Ein kleines Huhn irrt durch die Schlachtkammer. Ein Fußtritt beendet seine Flucht, ein Schlag gegen einen Container sein Leben. Für die Tierkörperverwertung aussortierte und noch nicht betäubte Hendln sterben, indem sie von kräftigen Hände gepackt und gegen Tonnen geschleudert werden. Zuvor kippt Geflügel übereinander in die Betäubungsanlage. Ein Tier bleibt an den Lamellen hängen. Andere schnappen nach Luft, schlagen mit den Flügeln, ehe sie durch Sauerstoffentzug das Bewusstsein verlieren. Ein in der Transportkiste verbliebenes Tier fährt in die Hochdruckwaschanlage. Arbeiter hängen derweil regungslose Hühner auf Haken eines Karussells. Einer wischt sich mit ihnen den Kittel ab, ein anderer reinigt damit die Arbeitsfläche.

Von der Transportkiste in die Betäubungsanlage: 94 Millionen Hühner werden in Österreich jährlich geschlachtet.
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94 Millionen Hühner werden jährlich in Österreich geschlachtet. Ihr Fleisch ist begehrter denn je, der Bedarf an Brustfilets wächst. Der überwiegende Teil der Verarbeitung ist in der Hand von vier großen Schlachthöfen, die den gesamten Lebensmittelhandel beliefern. Einer unter ihnen gerät nun ins Visier der Tierschützer, nachdem eingeschleuste Kameras verstörende Einblicke in den Arbeitsalltag gegeben haben.

"Keine Beanstandungen"

Der Verein gegen Tierfabriken (VGT) hat das steirische Unternehmen bei der Bezirkshauptmannschaft wegen Übertretung der Tierschutzgesetze angezeigt. Eine Anzeige wegen Tierquälerei erging auch an die Staatsanwaltschaft. Der betroffene Schlachthof wurde vor kurzem von der zuständigen Bezirkshauptmannschaft an Ort und Stelle kontrolliert. Behördliche Beanstandungen gab es keine, teilt diese auf eine Anfrage des STANDARD mit. Der Betrieb arbeitet weiter.

Zuvor hagelte es wie berichtet Anzeigen gegen drei Geflügelmäster. Amtliche Prüfungen und Audits folgten. Eines der drei Unternehmen ist für das Gütesiegel der AMA nach wie vor gesperrt.

In der Branche herrscht Aufruhr. Angst geht um, gewichtige Handelsketten als Abnehmer zu verlieren, was Importen Vorschub leisten könne – aus Ländern, in denen Standards in der Tierhaltung noch niedriger sind als hierzulande.

Österreichs im internationalen Vergleich kleinstrukturierte Geflügelbauern sehen sich in der EU als Vorreiter, was Tierwohl betrifft. 16 bis 18 Hühner teilen sich in der konventionellen Mast einen Quadratmeter. Das entspricht einer Besatzdichte von 30 Kilo. EU-weit sind bis zu 42 Kilo zugelassen. Weitere Missstände könnten den Ruf der österreichischen Fleischproduktion jedoch nachhaltig ramponieren.

"Schwarze Schafe"

Markus Lukas, Obmann der Geflügelmäster, hebt den in die Kritik geratenen Schlachthof als einen der weltweit modernsten Betriebe seiner Art hervor. Erst vor einem Jahr sei stark in die Produktion investiert worden. Lukas will die an die Öffentlichkeit gespielten Bilder nicht schönreden. Der Mitarbeiter, der Tierschützern durch extreme Brutalität auffiel, habe das Unternehmen bereits verlassen. Es sei notwendig, schwarze Schafe unter der Belegschaft, die ethisch nicht vertretbar agierten, auszusieben. Unumstößlich sei aber, dass Tierärzte die Schlachtung ständig begleiteten. "Es gibt laufend Audits, und es wird unangemeldet kontrolliert."

40.000 bis 50.000 Hühner verarbeitet ein großer Schlachthof in Österreich täglich. Eine Million sind es in deutschen Fabriken. In den USA schlachten Konzerne an die 100 Millionen Hühner innerhalb einer Woche.
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40.000 bis 50.000 Hühner sticht ein großer Schlachthof in Österreich täglich. Eine Million sind es in deutschen Fabriken. In den USA verarbeiten Konzerne an die 100 Millionen innerhalb einer Woche. Zerlegt werden die Tiere weltweit vielfach im Akkord. Den überwiegenden Teil der Jobs in der EU stemmen Arbeiter aus Osteuropa. Die Corona-Krise offenbarte in Ländern wie Deutschland teils prekäre menschenverachtende Arbeitsbedingungen.

"Unsicherheitsfaktor Mensch"

Ob Hühner in Österreich biologisch aufwachsen, ist am Ende ihres Lebens einerlei. Sie werden bei der Schlachtung in der Regel lediglich vorgereiht, um Verwechslungen hintanzuhalten. Die Alternative ist der Tod auf dem eigenen Hof. Dabei kommen zusehends mobile Schlachthöfe zum Einsatz, die Tieren den Stress des Transports ersparen. Ihre Kapazitätsgrenze liegt jedoch bei wenigen tausend Hühnern am Tag.

Die Schlachtung erfolge mittlerweile über hochstandardisierte technische Prozesse, die kaum variierten, erläutert Michael Hess, Leiter der Abteilung Geflügelmedizin an der Wiener Vet-Med. Dass der Unsicherheitsfaktor Mensch kleingehalten wird, hält der Experte für wichtig, ebenso die Sorgfaltspflicht bei der Arbeit am Fließband.

Angeliefert werden Hühner nachts in Wartehallen. Aus Kisten rutschen sie in eine Betäubungsanlage. Stufenweise steigt über den Förderbändern die C02-Konzentration. Auf Haken fahren sie danach entlang einer Schlachtkette rotierenden Messern entgegen. Arbeiter schneiden manuell nach, ehe die Federn nach einem heißen Wasserbad entfernt werden. Kopfüber in einem Wasserbad betäubt, durch das Strom fließt, werden in Österreich nur noch Suppenhühner und Wassergeflügel. Letzteres ist in der Lage, die Luft bis zu zehn Minuten lang anzuhalten.

"Kontrolldefizite"

Der VGT spricht von "einem extrem rohen und grausamen Umgang" der Arbeiter mit Tieren, von hygienisch bedenklichen Praktiken und Kontrolldefiziten. Das jüngste Video aus dem Schlachthof dient dem Verein als Anlass für eine Petition gegen Tierqualen am Schlachthof.

Österreichs Geflügelwirtschaft erhalte wenig Möglichkeiten, das Videomaterial zu verifizieren, bedauert Harald Schliessnig. Der Geschäftsführer der Qualitätsgeflügelvereinigung erinnert an klare gesetzliche Vorgaben, die umgesetzt würden. Österreichs Fleischbranche habe, im Wissen, dass sie verstärkt im Fokus der Tierschützer stehe, viel in moderne Verarbeitung investiert. "Wir müssen Fehler korrigieren, dürfen jedoch nicht eine ganze Branche über den Kamm scheren."

Hühnerfleisch ist begehrter denn je, der Bedarf an Brustfilets wächst.
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Rewe hat als Reaktion auf die neuen Missstände unangemeldete Kontrollen auf österreichischen Schlachtbetrieben verstärkt. Es handle sich Konzernchef Marcel Haraszti zufolge um keine Einzelfälle, sondern um ein systemisches Problem, das sich vorrangig hinter verschlossenen Türen abspiele. Haraszti fordert mehr gesetzliche Kontrollen und transparentere Haltungsbedingungen.

"Fleisch als Lockmittel"

Den Vorwurf, dass Supermärkte Hühnerfleisch vielerorts zu niedrigen Preisen verschleuderten, lässt Rewe nicht gelten: Aktionen gehörten gerade in Zeiten hoher Inflation dazu. Dies bedeute im Umkehrschluss nicht, dass der Landwirt darunter leide. Dieser werde vielmehr für höheres Tierwohl finanziell abgegolten. Letztlich müssten alle Beteiligten entlang der gesamten Wertschöpfungskette Verbesserungen in Angriff nehmen.

Sebastian Bohrn Mena, Sprecher der Initiative Oekoreich, spricht von "Heuchelei und Krokodilstränen". "Der Handel habe Fleisch über Jahre als Lockmittel eingesetzt und bäuerliche Arbeit systematisch entwertet. Wenn der Handel was ändern wolle, solle er Landwirten ordentliche Preise zahlen und aufhören, Kunden einzureden, dass sie ein Kilo Hühnerfleisch um drei Euro kaufen sollen. "Dubiose, oft selbstverliehene Siegel sind nichts weiter als billige Show."

Die Tierschutzorganisation Vier Pfoten fragt nach der Rolle der Tierärzte und weist auf "extrem prekäre" Arbeitsbedingungen in der Fleischproduktion hin. In Schlachthöfen werde im engsten Takt getötet, überwiegend von Billigarbeitskräften, "deren Entlohnung kaum zum Leben reicht". Es brauche gerade für einen so sensiblen Bereich der Schlachtung bestens geschultes Personal.

"Scheinheilige Debatten"

Michael Wurzer, Geschäftsführer der Geflügelwirtschaft, lehnt Verstöße gegen tierschutzrechtliche Bestimmungen klar ab. "So etwas darf es nicht geben, und das wird hierzulande auch konsequent verfolgt." Er verwehre sich aber gegen scheinheilige Debatten. "Es kann nicht sein, dass Handel und Konsumenten möglichst billige Produkte erwarten und gleichzeitig verleugnen, dass damit in vielen Bereichen optimierte Abläufe unumgänglich werden."

Es brauche keine "unproduktive Entrüstung", meint Wurzer, sondern eine ehrliche Diskussion über Sachzwänge und wirtschaftliche Rahmenbedingungen. "Da werden aus Tausenden Stunden rechtswidrig produzierten Videomaterials die negativsten Szenen herausgepickt, aber das entspricht nicht den generell hohen Standards in unserer Branche."

"Lückenlose Aufklärung"

"Schockiert", wie mit Tieren umgegangen werde, zeigt sich der Grüne Tierschutzsprecher Georg Schwarzl. Es brauche lückenlose Aufklärung, engmaschigere Kontrollen und einen genaueren Blick auf Gütesiegel. Die Grünen wollen einen entsprechenden Antrag in den zuständigen Landtagsausschuss einbringen.

Lukas zufolge ist in der Geflügelwirtschaft in den vergangenen Monaten viel in Bewegung geraten. Diese werde künftig zum einen vermehrt Landwirte unterstützen, die in der Mast auf langsamer wachsende Hühnerrassen umsteigen. Turbozucht hält die Fleischpreise zwar niedrig, ist jedoch mit viel Tierleid verbunden. Zum anderen wurden neue Leitfäden erstellt, nach denen die Haltung erfolgen soll. "Wir werden kontrollieren und sanktionieren."

Schlachtzange statt Schleudern

Was die Arbeit in Schlachthöfen betrifft, brachte der VGT unter anderem das Töten der Hühner durch Schleudern zur Anzeige: Dies sei keine legitime Methode des Schlachtens. Hühner zu töten, indem ihr Kopf gegen einen harten Gegenstand gestoßen werde, sei laut EU-Gesetzen sehr wohl erlaubt, widerspricht Lukas. Dennoch schule man das Personal nun darin, davon abzusehen. In Zukunft sollen aussortierte Hühner nicht mehr gegen Wände getreten oder Container geworfen werden dürfen, ehe sie der Tierkörperverwertung zugeführt werden. Eine Schlachtzange soll ihrem kurzem Leben ein Ende setzen. (Verena Kainrath, 27.2.2023)

Der Artikel wurde um Stellungnahmen der Rewe, der Geflügelwirtschaft, der Tierschutzorganisation Vier Pfoten, der Initiative Oekoreich und der Grünen ergänzt.