Die Politologin Ulrike Guérot erhielt wegen eines Plagiatsvorwurfs eine Kündigung ihrer Universität.
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Während der Corona-Pandemie und des Ukrainekriegs fiel die deutsche Politikwissenschafterin und Publizistin Ulrike Guérot durch umstrittene Kritik auf. Dies dürfte auch ihre Arbeitgeberin, die Universität Bonn, für problematisch befunden haben. Nun erhielt Guérot eine Kündigung – angeblich aufgrund eines Plagiats in einem nichtwissenschaftlichen Buch, das 2016 erschienen ist, wie sie am Freitag auf Twitter mitteilte.

Laut dieser Lesart dürfte sich dieser Vorwurf auf das Sachbuch "Warum Europa eine Republik werden muss: Eine politische Utopie" beziehen. Der "Neuen Zürcher Zeitung" zufolge wird ihr vorgeworfen, die Übernahme von Zitaten anderer Autoren nicht durchgängig korrekt ausgewiesen zu haben. Guérot habe sich dafür entschuldigt und von Flüchtigkeitsfehlern unter Zeitdruck gesprochen.

Gremien sehen Plagiat(e)

Die Universität Bonn bestätigte "arbeitsrechtliche Schritte" gegen Guérot. Im vergangenen Jahr seien zudem Vorwürfe gegen die Politikwissenschafterin erhoben worden, sie habe sich während ihrer Dienstzeit an der Universität Bonn fremdes geistiges Eigentum angeeignet, ohne dieses als solches kenntlich zu machen. Diese Vorwürfe betreffen ihr Buch "Wer schweigt, stimmt zu", über dessen Plagiate die FAZ im Vorjahr berichtete.

Die zuständigen Gremien hätten den Sachverhalt geprüft und sähen ihn als erwiesen an: "Dem von Frau Prof. Dr. Guérot unter anderem vorgetragenen Einwand, dass es sich bei den relevanten Publikationen nicht um wissenschaftliche Veröffentlichungen handele, sind die zuständigen Gremien nicht gefolgt." Das Rektorat habe daraufhin die gebotenen arbeitsrechtlichen Schritte eingeleitet.

"Ich werde dagegen juristisch vorgehen und stehe deswegen nicht für Anfragen zur Verfügung", schreibt Guérot. Sie wäre die erste Person, die in Deutschland "wegen 'Plagiat' gekündigt würde", schreibt sie, und: "Es wird spannend ;-)".

Ob Guérot tatsächlich ein Präzedenzfall ist, darf bezweifelt werden, wie die FAZ schreibt: Es gab bereits Kündigungen von Hochschullehrenden (auch in Österreich) aufgrund des Verlusts eines Doktorgrades oder der Habilitation, ausgelöst durch Plagiate. Zudem weiß niemand genau, wie viele weitere solche Kündigungen wegen Plagiaten es schon gegeben hat, weil nicht alle Gerichtsentscheidungen veröffentlicht werden.

Umstrittene Aussagen zum Ukrainekrieg

Dennoch ist der Fall interessant: Die Vorgehensweise erweckt ein wenig den Anschein, als handle es sich beim Plagiatsvorwurf um einen vorgeschobenen Grund, um Guérot zu kündigen. Die Politologin mit Schwerpunkt Europa war in den vergangenen Jahren als scharfe Kritikerin staatlicher Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus hervorgetreten, da sie dadurch die Demokratie in Gefahr sah. Das erwähnte Buch "Wer schweigt, stimmt zu" wurde ein Bestseller.

In ihrem jüngsten Buch "Endspiel Europa", das Guérot gemeinsam mit Hauke Ritz verfassten, wird der Ukraine die Rolle des Kriegstreibers zugewiesen, der stellvertretend für den Westen einen Krieg mit Russland begonnen habe. Kritikerinnen und Kritiker warfen ihr vor, das Verhältnis von Angreifer und Angegriffenem teilweise umzukehren und die Ukraine wahrheitswidrig als Schuldigen hinzustellen. Auch die Uni Bonn distanzierte sich in diesem Zusammenhang Ende Oktober 2022 von ihren Äußerungen, ohne Guérot allerdings beim Namen zu nennen.

Zuletzt war Guérot eine der Erstunterzeichnerinnen des von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht verfassten "Manifests für Frieden", das ein Ende der Waffenlieferungen und Verhandlungen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin fordert, wie das Guérot seit vielen Monaten tat.

Schutz der Wissenschaft

Dürfen Universitäten oder andere wissenschaftliche Institute Personen, die unliebsame Äußerungen treffen, kündigen? Im Rahmen der Wissenschaftsfreiheit ist dies nicht gedeckt. Um die Freiheit der Forschung und Lehre nicht einzuschränken, sind die akademische Arbeit wie auch Äußerungen von Wissenschafterinnen und Wissenschaftern also quasi besonders geschützt. Oder, wie es der Jurist Bernhard Kempen von der Universität Köln, der auch Präsident des Deutschen Hochschulverbands ist, vor einigen Jahren formulierte: Die Wissenschaftsfreiheit "geht viel weiter als die allgemeine Meinungsfreiheit, die jedermann zusteht". (red, APA, 24.2.2023)