Österreichische Rinderzüchter fürchten die Billigkonkurrenz aus den südamerikanischen Staaten.

Foto: IMAGO/Martin Wagner

In der kleinen Kärntner Marktgemeinde Paternion ist die Welt noch in Ordnung. Eingebettet ins breite Trogtal, ist die Gegend auch heute geprägt von traditioneller Landwirtschaft. Kleinstrukturiert und umweltangepasst, wie Edina Scherzer ihr Umfeld beschreibt. Die 27-Jährige betreibt zusammen mit ihren Eltern einen Rinderzuchtbetrieb. "Wir halten dreißig Fleckviehmilchkühe und deren Jungtiere am Hof." In Österreich ist das guter Durchschnitt. Bald könnte sich die Situation aber ändern, fürchtet Scherzer.

Nach jahrzehntelangen Verhandlungen wollen die EU-Kommission und einige Mitgliedsstaaten das Handelsabkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten endgültig auf Schiene bringen – das sind Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay. Einen Anlass für den neuen Anlauf gab nicht zuletzt die Amtsübernahme von Präsident Lula in Brasilien. Er verspricht, den Amazonas-Regenwald vor Abholzung zu schützen. Außerdem will die Europäische Union in Zeiten geopolitischer Spannungen mit Russland und China neue Allianzen schmieden – und deren Einfluss in Südamerika eindämmen. Dort winken seltene Erden, fruchtbare Böden und große Absatzmärkte.

Riss durch die ÖVP

Viele Landwirtinnen und Landwirte beruhigt das aber keinesfalls. Sie fürchten, billige Importe könnten den Preisdruck erhöhen und heimische Produkte vom Markt drängen. "Wenn wir mit der gleichen Intensität wie Amerika produzieren würden, könnten wir die bestehenden Umweltstandards nicht aufrechterhalten", sagt Scherzer.

Schon im Jahr 2020, mehr als zwanzig Jahre nach Verhandlungsbeginn, war das Abkommen kurz vor dem Abschluss gestanden. Doch Österreich legte ein Veto ein, das die türkis-grüne Regierung später sogar in ihr Regierungsprogramm aufnahm. Damals wie heute ist es vor allem die Landwirtschaft, die lauthals gegen das Abkommen lobbyiert. Das Feindbild: Rindfleisch aus Südamerika. Umweltschützer warnen zudem davor, dass mehr Exporte von Soja, Rindfleisch und Co nach Europa den Regenwald bedrohen.

Durch die ÖVP zieht sich seit jeher ein Riss: Während der Wirtschaftsbund den Deal begrüßt, lehnt ihn der Bauernbund ab. So bekräftigte Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig, Österreich halte an seinem Nein zu dem Abkommen fest. Wirtschaftsminister Martin Kocher betont hingegen, die Ablehnung gelte der aktuellen Fassung. Erst wenn fertig verhandelt ist, könne man bewerten.

Österreich liefert hauptsächlich Maschinen, Südamerika Rohstoffe und Agrarprodukte.
Foto: Standard

Gewinner und Verlierer

Die Regierungen Schwedens und Spaniens, die in diesem Jahr den EU-Ratsvorsitz innehaben, versuchen, aufs Gas zu steigen. Sie hoffen, dass der Vertrag noch in diesem Jahr unterzeichnet werden kann.

Javier Flórez Mendoza vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) erklärt das Interesse an dem Vertrag: "Unterm Strich werden alle Staaten profitieren." In Zahlen: Laut der EU-Kommission würde das Abkommen Exporte in die Mercosur-Staaten ankurbeln und Unternehmen vier Milliarden Euro an Zöllen ersparen. In die andere Richtung erwartet die Behörde Importe aus Südamerika in der Höhe von einer Milliarde. Eine Studie der spanischen Zentralbank ergibt, dass das Abkommen Exporte aus der EU um 0,3 Prozent steigen lassen würde – und jene der Mercosur-Staaten sogar um 7,2 Prozent. Allerdings gebe es auf beiden Seite Gewinner und Verlierer, ergänzt Flórez Mendoza. In der EU würden Hersteller von Maschinen, Autos und Chemie profitieren – in den Mercosur-Staaten die landwirtschaftliche Industrie und Exporteure von seltenen Erden.

Der Vertrag geht jedoch weit über die Zollbefreiung hinaus und umfasst etwa auch Auflagen zum Waldschutz – diese sollen jetzt mit einem Zusatzprotokoll weiter verschärft werden. Alle Probleme wird das aber nicht lösen: So könnte künftig etwa für im Inland verkaufte Produkte entwaldet werden, um andere Flächen für Exportwaren frei zu machen.

Auch für die brasilianische Umweltministerin Marina Silva ist das ein Thema. Im Gespräch mit dem Standard betont sie: Die Voraussetzung für das Abkommen sei, dass es den Regenwald nicht gefährde. Tatsächlich ist die Entwaldungsrate im brasilianischen Teil des Amazonas-Regenwaldes seit Lulas Amtsantritt im Vergleich zum selben Vorjahreszeitraum bereits um 60 Prozent gesunken. An anderer Stelle wird sich das Abkommen jedenfalls negativ auswirken: Der CO2-Ausstoß wird voraussichtlich steigen – allein schon wegen des Transports per Schiff und Flugzeug.

Wenig Aussicht für ein Veto?

Und jetzt? Damit das Abkommen nicht wieder am Veto einiger weniger scheitert, plant die EU-Kommission ein sogenanntes Splitting. Dazu würde sie Teile zur politischen Kooperation, die im EU-Rat einstimmig beschlossen werden müssen, herauslösen. Der übriggebliebene handelspolitische Abschnitt, der in der Kompetenz der EU liegt, könnte dann mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden. Allerdings müsse die Kommission dennoch eine starke Zusatzerklärung gegen die Abholzung vorlegen, erklärt Werner Raza, Leiter der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE). Denn wenn sich große Staaten wie Frankreich gegen den Vertrag stellen, könnte es trotz qualifizierter Mehrheit knapp werden.

Für die Züchterin Scherzer macht das wiederum wenig Unterschied – für sie geht es um die Konkurrenz durch die Fleischimporte. Schließlich wird sie in wenigen Jahren den elterlichen Betrieb übernehmen. "Es gibt viele junge Leute, die in der Landwirtschaft bleiben wollen", sagt sie. "Die Politik ist mitverantwortlich dafür, dass das so bleibt. Letztlich kommt uns das allen zugute." (Jakob Pflügl, Alicia Prager, 27.2.2023)