Zweite Frau und Stieftochter (v.l.): Zeynep Buyrac und Ivan Vlatković.

Foto: Alex Gotter

Ist das ein Oligarchenchalet vor einem Tiroler Alpenpanorama? Der Plastiktannenbaum und die Fellmoonboots sprechen dafür, der zugemüllte Pool und die unter Sitzlast wegklappenden Gartenstühle zumindest nicht dagegen. Aber nein, es ist das Landgut des Professors Serebrjakow (Klaus Huhle). Erarbeitet hat es sich der im Rollstuhl und mit Glitzerjacke von der Sprechakttheorie schwärmende Greis nicht, sondern von seiner ersten Frau ererbt. Nun lebt er hier aber mit seiner zweiten, jungen, schönen Frau (Zeynep Buyrac mit um die Hüfte gebundenem Pelz), der Tochter Sonja (Ivan Vlatković) aus erster Ehe, dem Schwager Wanja (Wojo van Brouwer), der ersten Schwiegermutter (Katrin Grumeth) und der Haushälterin. Das birgt Konfliktstoff. Mit seinen Ausführungen zu Performanz und Performativität hat er einst beeindruckt, inzwischen sind alle frustriert und unglücklich.

Aggression, Frustration und Depression

Im Unfrieden gehen die Figuren in Harald Poschs Tschechow-Überschreibung Wanja. Dernière Rébellion nach gut eindreiviertel Stunden auseinander. Mit dem Abend verabschiedet sich der Regisseur nach neun Jahren als Intendant vom Wiener Werk X. Den Insassen des Glaskobels (Bühne von Daniel Sommergruber) setzt das Provinzielle des Ländlichen zu. Es behält der Intendant die Bühne im vorstädtischen Meidling und deren Publikum hoffentlich im besseren Gedenken.

Die Zeiten sind ohnehin hart: Krise und Krieg führen die Figuren als Schlagworte im Mund, man will ihnen noch Aggression, Frustration und Depression attestieren. Der Mensch steht dem Menschen hier zwischen unerfüllter Liebe und Alkoholismus im Kleinen so hilflos gegenüber, wie er im großen Weltkontext grausam zueinander ist.

Politisch aufgejazzt

Natürlich wird der im politisch stets bewussten Werk X mit großem Pinsel heutig übermalt: Kapitalismus, Umweltzerstörung und Konservative, die keine Lösungen haben und daher die Unabwendbarkeit für gesetzt erklären. Wenn die Klimakrise die nichtweiße, nichtheteronormative Weltbevölkerung wegreduzierte, wäre ihnen das nur recht. Posch streut dagegen Lob von Wokeness und ökologischer Waldwirtschaft ein, der Arzt (Martin Vischer) hat ein Modell der verlorenen Natur gebaut. Selbstverständlich flicht die Großmutter im Abendkleid der nonbinär besetzten Enkelin das Haar.

Das wirkt alles eher aufgepfropft. Nicht nur, wenn die in Verzweiflung Verbundenen sich zum Gaudium des Publikums ins schnelle Aufsagen der langen russischen Namen hineinsteigern, hechelt der Abend mehr fahrigen Einzeleffekten nach, als eine spannende Idee zu verfolgen. Handkamera und Singeinlagen passen leider abgeschmackt dazu. (Michael Wurmitzer, 26.2.2023)