Schriftstellerin Ulrike Draesner: "Ich begann, über die Wechseljahre nachzudenken. Dass ich mit meiner Mutter nie anders als in Kurzfloskeln über diese Zeit gesprochen hatte, fiel mir erst jetzt auf."

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Ich war 37 geworden, hatte geheiratet, ich war 40 geworden, wir hatten gefeiert, ich war 47, wir versorgten ein dreijähriges Kind, ich wurde 49 und machte kein Geheimnis daraus, ich arbeitete, es ging mir gut. Kaum sah ich mich um, wurde ich 50, ich feierte diesen Geburtstag, nicht wir, kaum hatte ich mich umgesehen, bestand meine Familie nur mehr aus mir und meinem Kind. Als alleinerziehende Mutter war ich nun exakt das, wovor ich ein Leben lang davongelaufen war. Eine Bekannte, jünger als ich, fragte ein paar Wochen später unverblümt: "Hat er dich des Alters wegen verlassen?" So deutlich hatte ich mir das selbst nie vorgesprochen. Die Frage erschreckte mich. War es so?

Mein Alter, sein Alter

Nach 20 Jahren Gemeinsamkeit geht eine Beziehung aus einer Reihe von Gründen auseinander. Wie man sich entwickelt hat, welche Zukunftsvisionen Fantasie und Verstand beleben, welche Ängste einen umtreiben, wie lebendig man als Paar geblieben ist, spielen eine Rolle. Alter ist ein Teil jedes dieser Aspekte.

"Genau", sagte ich. "Er hat mich des Alters wegen verlassen. Seines Alters!" Der Satz überraschte mich selbst. Ich hatte bislang nicht gewusst, dass ich ihn wusste. Er traf zu. Für meinen Mann bedeutete der 50. Geburtstag gewiss etwas anderes als für mich, doch auch ihm stellten sich Fragen zur Bedeutung des Älterwerdens. Männliche Körper verändern sich ebenfalls. Unsere Aussichten unterschieden sich, zum Teil aus biologischen, vor allem aber aus gesellschaftlich-kulturellen Gründen. Jeder musste mit seinem Päckchen umgehen.

Neuer Spiegel

Er hatte sich eine jüngere Frau gesucht. Oder sie sich ihn. "Zurück auf Start" war die Option, für die er sich entschied. Die neue Frau war so alt wie ich, als wir uns kennengelernt hatten. 17 Monate später kam das erste Kind. "Er brauchte einen anderen Spiegel", sagte meine Bekannte. (Fußnote: "Wäre es denkbar, dass manche Männer (...) die Lustigkeit, die Ironie und Selbstironie der Frauen als schockierende Zumutung erleben? Mögen sie sie lieber, wenn sie, unvermutet mit dem Seitensprung des Mannes konfrontiert, in guter alter Manier in Ohnmacht fallen? Sie tun es, übrigens, hin und wieder, stehen dann aber auf und machen sich klar: ‚Der Mann braucht einen neuen Spiegel.‘" Christa Wolf in ihrem Vorwort zu Maxie Wander, Guten Morgen, du Schöne, Darmstadt 1979 S. 11)

Das stimmte. Aber ich brauchte diesen neuen Spiegel ebenfalls. Was war wirklich passiert? Wo befand ich mich – und wie wollte ich in Zukunft leben? Die üblichen Zuschreibungen (Wechseljahre, ältere Frau, nicht mehr familiengründungsfähig, asexuell und mehr) fand ich, gelinde ausgedrückt, nicht ideal. Da ich den Spiegel nirgends entdeckte, beschloss ich, mich auf die Suche nach ihm zu machen. Ich begann, über die Wechseljahre nachzudenken. Dass ich mit meiner Mutter nie anders als in Kurzfloskeln über diese Zeit gesprochen hatte, fiel mir erst jetzt auf. Unterhaltungen mit gleichaltrigen Freundinnen halfen, aber auch hier blieb oft ein Gefühl der Leere zurück. Sie verfügten nicht über mehr Sprache zum Thema als ich, und wenn wir auf "Hormonschübe und Folgen" kamen, schweiften wir bald und gern ab: Trennungsgeschichten und Patch workunfälle waren spannender. Das Wechseljahresthema versteckten sie in etwa so geschickt, wie wenn sich die hochattraktive Claire Underwood aus der Serie House of Cards in einem engen, ärmellosen Kleid beim Weinholen kurz mit dem gesamten Oberkörper in den Kühlschrank lehnt. Ihr Gast, eine Frau ihres Alters, macht eine andeutende Bemerkung dazu. Claire antwortet, das alles sei ihr neu. Für einen Augenblick scheint Unsicherheit, ja Schüchternheit auf. Dann ist das Thema weggedrückt.

Alles neu

Dass meine erste eigene Ahnungslosigkeit über das Altern als Frau zwischen 40 und 60 damit zu tun hatte, dass der gesamte Bereich für viele der älteren (und nicht nur dieser) Generation mit Scham besetzt und von sprachlicher Hilflosigkeit und Einsamkeit geprägt ist, war mir inzwischen deutlich. Es fehlen gesellschaftlich etablierte Formen, über das Altern als Frau anders als im Modus des Defizits und seiner Behebung ("so bleibst du attraktiv für deinen Mann") oder medizinischer Fürsorge zu sprechen. Dieses Fehlen ist schmerzlich: Es bedeutet, dass das, was erlebt wird, schon in diesem Erleben diffus bleibt. Es kann nur unzureichend ausgedrückt und daher auch nur unzureichend erinnert werden. Die Sprachlosigkeit wird an die nächste Generation weitergegeben.

Die richtigen Fragen

Auch ich fühlte mich unsicher und schüchtern der neuen Lebensphase gegenüber. Weder mit bloßen Gedanken, bloß praktischen Tipps (Lagenlook, Coolpacks, Pflanzenmedizin) oder bloßen Gefühlen kam ich weiter. Der neue Spiegel würde sich nur aus Lebensgeschichten zusammensetzen lassen. Ich brauchte Mütter, Großmütter, Töchter – Frauen in allen Altersstufen.

Vor allem aber und zuallererst brauchte ich die richtigen Fragen. Was finden wir vor zu dem Thema Älterwerden – und was erleben wir? Was stellen wir an mit der Sphinx und dem Altersmodell, das Ödipus ihr anbietet? Ohne Nachdenken über unseren generellen Lebensgang durch die Zeit ist die Epoche der Wechseljahre nicht zu verstehen. Beides gehört zusammen: Die hormonelle Umstellung ist ein spezifischer Fall innerhalb des dauerhaften Prozesses, den man Altern nennt. Wie macht man dieses doppelte Erleben als Raum von Verwandlung für sich fruchtbar, neugierig darauf, was kommt angesichts des Weges, den man bereits gegangen ist. Und wie erzählen wir uns und anderen die Geschichte dieses Lebensabschnitts, der, schwer und leicht gleichermaßen, voller Veränderungen steckt.

Neutrum sein

Die Sonne scheint, es riecht nach Abgasen, Pommes, Ferien. Meine Tochter sitzt im Auto und weigert sich auszusteigen. Kopfhörer, Handy. Sie hört Harry Potter, auf Englisch. Unsere Welten überschneiden sich. Neben mir wird türkisch gesprochen. Ein Bus fährt auf den Parkplatz der Raststätte, etwa hundert über 80-Jährige steigen aus. Minuten später ein weiterer Bus, erneut voller Greise und Greisinnen. Alte Menschen haben Zeit. Alte Menschen und das Bruttosozialprodukt der Bundesrepublik stellen eine innige Verflechtung dar. Ich bin froh, dass ich die Toilette bereits besucht habe. Für die nächste halbe Stunde wird sie unbenutzbar sein. Ich schwöre mir, egal wie alt ich werde, niemals auf eine Altenbusreise zu gehen.

Jede Generation findet ihre eigenen Formen, mit den Lebensjahrzehnten umzugehen. Es gibt also Hoffnung, sage ich mir, auch wenn, wie wir alle wissen, die Zahl der über 60-, über 70-, über 80-Jährigen steigen wird. Und dann noch einmal steigen.

Die Sonne scheint, hat sich aber hinter Wolken versteckt. Mir ist angenehm warm. Genauer gesagt, ziemlich warm.

Es liegt an mir?

Ich sehe mich um. Niemand beachtet mich. Jede Menge Männer unterwegs auf so einem Parkplatz. Was ist los mit den Männern, denke ich, was hat sich verändert, sie sind so unauffällig. Nach einer Weile ist klar: Nichts hat sich verändert. Es wird geschaut. Hinterhergeschaut. Jetzt fällt es mir wieder ein: Ach so, es liegt an mir. Ich bin es, ich stehe hier offensichtlich in dieser neuen Verborgenheit herum. Im Harry-Potter-Universum ist das praktisch. Harry wirft sich den Umhang über, der unsichtbar macht. Wenn er will. Hat er genug, zieht er ihn ab.

Als ältere Frau wirft man sich nichts um, sondern bekommt etwas übergestülpt. Schon ist man verschwunden, allemal neben einer jüngeren Frau. Höflichkeit oder Zuvorkommen verabschieden sich gleich mit.

Grotesk wurde es neulich in der Postfiliale. Ich war die Letzte in der Schlange. Ein Mann meines Alters, einen Kopf kleiner, dicker Bauch, stellte sich vor mich. Als ich mich beschwerte, sagte er: "Du hast doch eh nichts mehr zu tun."

Ihr Text erscheint in: Bettina Balàka, "Wechselhafte Jahre". € 24,50 / 192 Seiten. Leykam, 2023. Mit Beiträgen von Marlene Streeruwitz, Barbara Frischmuth, Bar bara Hundegger,Sabine Scholl u. a. – ursprünglich erschien Draesners Text 2018 bei Penguin.

Hindernis und Zwischending

Auch das freundlichere Umfeld, in dem ich mich im Alltag bewege, spiegelt mir überwiegend und mit einer Leichtigkeit, die verrät, wie tief die Klischees sitzen, dass ich nützliches Neutrum sein darf. Ich begegne Männern mit 45 Jahren, mit 60 Jahren, und bemerke an jeder ihrer Gesten, dass sie mich nicht als Frau wahrnehmen. Ich bin Hindernis, grau wie der Einkaufskorb, ein Zwischending. Dieses "Ding" darf auftreten als Vermittlerin, Helferin, Erzählerin, Essenslieferantin, Patientin, Konsumentin, ehrenamtliche Hummel, Bezahlerin und praktisch-fleißiges, mit Armen und Beinen ausgestattetes Menschmodul, das den Zwischenjob übernimmt. Auf einer Party fungiere ich als eine Art sprechfähiges Möbelstück: "Weißt du, wo der Flaschen öffner ist?" Fünf Minuten später erkennt mich der Frager nicht mehr. Er hat mich gar nicht gesehen. Zunehmend fühle ich mich umgeben von einer Watteschicht, durch die hindurch man mich für eine Art Wand hält.

Unsichtbare Wechseljahre

Dieses mir angetragene, auf mir durchgeführte Frauenwesen, das so herrlich neutralisiert aussieht, so schweigsam und nützlich, ist eine Chimäre. Ganz wie die schöne Zweiteilung der Frau in hinten und vorn. Mit einem Lächeln, das ihren Schmerz nicht vollständig verbarg, erzählte mir eine Bekannte, Mitte 50, lange, blond(gefärbt)e Haare, ihr Mann habe jüngst ihr Äußeres kommentiert: "Hinten Lyzeum, vorne Museum." Munter nach der Devise: Das hast du nun davon. Dich gepflegt, Sport getrieben, Diät gehalten. Und ich sage dir das ins Gesicht.

Man sieht einen knackigen Po. Seine Besitzerin dreht sich um. Die Prägung durch Kultur, Bild und Werbung ist so stark, dass immer automatisch ein junges Gesicht erwartet wird. Doch da steht meine Bekannte, in ihrem Alter. Eine Person, weder in vorn noch hinten geteilt. Ebendies soll offensichtlich nicht sein; hier muss man sich lustig machen. Eine Frau darf nicht alt sein, aber ist sie älter, darf sie erst recht nicht jung wirken. Sie soll nicht anders aussehen, als das Altersklischee "Neutrum" es vorsieht, und eines soll sie allemal nicht: auf "wirkliche", heterogene, individuelle Weise in ihrem Alter sein. Anders gesagt: Wo, wie und als wer kommt die Frau in den Wechseljahren in unserer Gesellschaft vor?

Neuer Verhaltenscode

Manchmal ist mir nun doch, als wären die Männer ausgetauscht worden. Betroffen sind vor allem, aber nicht nur, die unter 60 Jahren. Also auch jene, die sich im gleichen Alter befinden wie ich. In der Regel unterhält man sich mit mir (nur), wenn ich Teil einer größeren Gruppe bin. Manchmal hat man auch Zeit für eine Begegnung mit mir zu zweit. Gesucht werden Rat, Coaching, Halbmütterlichkeit. Ebenso deutlich ist, was nicht interessiert.

Wie soll ich damit umgehen, nein: gut zurechtkommen? Ich fühle mich dabei lächerlich. Mich bedrückt, was mir widerfährt. Zugleich will ich mir diesen Schuh (Pause, Jenseits, auf dem Omaweg) nicht anziehen. Da ich keinen Verhaltenscode entdecken kann, der mir passt, muss ich ihn erfinden.

Das ist sehr viel leichter gedacht als getan. Wie sagt man auf Englisch: I am at a loss. Ich weiß nicht weiter. Aber auch: Ich gehe verloren; etwas in mir geht verloren. Ich brauche nicht danach zu suchen, denn nicht, was war, muss wiederhergestellt werden. Ich brauche etwas anderes: mich selbst in meiner neuen Form. Als Frau, die weiß, wer sie in diesem Alter ist, welche Bedürfnisse sie hat, und die sich trotz Einschüchterungen nicht davon abhalten lässt, diese Bedürfnisse auszudrücken.

Der wunscherfahrene Körper

Unsicherheit scheint eines der wesentlichen Merkmale der Wechseljahre zu sein. Keine war bereits dort, wohin sie führen, keine weiß, wie lange ihre Reise dauern wird, wie "der neue Körper", das neue Ichsein sich anfühlen werden. Abhängig von anderen ist man ein Leben lang. Man vergisst es gern; in den Wechseljahren vielleicht etwas seltener als zuvor. Auf neue Weise ist man verletzlich geworden; mitunter kommt es mir so vor, dass meine Haut nicht nur im konkreten Sinn dünner wird. Eine Zeit der Öffnung: des Aufhorchens, nicht des Aufhörens.

Mitunter erinnert mich, was geschieht, an die Pubertät, auch körperlich. Man sucht nach Modellen, um sich zu verdeutlichen, durch was man geht, und es liegt nahe, bei den Wechseljahren an ein Zurückspulen zu denken. Zweite Pubertät – was aufgebaut wurde, wird abgebaut, was kam, wandert aus und produziert dabei noch einmal Symptomatiken von einst. Auch das Rotwerden des Gesichts mag an die Pubertät erinnern, wenngleich es anders begründet ist. Beide Phasen ähneln sich zudem in ihrer Dauer, die Verwandlung währt Jahre.

Pubertät und Wechseljahre

Hier setzt eine weitere Umwertung der Wechselzeit an: Pubertät wie Wechseljahre sind komplexe Prozesse körperlicher Veränderungen. Man verwandelt sich in ein geschlechtliches Wesen. Dieses Wesen verschwindet nicht, es entwickelt sich weiter. Dreißig Jahre und mehr: reproduktionsfähig. Dreißig weitere Jahre und mehr: nicht mehr reproduktionsfähig. Stattdessen ein wunscherfahrener Körper. Ein in seinen weiblichen Funktionen in unterschiedlichsten Weisen und Maßen "benutzter" Körper. Ein gelebter, sich weiterhin auslebender Körper.

Um Selbstkenntnis macht die Philosophie von jeher Aufhebens. Leicht wird ihr körperlicher Anteil übersehen. Er wächst mit zunehmendem Alter auf natürliche Weise. Wenn ich berührt werde oder mich selbst berühre – und sei es bei etwas so Profanem wie dem Abrubbeln nach dem Duschen, dem Sturz in einen Schneehaufen, dem Tauchen im Schwimmbad –, nimmt der Sinneseindruck mehr Raum in mir ein beziehungsweise entwickelt mehr Resonanz. Er ist in sich geschichtet, vergleichbar der Wahrnehmung des komplexen Geschmackes von Wein, Tee oder Schokolade. Und ich meine besser zu erkennen als früher, was mir wann guttut. Wie es das tut. Und was ich probieren will. Auch wenn ich mitunter darauf stoße, dass sich das eine oder andere nicht umsetzen lässt. Doch war das, als ich jünger war, nicht ebenso?

Gerade erschien auch ihr Roman: Ulrike Draesner, "Die Verwandelten". € 26,80 /600 Seiten.Penguin-Verlag, 2023.

Erfahrung durch Altern

1974 amüsierte sich die schwedische Fernsehnation über Astrid Lindgren, 67 Jahre alt, die zum 80. Geburtstag ihrer Freundin Elsa Olenius mit dieser zusammen um die Wette auf einen Baum kletterte. Schließlich gebe es "kein Verbot für alte Weiber, auf Bäume zu klettern". Selbstermächtigung heißt das Schlüsselwort. Prominente und Künstler*innen, mag sein, hatten es damit von jeher leichter. Bestimmt nicht leicht war Alessandra Ferris Weg. Sie tanzt mit 55 Jahren Ballett. Klassisch und modern. Da das jenseits der Grenze von spätestens 40 angeblich nicht möglich ist, jedenfalls weder vorgesehen noch erlaubt, beendete Ferri, geboren 1963, ihre Karriere im Jahr 2007. Doch die Ballerina hielt das Nichttanzen nicht aus. 2013 kehrte sie auf die Bühnen zurück, zwei Preise wurden ihr seither verliehen. Ferri bringt etwas in den Tanz, was Jüngere nicht haben. In einem Onlinevideo kann man sie als Penelope erleben. Danach fragt man sich, wie man Rollen dieser Art, die von Erfahrung und Altern handeln, mit 25-Jährigen besetzen wollen kann.

Jüngst besuchte ich eine Veranstaltung mit Margaret Atwood. Die Kanadierin war hellwach, witzig und wortgewandt, mehrfach überraschte sie die gut vorbereitete Moderatorin. Welche Freude, die beiden Frauen interagieren zu sehen. Das Ereignis fand im ehrwürdigen Sheldonian Theatre der Universität von Oxford statt, erbaut als Stätte akademischer Zeremonien, für Jahrhunderte Männern vorbehalten. Darin Atwood, springlebendig mit ihren 76 Jahren, aus denen sie so wenig ein Geheimnis macht wie aus dem Grau ihrer Haare. Da hätte Gertrude Stein, Königspudel auf dem Schoß (auch Hunde dürfen das Sheldonian gemeinhin nicht betreten), neben Alice Toklas, beide matronenhaft (wie das täuschen kann), sich ebenso amüsiert wie Marie Curie, eine der vielen Forscherinnen, die, Alter hin, Alter her, ihre innovative, absolut originelle und geniale (ja, das Wort lässt sich auch auf Frauen anwenden) Arbeit weiterführten.

Sich ermächtigen

In zeitgenössischen Romanen erscheinen sie inzwischen ebenfalls häufiger als zentrale Figuren: sich ermächtigende Frauen in höherem Alter. Sowohl in Atwoods Der blinde Mörder als auch in dem Roman Abbitte von Ian McEwan treten sie darüber hinaus als die Autorinnen des Werkes auf, das man liest. Doppelte Handlungsmacht: agierende Personen in der Zeit, von der erzählt wird, und in der erzählten Gegenwart, Eigentümerin und letzte Interpretationsinstanz einer Geschichte. Intelligent und vital erzählen sie, was war, hätte sein sollen oder sein können, und verändern durch dieses Erzählen nachträglich die Wirklichkeit.

Dies ist umso schöner, wenn man es mit der Rolle der mittelalten Frau im Roman des 19. Jahrhunderts vergleicht. Die Frau um die 50 ist ein lächerliches, im besseren Fall tragisch-lächerliches Wesen: Mutter, Ehefrau, Verkörperung von Geldsucht, Bösartigkeit und/oder Naivitä̈t. Hart ist die Konkurrenz um die reichsten unverheirateten Männer, groß der Klatsch, übertroffen allein von Dummheit, Erfahrungsmangel, Aufstiegswut. Zerrbilder der Machtlosigkeit bevölkern den sozialen Raum. Sind die Töchter endlich unter der Haube, bleiben die Mütter zurück. Oh ja, sie sind in den Wechseljahren: liegen im Bett, erleiden Nervenzusammenbrüche, brauchen Tee. Beim Tanz sitzen sie als Wächterinnen und Neiderinnen am Rand, zuständig für Benehmen und Moral. Ihre unselige Rolle spukt bis heute durch unsere Köpfe: Ma trone, Schreckschraube, Gouvernante, schwiegermütterliche Terroreinheit, verbiesterte Vergangenheit.

Sommer ohne Männer

Mia, die Protagonistin von Siri Hustvedts Roman The Summer Without Men (auf Deutsch: Der Sommer ohne Männer) fragt sich: Wo beginnt das Ich, endet das Du? Wie viel Selbst ist tatsächlich "selbst" – oder durch Normen, äußere Einflüsse und andere Menschen gemacht? Kurzum: Wer kann ich sein als mittelalte Frau, die mit einem Mal wieder allein im Leben steht?

Mia, Journalistin von Beruf, befindet sich mitten in den Wechseljahren, als sich Ehemann Boris, Neurowissenschafter im siebten Lebensjahrzehnt, eine Beziehungspause nimmt. Die Pause spricht französisch, hat einen bedeutenden Busen und ist zwanzig Jahre jünger als Mia. Drei Jahrzehnte Ehe – dahin. Ungern auf Pause gestellt, produziert Mia einen Energieausbruch, der sie für eineinhalb Wochen als "quite mad" in eine psychiatrische Klinik katapultiert. Von dort zieht sie weiter in die Kleinstadt in Minnesota, in der sie aufwuchs, um sich zu erholen. Sie beginnt ihren Sommer ohne Männer.

Eine Pause mit Busen

Siri Hustvedt ist Jahrgang 1955. Verweise auf Jane Austen fehlen ebenso wenig wie spitze Bemerkungen zur Gegenwart. Der Roman ist intelligent, unterhaltend, "quite true". Es gelingt ihm, diffuse Gemütszustände in Worte zu fassen: zum Beispiel, was einen anweht, wenn man kein Baby mehr bekommen kann, aber eines durch die Tür schreien hört. "Change" – mit großem C geschrieben das Euphemismuswort für die Wechseljahre in der amerikanischen Welt – betrifft als "change" mit kleinem c jedes Frauenalter. Alle lernen etwas, alle wechseln die Identität.

Die schönste Antwort auf Mias Fragen geben die fünf Schwäne, so Mias Name für ihre Mutter und deren Freundinnen. Ihnen steht der letzte Wechsel bevor, vielleicht sind sie deswegen so erfrischend subversiv. Allen voran Abigail, Königin des Stickens und der Applikation. Brav kommen ihre Werke daher. Ein Tischläufer mit Weihnachtsbäumen. Zieht man den Reißverschluss auf der Rückseite auf, darf man auf eine Reihe bunter Frauen schauen, die sich selbst befriedigen. Auch der Teekannenwärmer hat es in sich: Dreht man ihn um, präsentieren Monster ihre Fratzen.

Mias Ärztin sagt: "Tolerating cracks is part of being alive" – Risse auszuhalten ist Teil unserer Lebendigkeit. Ich nenne es: Altersfreiheit. Altersgewinn.