Eigentlich hätte die Novelle der Straßenverkehrsordnung (StVO) vom vergangenen Herbst Fußgängerinnen mehr Platz bescheren sollen. In Simmering kommt nach dieser Gesetzesänderung nun aber genau das Gegenteil heraus. Darauf machte Lukas Hammer, grüner Klimaschutzsprecher im Parlament, vor kurzem auf Twitter aufmerksam. Stein des Anstoßes: ein Gehsteig in der Brehmstraße, der zwar neu angelegt wurde, aber nicht begangen werden darf.

Warum das? Weil Autos dort schräg parken können sollen. Durch die StVO-Novelle dürfen sie aber nur noch so weit in einen Gehsteig hineinragen, dass eine Restbreite von mindestens 1,5 Metern erhalten bleibt. Das ist in der Brehmstraße nicht möglich. Bezirksvorsteher Thomas Steinhart (SPÖ) schaffte kurzerhand Abhilfe, indem er das Betreten des Gehsteiges mit einer Verbotstafel untersagte – was bereits für mediales Aufsehen sorgte.

Im Gespräch mit dem STANDARD beruft sich Steinhart auf den ausdrücklichen Wunsch von Anwohnern und Eltern, die ihre Kinder mit dem Auto in den Kindergarten in der Brehmstraße bringen. Er sei sehr wohl bereit, dem motorisierten Verkehr vorbehaltene Flächen zu "opfern", betont Steinhart. Das würde etwa die Etrichstraße beweisen, wo der Rad- und Fußverkehr zuletzt 720 Meter neue Infrastruktur erhalten habe.

Für die Kontrolle des Hineinrage-Verbots und das Strafen bei Verstößen sind in Wien Parksheriffs zuständig. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien dafür "bestens geschult" und würden dabei "mit Augenmaß und Hausverstand" vorgehen, heißt es aus der zuständigen MA 46. Wie viele Strafen seit Inkrafttreten der StVO-Novelle im Oktober 2022 ausgestellt wurden, ist jedoch nicht bekannt: "Gesonderte Zahlen zu diesem Delikt liegen nicht vor."

Gefahrenstelle Weghuberpark

Simmering ist derzeit nicht der einzige Ort in Wien, an dem Fußgängern der Weg abgeschnitten wird. Auch an der Zweierlinie zwischen den Bezirken Neubau und Innere Stadt spießt es sich. Grund ist der U-Bahn-Ausbau, der die Mobilitätswende beschleunigen soll. Die aktuelle Baustelle beim Weghuberpark lädt allerdings nicht gerade dazu sein, sich klimafreundlich fortzubewegen: Der Gehsteig wurde dort gestrichen.

Fußgänger werden beim Weghuberpark auf weite Umwege geschickt ...
Foto: Reinhilde Becker

Nur der schmale Radweg blieb. Dieser zählt nicht gerade zur Vorzeigeinfrastruktur: Er hat zwar Priorität 1 im Wiener Hauptradverkehrsnetz, doch ist er an vielen Stellen gerade einmal einen Meter breit. Vom achten Bezirk Richtung Volkstheater windet er sich im Slalom um die Masten der Straßenlaternen.

Neben dem Radweg verengt und weitet sich der Bereich für die Fußgängerinnen von schmalen 1,5 Metern bis zum breiteren Flanierweg. Im Bereich des Weghuberparks ist momentan aber Schluss mit dem Gehen. Wegen der umzäunten Baustelle werden die Fußgängerinnen großräumig umgeleitet.

... und suchen sich daher kurzerhand ihre eigenen Routen.
Foto: Radlobby / Dominik Hauser

Oder sie kürzen auf eigene Faust über den Radweg ab. Das ist zwar lebensnah – denn kaum jemand geht freiwillig Umwege –, aber auch riskant. Das hat mittlerweile die Neubauer Bezirksvertretung auf den Plan gerufen: Sämtliche Fraktionen kritisieren die Gefahrenstelle.

Umwege bleiben für fünf Jahre

Einen günstigen Zeitpunkt, den Verkehr im Bereich der Baustelle neu zur organisieren, hätte es Ende Februar gegeben. Da lief die Baustellengenehmigung aus, die MA 46 hätte auf die Kritik reagieren können. Doch die Stadt ließ die Chance verstreichen und verlängerte die Baustellenbewilligung um fünf Jahre.

Organisationen, die sich für klimaschonende Mobilität einsetzen, zeigen sich enttäuscht. Hanna Schwarz von der Fußgängerinneninitiative "Geht doch" kritisiert die ersatzlose Gehsteigsperre: "Fußgängerinnen lange Umwege zuzumuten, wenn einfachste Lösungen auf dem Tisch liegen, passt nicht zu einer klimafitten Musterstadt, wie Wien sie gerne sein möchte. Auf der ersten Fahrspur ist Platz für den Radverkehr, für Fußgänger könnte kurzerhand am bestehenden Radweg Platz gemacht werden. "

Der Radweg entlang der Zweierlinie dient beim Weghuberpark derzeit oftmals als Gehsteig.
Foto: Dominik Hauser

Dominik Hauser von der Interessenvertretung Radlobby fordert eine unkomplizierte Sofortlösung: "Der Radweg auf der Zweierlinie stammt aus den Anfängen des Radverkehrs in Wien am Beginn der 2000er-Jahre und wird den erfreulicherweise gestiegenen Radverkehrsstärken heute nicht mehr gerecht. Nachdem sich die Rahmenbedingungen verändert haben, bietet die aktuelle Baustelle die Chance eines breiten, geschützten Radweges neben einer direkten Gehsteigverbindung für Zu-Fuß-Gehende."

Auf die Kritik angesprochen verweist das Büro der zuständigen Verkehrsstadträtin Ulli Sima (SPÖ) an die MA 46. Die argumentiert, dass die Belange von Fußgängern und Radfahrerinnen bei allen Baustelleneinrichtungen "so gut wie möglich" berücksichtigt worden seien.

Lösung nach Baustellenende versprochen

Auch über die Baustellenzeit hinaus besteht der Wunsch nach einer Umverteilung der Flächen auf der Zweierlinie. Aus dem Sommer 2021 liegt etwa ein Antrag von Neubauer Grünen, SPÖ, Neos und Links-Partei vor, in dem entlang der Strecke ein baulich getrennter Radweg nach dem Vorbild Getreidemarkt gefordert wird. Weder Gehwege noch Grünflächen sollen dafür angetastet werden.

Dass der vorhandene Raum ohne Stau und Radau umverteilt werden könne, rechneten zuletzt die Grünen vor: Seit 2017 sei der Autoverkehr auf der Zweierlinie um rund 40 Prozent zurückgegangen. Die rot-pinke Rathauskoalition hat es sich laut ihrem Klimafahrplan für die Zukunft selbst zum Ziel gemacht, den Autoverkehr zu reduzieren – konkret um 50 Prozent bis 2030.

Aus der MA 46 heißt es dazu, dass eine "komplette Neugestaltung der Zweierlinie nach modernsten Klima-Standards" zeitgerecht geplant werde. "Der Fokus bei der Neugestaltung liegt selbstverständlich auf umweltfreundlicher Mobilität, Begrünung und Entsiegelung. Und natürlich wird es für den Rad- und Fußverkehr entsprechende und zeitgemäße Infrastruktur geben." (Reinhilde Becker, 7.3.2023)