da etwas mehr gefordert, als möglich ist? Ist das realistisch?

Cardin: Das wird schwierig, weil die OSZE eine konsensorientierte Organisation ist. Also, es wird schwierig werden, das innerhalb der formellen Regeln zu erreichen. Aber es gibt andere Wege, damit umzugehen. Es gibt Entscheidungen, die zum Beispiel die Gastgeber einer Tagung treffen können – dass man also zum Beispiel keine Visa ausstellt. Das ist ein Graubereich. Ich glaube, das wahrscheinlichere Szenario ist, die Teilnahme Russlands an OSZE-Tagungen effektiv einfach über die Gastgeberstaaten zu verhindern.

STANDARD: Würden Sie denn sagen, dass die OSZE, die als Dialogplattform gegründet wurde, nach wie vor eine Existenzberechtigung hat?

Cardin: Auf jeden Fall. Man sollte vielleicht an den Prozeduren etwas ändern. Dass man Entscheidungen nur im Konsens treffen kann, ist Unsinn. Die Regeln müssen modifiziert werden. Aber es ist eine wertvolle Organisation. Und die parlamentarische Dimension ist wichtig. Parlamentarier lieben es, zu reden und sich auszutauschen. Was wir machen können und was Bürokraten nicht tun können, ist, dass wir in der Lage sind umzusetzen. Wir nehmen Entscheidungen mit in die heimischen Parlamente. Also, der Dialog ist wichtig. Hat es funktioniert, mit Dialog den russischen Krieg zu verhindern? Nein. Allerdings passiert da in der OSZE jeden Tag auch sehr viel Gutes. Aber das muss besser werden.

STANDARD: Sie sprechen von Dialog. Macht es also Sinn, dass die russische Delegation Visa erhalten hat?

Cardin: Die sind nicht hier, um einen Dialog zu führen. Die sind hier für Propaganda. Wäre Russland an einem Dialog interessiert, hätten sie nicht diese Delegierten ausgewählt. Das sind allesamt sanktionierte Personen. Da wurden furchtbare Sachen gesagt. Einer hat gesagt, Alaska sollte ein Referendum abhalten, um sich Russland anzuschließen. Ein anderer hat gemeint, es sei okay, Ukrainer zu töten. Diese Leute sind nicht hier, um einen Dialog zu haben.

Sieg bedeutet, dass Russland die Ukraine verlässt.
Das bedeutet auch, dass Verantwortliche für Kriegsverbrechen
und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Rechenschaft gezogen werden.

STANDARD: US-Präsident Biden hat gesagt, die Ukraine wird niemals ein Sieg für Russland werden. Aber wie sieht ein Sieg der Ukraine aus?

Cardin: Sieg bedeutet, dass Russland die Ukraine verlässt. Das bedeutet auch, dass Verantwortliche für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Rechenschaft gezogen werden, dass es Reparation gibt. Ihre nächste Frage ist vermutlich, ob das alle ukrainischen Territorien bedeutet – und meine Antwort ist: ja. Allerdings erkenne ich den Umstand an, dass das in Stufen passieren kann. Wir werden aber niemals das Grundprinzip aufgeben, dass die Ukraine in ihren Grenzen von vor 2014 besteht.

STANDARD: Ist all das mit dem gegenwärtigen Regime in Moskau realistisch?

Cardin: Nicht heute. Wir sehen keine Anhaltspunkte, dass Wladimir Putin oder jemand anderer in seinem Kreis von seinem Kurs abweicht. Und er ist nach wie vor der Mann, der die Kontrolle hat.

STANDARD: Sie sagen aber, das wäre theoretisch auch mit Putin möglich?

Cardin: Ja. Ich glaube, er wird an den Punkt kommen, wo er keine andere Wahl hat aufgrund der Tatsachen in der Ukraine. Ein Sieg der Ukraine wird nicht dazu führen, dass Moskau aufhört zu lügen. Also, selbst wenn es einen Sieg der Ukraine gibt und alle russischen Truppen aus der Ukraine abziehen, wird Putin den Russen weiter erklären, dass er das nicht getan hat.

STANDARD: Das klingt danach, dass Sie der Ansicht sind, man sollte Putin eine Rutsche legen, um da auszusteigen.

Cardin: Wir wollen das Blutvergießen beenden. Aber wir werden keinem Zustand zustimmen, bei dem klar ist, dass Russland einen Vorteil hat und dann plötzlich einen Waffenstillstand möchte. Die Ukrainer müssen diesen Prozess lenken. Die Ukraine muss siegen. Und siegen bedeutet, dass die Ukraine wieder 100 Prozent ihres Gebiets kontrolliert. (Stefan Schocher, 24.2.2023)