Für ihren Protest gegen das neue Wahlgesetz greift Mexikos Opposition durchaus auch zu unvorteilhaften Darstellungen ihrer Gegner.

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Es waren – das ist trotz sehr umstrittener Zahlen deutlich – die bisher größten Proteste gegen die Regierung des linkspopulistischen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador in Mexiko. Jedenfalls 90.000 Menschen – so sagt die von der Regierungspartei kontrollierte Stadtverwaltung –, vermutlich aber Hunderttausende gingen am Sonntag auf die Straße, um gegen eine geplante Reform der Regierung zu demonstrieren, die massiven Einfluss auf die Abhaltung von Wahlen haben könnte. Anlass ist das Vorhaben der Regierung, der unabhängigen Wahlbehörde INE große Teile ihrer Finanzierung zu entziehen, was künftige Wahlen deutlich unsicherer machen würde. Die genauen Gründe für den Plan sind unklar – und es scheint durchaus möglich, dass es vor allem um persönlichen Hass des Präidenten auf die Behörde geht.

López Obrador nämlich, der 2018 mit einer großem Vorsprung und 54 Prozent der Stimmen gewählt wurde, war zuvor bei zwei Wahlgängen unterlegen. 2006 unterlag er laut offiziellen Zahlen um weniger als einen Prozentpunkt, das Ergebnis dieses Votums erkennt er bis heute nicht an – vielmehr fühlt er sich von der INE um einen Sieg betrogen. Auch 2012, als er mit einem Abstand von mehr als sieben Prozentpunkten am Konservativen Enrique Peña Nieto scheiterte, weigerte sich López Obrador, die Wahl anzuerkennen. Auch das galt damals schon als eher irrational – denn während 2006 tatsächlich Zweifel an der korrekten Stimmauszählung nie ganz ausgeräumt werden konnten, erschien das Resultat sechs Jahre später klar.

Kränkung vor 17 Jahren

Nun jedenfalls hat der Präsident, der in Mexiko per Verfassung kein zweites Mal zur Wahl antreten kann, seit einigen Monaten wieder großen Eifer für seinen Kampf gegen die Wahlbehörde entdeckt. In seinen täglichen TV-Pressekonferenzen wettert er regelmäßig gegen die Behörde, immer wieder reitet er auch persönliche Angriffe gegen deren Chef Lorenzo Córdova.

Abseits der Kränkung lässt sich ein Grund schwer erkennen – denn Anlass, nun die Wahlbehörde anzugreifen, hätte seine Morena-Partei auch aus rein machtpolitischer Sicht nicht. Sie liegt in der Gunst der Menschen in Mexico deutlich voran, der Präsident selbst erfreut sich Zustimmungswerten um die 60 Prozent. Claudia Sheinbaum, derzeit Bürgermeisterin Mexiko-Stadts und wahrscheinlichste innerparteiliche Nachfolgerin López Obradors, führt in Umfragen für die Wahl 2024.

Hilfe für das Budget

López Obrador, Chef einer Linksregierung, argumentiert mit seinem Versprechen, kein Budgetdefizit zu machen. Die Wahlbehörde sei teuer und ineffizient. Was auch immer tatsächlich der Anlass sein mag: Die Auswirkungen der Entscheidung, die der Senat am Sonntag abnickte, sind nach Angaben fast aller Beobachterinnen und Beobachter groß. Wird die Reform nicht doch noch verhindert, müssten tausende Wahlaufseherinnen und Wahlaufseher in den entlegeneren Gebieten des Landes entlassen werden. Zudem könnten insgesamt weniger Wahllokale geöffnet werden, Schlagen würden sich vergrößern. Auch Wahlkampfkostenüberschreitungen dürfte die Behörde nicht mehr verfolgen, berichtete jüngst die "New York Times".

Weil sie Angriffe auf die Demokratie sieht, hat die Opposition nun vor dem Höchstgericht Klage gegen das beschlossene Gesetzeswerk eingereicht. Entscheiden muss nun also Mexikos Höchstgericht. Dem scheint Präsident López Obrador bereits – rhetorisch – vorzubeugen. Er hat zuletzt auch seine Angriffe auf das Richtergremium deutlich verstärkt. (Manuel Escher, 27.2.2023)