Kanzler Karl Nehammer (rechts) und Vizekanzler Werner Kogler am Freitag bei der Nationalratssitzung.

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Es knirscht im Koalitionsgetriebe. Gerade sorgt das Thema Wohnpolitik erneut für schlechte Stimmung zwischen ÖVP und Grünen. Am Freitag platzten die Verhandlungen rund um eine Mietpreisbremse – zumindest vorerst. Aus Sicht der Grünen, weil die ÖVP das Vorhaben an einen satten Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer koppeln wollte. Ein "Geschenk für Reiche", wie die Wiener Grünen-Chefin Judith Pühringer es nannte.

Die ÖVP argumentierte wiederum, man könne nicht nur Erleichterungen für Mieterinnen und Mieter beschließen, sondern müsse auch den ländlichen Raum mitdenken, wo junge Menschen für das erste Eigenheim sparen. Offenbar wurden Einwände der Grünen, Schranken für den Entfall der Grunderwerbsteuer einzuziehen, nicht akzeptiert – der von der ÖVP vorgeschlagene Freibetrag soll bei 500.000 Euro liegen.

Der Streit sagt aber mehr über die Koalition aus, als dass ÖVP und Grüne unterschiedliche Vorstellungen haben, welche Wohnformen gefördert gehören und wem finanzielle Unterstützung gebührt. Drei Thesen zur Zukunft der Koalition.

1. Die ÖVP kämpft um Profilierung – und wird das künftig noch stärker tun

Viele in der ÖVP sind mit der derzeitigen Regierungsperformance unzufrieden. "Es ist doch unglaublich, wie wir uns von einer 14-Prozent-Partei hertreiben lassen", sagt ein Türkiser. "Schließlich sind wir zumindest noch auf dem Papier eine Partei mit fast 38 Prozent."

Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) setzt nun zwar wieder verstärkt auf das Thema Migration. Die letzten konkreten Regierungserfolge waren – zumindest oberflächlich betrachtet – jedoch häufig grüne Themen. Nach der Regierungsklausur im Jänner wurden etwa "Turbo"-Maßnahmen für den Ausbau erneuerbarer Energiequellen und eine Reform des Korruptionsstrafrechts präsentiert. Beides auch im Sinne der ÖVP. Klimaschutz und Antikorruption gehören dennoch zum Markenkern der Grünen.

Auch den türkisen Strategen ist bewusst, dass Nehammer und die Volkspartei dringend ein klareres Profil brauchen. Nehammer hat nun für Anfang März eine Rede angekündigt, in der er seine Vision für "Österreich 2030" darlegen will. Darüber hinaus sagen viele in der ÖVP aber auch: Man muss nun in allen Belangen wieder mehr auf die eigene Wählerklientel schauen – und darf den Grünen weniger durchgehen lassen.

2. Die Grünen wissen, dass sie nur noch wenig Zeit haben für Sachpolitik

Der Politologe Thomas Hofer hat es im Gespräch mit dem STANDARD kürzlich so formuliert: Selbst wenn – wie regulär geplant – im Herbst 2024 gewählt wird, liege der inoffizielle Wahlkampfstart nicht mehr allzu fern. Für "policy" – also inhaltliche Vorhaben und Sachpolitik – sei wohl nur mehr etwas mehr als ein halbes Jahr Zeit. Das weiß man auch bei den Grünen. Die Kleinpartei will nun noch möglichst viel auf der Habenseite verbuchen – und steht unter Druck.

Zwar herrscht innerhalb der Partei schon das Gefühl, in puncto Klimaschutz einiges weitergebracht zu haben. Die Reform des Klimaschutzgesetzes, also eines wichtigen Puzzlesteins, steht allerdings noch aus. Und bei Justizthemen werden noch mühsame Grabenkämpfe rund um die Einführung einer Bundesstaatsanwaltschaft und des Informationsfreiheitsgesetzes erwartet. Auch das sind zwei Kernthemen der Grünen. Dass beides noch umgesetzt werden müsse, wird von Grünen immer wieder als Begründung dafür genannt, die Koalition mit der ÖVP fortzusetzen.

3. Wahlen könnten auch schon vor Herbst 2024 anstehen

Mit raschen Neuwahlen ist nicht zu rechnen – damit, dass noch die volle Legislaturperiode absolviert wird, aber womöglich auch nicht. Der reguläre nächste Wahltermin liegt im Herbst 2024. Sowohl in der ÖVP als auch bei den Grünen halten es einige für wahrscheinlich, dass die Regierung nach dem gemeinsamen Budget im Herbst 2023 vorgezogene Neuwahlen verkündet. Gewählt würde dann also in der Zeit zwischen Februar und Juni 2024, in der auch die EU-Wahl stattfindet.

In der Regierung wird diese These vehement bestritten. Weder ÖVP noch Grüne würden von einem früheren Wahltermin profitieren, so die gängige Argumentation. Die ÖVP ist in Umfragen im Vergleich zum vergangenen Wahlergebnis deutlich abgestürzt, erholt sich derzeit aber wieder leicht. Die Grünen liegen in Wahlumfragen seit Monaten bei rund zehn Prozent. Bei der Wahl 2019 kamen sie noch auf 13,9 Prozent der Stimmen. (Katharina Mittelstaedt, Fabian Schmid, 25.2.2023)