Der Präsident war voll des Lobes für das verbündete Deutschland und seinen "engen Freund" Olaf Scholz. "Ich möchte dem Kanzler für seine Führungsstärke danken", sagte Joe Biden. Vor einem Monat stand der amerikanische Oberbefehlshaber im Roosevelt Room des Weißen Hauses und kündigte feierlich eine Panzer-Allianz für die Ukraine an: Deutschland werde Leopard-Panzer schicken, und die USA beteiligten sich mit 31 Abrams-Panzern, die "die Fähigkeit der Ukraine zur Verteidigung ihres Territoriums verbessern" würden.
Schon damals hegten Beobachter angesichts des langen deutschen Zögerns Zweifel an der demonstrativen transatlantischen Harmonie in der Panzerfrage. Kurz vor dem Besuch von Kanzler Scholz im Weißen Haus am Freitag hat der Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan in einem Fernsehinterview nun ungewohnt offen über den Deal gesprochen. In der Substanz kann seine Darstellung kaum überraschen, aber Zeitpunkt und Art der Schilderung vermitteln den Eindruck, dass der Ärger über den Berliner Panzer-Poker in Washington keineswegs verraucht ist.
Zur Leopard-Lieferung gedrängt?
Sullivan schildert ohne Umschweife, dass sich Biden "ursprünglich dagegen entschieden" habe, die Abrams-Panzer zu schicken, weil sie nach Angaben seiner Militärs für den Einsatz in der Ukraine ungeeignet seien. "Die Deutschen" aber hätten dem Präsidenten gesagt, "dass sie nicht bereit seien, die Leopard-Panzer in den Kampf zu schicken (...), solange der Präsident nicht bereit sei, auch Abrams zu schicken". Im Interesse der "Einheit des Bündnisses" und zur Sicherung der Leopard-Lieferung habe Biden daher entschieden: "Okay. Ich bin der Anführer der freien Welt. Ich werde Abrams schicken, wenn sie jetzt Leopards liefern." Diese Entscheidung, so Sullivan, sei gefallen, "obwohl die Abrams nicht die Geräte sind, die sie (die Ukrainer, d. Red.) brauchen".
Die Äußerungen des Sicherheitsberaters sind doppelt bemerkenswert: Dass das Pentagon – aus welchen Gründen auch immer – gegen eine Bereitstellung seiner modernen und hochkomplexen Abrams opponierte, wurde schon berichtet. Aber Sullivan erklärt nun, dass auch Biden selbst die amerikanischen Panzer in der Ukraine für nutzlos hielt und weiter hält. Die Kampfkolosse wurden demnach nur zugesagt, um die deutsche Blockade zu brechen. Das wiederum klingt verdammt nach einem Junktim der Bundesregierung, das es nach früheren Angaben von dessen Sprecher Steffen Hebestreit "zu keinem Zeitpunkt" gegeben haben soll.
Mindestens so interessant wie die Vorgeschichte des Panzer-Deals aber ist die Frage, warum Sullivan die Details ausgerechnet jetzt ohne Not so offen ausbreitet. Immerhin ist der 46-Jährige in Fragen von Krieg und Frieden der wohl wichtigste Vertraute des amerikanischen Präsidenten. Dass er im großen Sonntagsinterview mit einem amerikanischen Sender einfach so vor sich hinplappert, darf man ausschließen. Ganz im Gegenteil: Ausdrücklich bedankt sich Sullivan in dem Gespräch für die Panzerfrage. Der Mann will offensichtlich eine Botschaft loswerden.
Wer ist sein Adressat?
Mag sein, dass Sullivan die innenpolitische Debatte im Auge hat, wenn er Biden als starken Anführer der westlichen Welt schildert, der das Bündnis trotz Querschüssen der kleineren Partner souverän zusammenhält. Ganz offensichtlich beinhaltet die Erzählung auch eine Ansage in Richtung der deutschen Bundesregierung, dass der Goodwill mit Berlin in der Biden-Regierung nicht grenzenlos ist.
Doch richtig Sinn machen die Äußerungen erst vor dem Hintergrund der inneramerikanischen Panzerdebatte. Von Anfang an hat die US-Regierung betont, dass die zugesagten 31 Abrams-Panzer nicht schnell geliefert werden könnten. Sie sollen nämlich nicht aus dem Bestand der Armee entnommen, sondern entweder komplett neu gebaut oder zumindest runderneuert werden. Von einigen Monaten war anfangs die Rede, die es dauern würde, bis das Gerät in der Ukraine landet.
Vor wenigen Tagen nun hat Christine Wormuth, die Armee-Staatssekretärin des Pentagon, betont: Auf keinen Fall könne man "in Wochen oder zwei Monaten" liefern: "Es geht um einen längeren Zeitraum." Das klang nach Sankt-Nimmerleins-Tag. Eilig versicherte Wormuth im nächsten Satz immerhin, dass sie auf eine Lösung in "weniger als zwei Jahren" hoffe.
Hinauszögern?
In diesem Jahr oder gar zur wichtigen Frühjahrsoffensive jedenfalls werden sicher keine amerikanischen Abrams-Panzer an die Front der Ukraine rollen. Möglicherweise sind sie sogar erst dann einsatzbereit, wenn der Krieg so oder so beendet ist. Vor diesem Hintergrund macht Sullivans Erklärung, die Abrams-Panzer seien in dieser militärischen Auseinandersetzung ohnehin nutzlos und eigentlich vom Präsidenten gar nicht gewollt, im Sinne eines Erwartungsmanagements durchaus Sinn.
So schrumpft das amerikanische Panzerbataillon ziemlich rasant zum taktischen Papiertiger. "Nützlich sind die deutschen Leopards", betont Sullivan ausdrücklich.
"Deutschland hat mich nicht gezwungen, meine Meinung zu ändern", hatte Joe Biden bei der Vorstellung der transatlantischen Panzer-Allianz vor einem Monat lachend auf eine Reporterfrage geantwortet. Das klang, als wollte der amerikanische Präsident den Eindruck zerstreuen, dass Olaf Scholz ihn ausgetrickst habe. Inzwischen man kann den Satz auch anders lesen: Vielleicht ist es am Ende genau umgekehrt gewesen. (Karl Doemens aus Washington, 27.2.2023)