Matthias Jaissle hat nach dem Europacup-Aus schwierige Zeiten zu bewältigen.

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Ein finaler Abschiedsgruß in Rom.

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Ausgeschieden im Cup, ausgeschieden in der Europa League, die Liga als letzte Chance – erstmals seit fünf Jahren kann Red Bull Salzburg nur mehr maximal einen Titel holen. Dass das Rückspiel der Europa-League-Zwischenrunde gegen die Roma 0:2 verlorenging, wäre für sich genommen kein Beinbruch. Schlimmer war die Art, wie eine völlig überforderte Mannschaft in der ersten Halbzeit unterging und auch nach der Pause gegen einen Gastgeber im Schongang kaum Stiche machte.

"Wir haben Angst gehabt, das war nicht unser Spiel", sagte Stürmer Junior Adamu. "Wir haben es verabsäumt, den Mut und das Selbstverständnis – gegen und mit dem Ball – auf den Platz zu bringen", sagte Trainer Matthias Jaissle. Und Sportdirektor Christoph Freund gestand: "Wir haben gespielt, als hätte uns irgendetwas beeindruckt."

Ist der Weg zu riskant?

Da klingt ein vertrautes Motiv durch: Salzburgs Teams brechen regelmäßig Altersrekorde, doch Jugend hat auch Schattenseiten. "Wir setzen uns extrem hohe Ziele mit einem sehr mutigen Weg", sagte Jaissle. "Der Sportdirektor hat ihn riskant genannt." Aber: "Dessen war ich mir bewusst, als ich den Job antrat, dass ich diesen Weg voller Überzeugung mitgehe."

Auch im STANDARD-Forum argumentiert so mancher, dass die Vereinsstrategie größere internationale Erfolge verhindert. Glänzt ein Kicker, ist er flott weg. Das ist oft auch in Form einer festgeschriebenen Ausstiegsklausel Teil der Abmachung, mit der Salzburg internationale Topklubs im Kampf um die größten Talente aussticht. Motto: Du kommst zu uns, dafür bekommst du Spielpraxis und keine Steine in den Weg gelegt, wenn es Zeit für den nächsten Schritt ist. Verkäufe müssen ohnehin sein, weil aus Liefering Hochveranlagte nachdrängen.

Das war beim Durchmarsch ins Europa-League-Halbfinale 2017/18 noch anders, was sich auch im Altersschnitt niederschlug. Unter den damaligen Leistungsträgern hielten sich Mittzwanziger wie Stefan Lainer (damals 24) oder Munas Dabbur (25) und Youngster wie Amadou Haidara (19) oder Duje Caleta-Car (20) die Waage. Es war auch diese Saison, in der sich Salzburg endgültig auf die Scoutinglisten sämtlicher Topteams spielte und die derzeitige Dynamik einleitete.

Titellos?

Der Plafond im Europacup ist das eine, das große Ganze das andere. Salzburgs traditionelle Überlegenheit und strukturellen Vorteile bringen höchste Ansprüche mit sich, eine titellose Saison wäre eine kapitale Niederlage. Die letzte vergleichbare Saison ist nicht lange her: 2019/20 war Salzburg zur Corona-Unterbrechung nur Tabellenzweiter und ist im Sechzehntelfinale der Europa League gegen Eintracht Frankfurt chancenlos ausgeschieden.

Im Cup war Salzburg damals noch dabei, der Viertelfinalgegner hieß SKU Amstetten statt SK Sturm Graz. Dank der Selbstsabotage des LASK holten die Bullen schlussendlich entspannt das Double. Heuer wird es das derzeit sechs Zähler zurückliegende Sturm dem Serienmeister nach der Punkteteilung wohl nicht so leicht machen – und genau darin liegt auch für Salzburgs Trainer die Gefahr.

Solide Statistiken

Jaissle hat heuer nicht den Kader der Vorjahre zur Verfügung, es fehlen Kaliber wie ein Erling Haaland, Mo Camara oder Karim Adeyemi. Trotzdem gewann Salzburg 14 von 18 Ligaspielen, Jaissles Punkteschnitt liegt bewerbsübergreifend bei 2,27. Seine Vorgänger Jesse Marsch und Marco Rose halten bei 2,18 und 2,35 – wobei Rose nie durch eine Champions-League-Gruppenphase musste.

Eine Schwäche ist die Auswärtsbilanz im Europacup: In acht Spielen ab der Gruppenphase gab es nur drei Punkte, die Tordifferenz steht bei 5:19. Dass Salzburg ständig Kapazunder auf dem Niveau von Rose aus dem Hut zaubert, ist unrealistisch. Auch Jaissles programmierter Nachfolger Fabio Ingolitsch zahlt derzeit beim FC Liefering Lehrgeld.

Wenig Spielwitz

Jaissles Fußball ist pragmatischer als der traditionelle Red-Bull-Stil, doch genau das galt in Momenten des Erfolgs als Patentrezept. Man denke an das letzte CL-Gruppenspiel der Vorsaison, als die jungen Bullen staubtrocken ein 1:0 gegen den FC Sevilla abmoderierten. In Spielen gegen erst groß aufgeigende und dann gnadenlos abgeklärte Klassemannschaften wie die Roma wirkt die Spielanlage eher planlos – das sah mit dem Hollodaro-Kick eines Marsch unterhaltsamer aus, auch wenn am Ende meist die Gegentore überwogen.

Eher umstritten sind Jaissles Auftreten und Menschenführung, hört man aus Salzburg. Bei aller zur Schau gestellten Demut ist dem Deutschen Selbstvertrauen nicht fremd. Nicht zu jedem Kicker hat er einen guten Draht. Genau diesen könnte er nun aber brauchen: Der Kader ist auf Dreifachbelastung ausgelegt, nun gibt es zu wenige Einsatzminuten zu verteilen. Käme ein sportliches Tief hinzu, könnte es im Team gröber rumoren. (Martin Schauhuber, 24.2.2023)