Die österreichische Trans*Schauspielerin Thea Ehre im Wettbewerbsfilm "Bis ans Ende der Nacht".

Foto: Reinhold Vorschneider / Heimatfilm

Ruth Beckermann, Ulrich Seidl und die Newcomerin Kurdwin Ayub – das waren die Namen, die letztes Jahr den österreichischen Film auf der Berlinale repräsentierten. Heuer muss man in Nebensparten und Besetzungslisten etwas genauer suchen. Tut man es, dann fällt auf: Die österreichische Filmlandschaft ist so divers und international wie nie.

Das zeigt sich an den Hauptrollen der bisher besten deutschen Wettbewerbsfilme, die mit dem Wiener Thomas Schubert und der Welserin Thea Ehre besetzt wurden. Beide verkörpern nicht die Norm. Thomas Schubert ist in Christian Petzolds Roter Himmel fülliger als das Gros der Schauspieler. Und das ist gut so, denn Körper bestehen nicht nur aus schlanken Gliedern und reiner Haut, wie uns das Kino so oft vorgaukeln möchte.

Das Ende der Zweigeschlechtlichkeit

Thea Ehre indes bricht in Christoph Hochhäuslers Bis ans Ende der Nacht als Transfrau Leni die Zweigeschlechtlichkeit auf. Zum Kummer ihres Ex-Freunds Robert (Timocin Ziegler): Der schwule Cop aus dem Böse-Buben-Bilderbuch kommt mit der Transition seines früheren Lovers Lennard nicht zurecht. So ganz nebenbei geht es dann noch, mit Leni als Köder, darum, einen Onlinedrogenhändler festzusetzen. Zeitgemäßer und großstädtischer geht es kaum – einer der spannendsten deutschen Beiträge des Wettbewerbs. Thea Ehre, die ihre ersten Rollen in Vorstadtweiber hatte und derzeit auch am Volkstheater performt, dürfte als Favoritin ins Rennen um die seit 2022 genderneutralen Schauspielpreise gehen.

Große Preischancen im Forum mit "De Facto" und "Anqa"

Im Forum hat Selma Doborac mit De Facto, einer überlangen, bildlich minimalistischen und sprachlich dichten Arbeit über Täterschaft, Gewalt und Staatsterror, große Preischancen. Direkte Konkurrenz, auch durch die thematische Nähe, ist Helin Çeliks Anqa. Eine intime Observation des Traumas dreier jordanischer Frauen, die Opfer eines gewalttätigen Überfalls geworden sind. Von der feindlichen Außenwelt abgegrenzt leben sie in ihrem versperrten Haus.

Berlinale - Berlin International Film Festival

Musikalisch ins Nachtleben

Isoliert ist auch das platonische Liebespaar in Patric Chihas Das Tier im Dschungel, einer österreichisch-französischen Koproduktion im Panorama. Chiha wurde mit seinen Dokumentarfilmen, darunter Brüder der Nacht (2016), erfolgreich. Jetzt wagt sich der in Paris lebende Wiener ins Spielfilmfach. Die legendäre Schauspielerin Béatrice Dalle erzählt darin das Märchen über einen rätselhaften Jungen, ein fröhliches Mädchen, eine Prophezeiung und einen Pariser Club, in dem beide über zwei Jahrzehnte hinweg ihre Nächte verbringen: Wartend, die Tanzenden anschauend, während die Musik vom queeren Discosound der Spätsiebziger ins Techno der 1990er wechselt.

Ein ähnlich immersives, aber bei weitem kürzeres Kinoerlebnis ist der abstrakte Dreiminüter Happy Doom von Billy Roisz, der im Kurzfilmwettbewerb zu sehen ist.

Und schließlich ist da Adentro mío estoy bailando, auf Deutsch "In mir tanze ich", der bei uns als The Klezmer Project in die Kinos kommen wird. Der hinreißende Roadtrip von Leandro Koch und Paloma Schachmann sucht nach der aussterbenden Klezmertradition und führt von der jüdischen Gemeinde in Argentinien über Salzburg (wo Geld in Gestalt eines unfreundlichen Produzenten winkt) bis in die Vorkriegs-Ukraine, nach Rumänien und Moldau.

Films Boutique

In Tirol geht man Schifoan

Der österreichischste Film dieser Berlinale ist Stams von Bernhard Braunstein, der nächste Woche in den Kinos anläuft. Statische Einstellungen rahmen die Schüler des titelgebenden Tiroler Skigymnasiums. Dass laut Gott alle Menschen gleich seien, doch manche Menschen mit Talenten gesegnet, spricht zu Beginn der Pfarrer. Dass aber neben Talent körperliche und psychische Belastbarkeit vorhanden sein muss, zeigt Braunsteins Doku eindringlich.

Nur gut, dass Sieger in der Kultur anders gekürt werden als im Sport: Nicht Rekorde, sondern Jurydiskussionen entscheiden über die Preise der Berlinale, die am Samstagabend vergeben werden. (Valerie Dirk aus Berlin, 25.2.2023)