Reste des untergegangenen Schiffs werden bei Cutro noch immer am Strand angespült.

Foto: Imago / Italy Photo Press

Es waren erschütternde Szenen, die sich am Sonntagmorgen an der Ionischen Küste Kalabriens abspielten. Am langen Sandstrand von Cutro in der Provinz Crotone lagen die Leichen von etwa dreißig ertrunkenen Migranten – zwischen den angeschwemmten Holzplanken ihres zerschellten Fischkutters, orangefarbenen Schwimmwesten und Treibgut. Unter den Toten befanden sich auch Kinder und ein neugeborenes Baby. Helferinnen und Helfer des Roten Kreuzes und Polizeibeamte bargen die Leichen und trugen sie einige Meter weg von der Brandung. Sie legten sie in den Sand und packten sie in weiße Leichensäcke. Der örtliche Priester segnete die Toten noch am Strand.

VIDEO: Das Boot sank am frühen Morgen vor der Küste nahe der Stadt Crotone in Süditalien. Die Suche nach möglichen Vermissten dauert an.
DER STANDARD

Bis Montagvormittag haben die Retter insgesamt 62 Körper geborgen, darunter jene von 14 Minderjährigen, neun Buben und fünf Mädchen. Nach Angaben des italienischen Innenministers Matteo Piantedosi werden noch bis zu 30 Menschen gesucht. Laut Küstenwache hatte das Boot rund 120 Personen aus Afghanistan, Pakistan und dem Iran an Bord, laut Geflüchteten waren es bis zu 150.

Das Unglück spielte sich laut ihren Aussagen so ab: Das hoffnungslos überladene Fischerboot sei vor der kalabrischen Küste wegen der hohen Wellen und des starken Windes in Seenot geraten. Wahrscheinlich war es schließlich an einer Klippe zerschellt oder von selber auseinandergebrochen. Möglicherweise hatte sich an Bord auch eine Explosion ereignet. 82 Flüchtlinge konnten sich schwimmend an Land retten oder wurden von Booten der italienischen Küstenwache gerettet. Die anderen wurden am Abend noch vermisst – sie sind höchstwahrscheinlich alle ertrunken.

Von Frontex gesichtet

Der Fischkutter mit den Flüchtlingen war am Mittwoch in Smirne (Türkei) in See gestochen. Laut italienischen Medienberichten war das Boot am Samstagabend noch von einem Überwachungsflugzeug der europäischen Grenzschutz Frontex etwa 40 Kilometer vor der kalabrischen Küste gesichtet worden. Darauf setzte sich ein Patrouillenboot der italienischen Küstenwache in Bewegung, konnte das Boot mit den Flüchtlingen wegen der widrigen Witterungsbedingungen aber nicht erreichen. Am frühen Sonntagmorgen hatte dann auch noch ein kalabrischer Fischer das bereits zerstörte Flüchtlingsboot gesehen; der Mann gab an, dass viele Körper im Wasser getrieben seien.

Die Zahl der Bootsflüchtlinge ist in Italien in diesem Jahr deutlich in die Höhe geschnellt: Bis Ende letzter Woche sind laut Angaben des Innenministeriums bereits 13.000 Migranten auf dem Seeweg an Land gekommen – mehr als doppelt so viele wie im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Der größte Teil von ihnen wählt die zentrale Mittelmeerroute von der Küste Libyens oder Tunesiens nach Lampedusa und Sizilien. In den vergangenen Monaten registrierte man aber auch in Kalabrien und Apulien eine Zunahme der Bootsflüchtlinge. Die am süditalienischen Festland ankommenden Migranten haben – wie auch im Fall der nunmehrigen Tragödie – ihre lebensgefährliche Überfahrt jeweils in der Türkei begonnen.

Streit um Verantwortung

Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hat am Sonntag ihren Schmerz über das Unglück zum Ausdruck gebracht, hielt aber auch umgehend fest, dass es die Schlepperbanden seien, die für solche Tragödien verantwortlich seien. Die Regierung werde weiterhin versuchen, diese Überfahrten zu verhindern, und werde dabei auch auf die "maximale Mitarbeit" der Länder pochen, von denen die Boote losfahren. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen dagegen machte die italienischen Behörden für das Drama mitverantwortlich, weil die Rettungsaktionen der privaten Hilfsorganisationen durch die Rechtsregierung in Rom stark behindert würden. "Es ist inakzeptabel und unverständlich, dass wir weiterhin mit solchen vermeidbaren Tragödien konfrontiert sind", teilte Ärzte ohne Grenzen am Sonntag mit.

Unter anderem werden den NGO-Schiffen nun weit im Norden liegende Häfen zugewiesen, wo sie die geretteten Flüchtlinge an Land bringen dürfen. Damit will die Regierung die ungeliebten privaten Retter möglichst viele Tage von ihren Einsatzorten im südlichen Mittelmeer fernhalten. Erst vergangene Woche hatten die italienischen Behörden das Rettungsschiff Geo Barents der Ärzte ohne Grenzen festgesetzt – als erstes NGO-Schiff, seit die Regierung Meloni die Regeln für die Einsätze der privaten Retter verschärft hatte. Der Organisation droht eine Geldstrafe von 10.000 bis 50.000 Euro. (Dominik Straub aus Rom, red, 26.2.2023)