Ewigkeitschemikalien bauen sich auf natürliche Weise kaum ab und landen in Erdboden und Gewässern (im Bild: die Donau in Wien).
Foto: Volker Preußer / Imago

Ihre Haltbarkeit ist Fluch und Segen: Sogenannte ewige Chemikalien sorgen dafür, dass Produkte langfristig wasser- und ölabweisend sind. Sie landen aber auch in Nahrungsmitteln, können sich in der Umwelt und in unseren Körpern anreichern und sind auf Dauer ein gesundheitlicher Risikofaktor. Welche Regionen in Europa stärker mit diesen PFAS – eine Stoffgruppe mit tausenden Einzelverbindungen, gesprochen: "P-Fas" – kontaminiert sein dürften, ist nicht so leicht herauszufinden.

Nun wird dies erstmals in einer übersichtlichen und interaktiven Karte für weite Teile Europas dargestellt: Die französische Tageszeitung "Le Monde" veröffentlichte damit die Ergebnisse der Recherche "The Forever Pollution Project". Mehrere Medien waren daran beteiligt, darunter das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF), der britische "Guardian" und für Deutschland NDR, WDR und die "Süddeutsche Zeitung". Letztere zeigte die Daten für Deutschland aufbereitet (mit Paywall).

Risiko aus dem Löschschaum

Demzufolge gibt es mindestens 2.000 Hotspots in Europa, wo für die Bevölkerung eine "erhebliche Gefahr für die menschliche Gesundheit angenommen werden muss". Darüber hinaus seien mehr als 20.000 Orte möglicherweise mit Ewigkeitschemikalien kontaminiert. Das zeigte die Zusammenfassung von mehr als 100 Datensätzen, die durch wissenschaftliche Studien und Presseanfragen ergänzt wurden.

Ein Screenshot der Karte, die auf "Le Monde" abgerufen werden kann. Nach dem Klick auf die Website kann man in die Karte hineinzoomen, wenn man oben rechts "zoom in" aktiviert.
Bild: Screenshot Le Monde

Die roten Punkte zeigen Messungen von PFAS-Verbindungen an. Je dunkler der Punkt, desto höher die Belastung. In violett sind bekannte Hersteller und industrielle Nutzer von PFAS-Stoffen dargestellt. Die blauen Punkte der Startansicht zeigen Orte, an denen angenommen werden kann, dass PFAS-Konzentrationen nachweisbar sind. Das ist etwa an Militärstützpunkten und Flughäfen der Fall, wo Brandschutzübungen oder Feuerwehreinsätze stattfinden – im Löschschaum, der auch Ölbrände bewältigen muss, finden sich oft ewige Chemikalien.

Wenig verdünnt

Ebenfalls werden etliche Kläranlagen und Abfallbehandlungen in der Karte angezeigt. Bei größeren kommunalen und fallweise industriellen Kläranlagen sei im Ablauf generell davon auszugehen, dass PFAS-Konzentrationen von mehr als zehn Nanogramm pro Liter auftreten, sagt der österreichische Wissenschafter Matthias Zessner von der TU Wien auf Anfrage des STANDARD. Er forscht am Institut für Wassergüte und Ressourcenmanagement und beschäftigt sich im Rahmen des EU-Projekts "PROMISCES" mit PFAS in Fließgewässern, Abwässern von Kläranlagen und Sickerwasser alter Hausmülldeponien.

Erhöhte Werte gebe es "überall dort, wo die Einleitung von Kläranlagen in Gewässer nur wenig verdünnt werden", sagt Zessner. "Auch von Altlasten von Hausmülldeponien ist bekannt, dass im Sickerwasser höhere Konzentrationen auftreten und damit eine Belastung des umgebenen Grundwassers einhergehen kann."

Internationaler Vergleich

Vergleichbare Karten gab es bisher nur für die USA. Auf der Website der Nonprofit-Organisation "Environmental Working Group" EWG wird eine solche interaktive Karte angezeigt, die gemessene PFAS-Konzentrationen – beispielsweise im Trinkwasser – dokumentiert. Seit kurzem gibt es auch eine Karte, die Bereiche markiert, in denen Wildtiere gefährdet sein dürften. Auch sie sind von gesundheitlichen Folgen durch die Ausbringung der Chemikalien betroffen. Wieder liegt der Fokus auf den USA, doch auch internationale Problemfälle werden vereinzelt dargestellt, von Fischen bis hin zu Wildschweinen.

Eine interaktive Karte zur Wildtiergefährdung durch erhöhte Werte an Ewigkeitschemikalien der Nonprofit-Organisation EWG.
Bild: Screenshot EWG

Daten für Österreich

Was bedeutet die umfangreiche Europakarte für Österreich? "Das Neue der Karte liegt vor allem in der Sammlung von Daten über Europa hinweg", sagt Matthias Zessner. Das Projekt sei "ein sehr guter Ansatz", wobei für manche Regionen Daten fehlen oder nicht berücksichtigt wurden. "Gerade für Österreich", sagt Zessner: Es scheint "eine Reihe aktuellerer Daten noch keinen Eingang gefunden zu haben", etwa aus umfangreichem Grundwassermonitoring, das vom Umweltbundesamt durchgeführt wurde.

Vorläufige Ergebnisse von Zessners Forschungsgruppe für das "PROMISCES"-Projekt zeigen vor allem im deutschen Fluss Alz – einem Zubringer zum Inn – bemerkenswerte Messungen. Im Chemiepark Gendorf an der Alz, entstanden aus einem Werk der I.G. Farben-Tochtergesellschaft Anorgana, wurde einst die mittlerweile verbotene Verbindung PFOA hergestellt. Mittlerweile wird die Substanz dort nicht mehr produziert, man hat auf Ersatzstoffe umgesattelt, die jedoch ebenfalls zur PFAS-Gruppe gehören.

Problematische Nachfolger

Trotzdem sondert das Umfeld offenbar noch PFOA ab. Auch die häufig kritisierten Ersatzstoffe GenX und Adona wurden in der Alz mitunter in sehr hohen Konzentrationen nachgewiesen. Zudem sind bei kommunalen und industriellen Kläranlagen generell die Unterschiede der PFAS-Werte in Zulauf und Ablauf gering, wie die "PROMISCES"-Messungen demonstrieren. Das heißt, Kläranlagen scheinen nur wenige der Ewigkeitschemikalien zu entfernen. Teilweise können sich PFAS bei der Reinigung von Abwässern aus Vorläufersubstanzen bilden.

Derzeit steht Österreich gemäß den eigenen Richtlinien relativ gut da, die aktuellen Grenzwerte für Trinkwasser und Oberflächengewässer werden größtenteils eingehalten. Es gibt aber strengere Vorschläge, die künftig neue Maßstäbe für die Grundwasserqualität setzen könnten. Damit müssten auch die derzeitigen Konzentrationen stark sinken.

Methodische Mängel

Zessner führt die in der Karte dargestellten Messungen in der Donau und deren Einzugsgebiet – einige aus dem Jahr 2008 – auf die "Joint Danube Surveys" zurück, die auch in späteren Jahren aktuellere Messdaten sammelten. Sie zeigen keine unerwarteten Ergebnisse, "auch wenn die von uns gemessenen Konzentrationen etwas niedriger liegen als hier ausgewiesen". Trotz der wissenschaftlichen Begleitung der Erhebung gebe es methodische Mängel bei der Darstellung der Karte.

So zeige sie in Gebieten ohne "bekannte Kontamination" nicht an, ob Daten fehlen und sich dort noch unbekannte Hotspots befinden, oder ob dort Messungen durchgeführt wurden, die aber keine erhöhten Werte feststellen ließen. Allerdings ist Zessner zufolge "zu erwarten, dass wir dort bei den Ausweisungen von 'known contamination' erst am Anfang stehen". Es dürfte also noch viele Gebiete geben, wo in Gewässern, Böden oder Lebewesen erhöhte PFAS-Belastung nachweisbar ist.

Schwieriger Vergleich

Wer sich wenig mit den als problematisch geltenden Schwellenwerten auskennt, kann die angegebenen Zahlen nicht ohne weiteres einschätzen. Denn die Messwerte aus Wasserproben (in Nanogramm pro Liter) und jene aus dem Sediment (in Nanogramm pro Kilogramm) sind nicht direkt vergleichbar. Einmal ist die Einheit vom Volumen, einmal von der Masse abhängig. Das ist mehr als ein formelles Problem: "Eine Belastung von beispielsweise 100 Nanogramm pro Liter im Wasser wesentlich kritischer zu bewerten als eine Konzentration von 100 Nanogramm pro Kilogramm im Boden", sagt Zessner.

Das liegt daran, dass die im Wasser gelösten Chemikalien mobiler sind und besser transportiert werden können. In Fischen und anderen Wasserlebewesen können sich PFAS anreichern. Die entsprechende österreichische Verordnung für Oberflächengewässer gibt als Umweltqualitätsnorm für die heute verbotene Einzelverbindung PFOS im Jahresdurchschnitt 0,65 Nanogramm pro Liter im Wasser an. Für Fische liege der Grenzwert hingegen bei 9000 Nanogramm pro Kilogramm.

Problemfälle Salzburg und Leibnitz

Das macht einen Unterschied für Problemfälle wie den Flughafen Salzburg und Leibnitz in der Steiermark. Dort wurden durch Löschschaum bei Feuerwehreinsätzen und -übungen Grundwasser und Böden kontaminiert, worüber im vergangenen Jahr auch medial berichtet wurde. Welche Sanierungsmaßnahmen getroffen werden und wer dafür bezahlt, wird erst noch bestimmt.

Dass dies dauern kann und das Bewusstsein um die Problematik erst anwächst, zeigen Zahlen aus Deutschland: 2020 waren der Bundesregierung zufolge bei weniger als einem Prozent aller PFAS-Verdachtsfälle Sanierungen abgeschlossen, heißt es in der "SZ". In manchen der Bundesländer gebe es kein Monitoring der Ewigkeitschemikalien, die Information der Bevölkerung über Risikofälle in der Umgebung findet nur vereinzelt statt.

In der Europakarte sei über die tatsächliche Problematik an diesen beiden österreichischen Hotspots allerdings wenig zu erkennen, sagt Zessner. Die angegebenen Konzentrationen in Lebewesen (in der Karte "Biota") seien im Rahmen der Qualitätsnorm. Ein vergleichbarer Wert im Grundwasser würde hingegen eine erhebliche Belastung anzeigen.

Verbot und Lobbyismus

"Es ist aber sehr zu hoffen, dass diese Datensammlung weiter geführt und ausgebaut wird", sagt Zessner. Gut aufbereitete Daten sind wichtig – gerade jetzt, da bei der europäischen Chemikalienagentur ein Antrag eingereicht wurde, der die tausenden PFAS-Verbindungen EU-weit großteils verbieten könnte. Es wird wohl bis 2025 dauern, bis darüber entschieden wird.

Doch es setzen sich den Recherchen des "Forever Pollution Project" zufolge bereits etwa 100 Lobbyorganisationen dafür ein, die strenge Regulierung abzuwenden. Das Feld betroffener Unternehmen ist groß – von Herstellern ausgefeilter Regenjacken über Kosmetik- und Papierindustrie bis hin zu Firmen, die Lithium-Ionen-Batterien, Elektrofahrzeuge, Solarpaneele und Mobiltelefone herstellen.

Sehr viele Fachleute hegen hingegen große Hoffnungen für ein umfangreiches Verbot der "Ewigkeitschemikalien". Studien haben gezeigt, dass eine höhere Belastung etwa mit einem höheren Krebsrisiko und Entwicklungsstörungen bei Babys einhergeht. Gefunden werden die Substanzen mittlerweile überall, von der Arktis bis zum Regenwasser. Den Hoffnungen der Expertinnen und Experten schließt sich Zessner an: "Eine starke Einschränkung des Einsatzes ist in Hinblick auf den Umweltschutz sicher eine sehr sinnvolle und unterstützenswerte Maßnahme."

Kaum zu entfernen

Sinnvoll sei das fachsprachliche "essential use concept": "Es besagt, das die Gruppe der PFAS nur dort eingesetzt werden darf, wo es gesellschaftlich dringend erforderlich ist und es keine Alternativen gibt." Dies könnte etwa bestimmte medizinische Anwendungen betreffen. Für viele Bereiche gibt es andere Verbindungen, die die langlebigen PFAS ersetzen könnten. Davon sind nicht nur Umweltschützer und Forscherinnen überzeugt, sondern auch Startups wie "Ionysis", die davon ausgehen, dass ein Verbot Innovationen fördern könnte.

Die Stoffe wieder aus der Umwelt zu entfernen ist jedenfalls extrem schwierig und teuer – selbst für kontaminierte Hotspots. Einer Studie zufolge müssten zur Sanierung 17 Milliarden Dollar ausgegeben werden, die gesundheitlichen Kosten der Folgen würden diesen Preis übersteigen – und das jährlich. Die von uns produzierten "ewigen Chemikalien" komplett herauszufiltern ist ein Ding der Unmöglichkeit. (Julia Sica, 26.2.2023)