Fachleute kritisieren die sehr dünne Studienlage in Bezug auf Zuckerersatzprodukte. Vor allem Langzeitbeobachtungen seien wichtig.

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Erythrit sorgt dafür, dass Müslis, Schokoladen oder auch Marmeladen schön süß schmecken, aber trotzdem der Blutzuckerspiegel nicht ansteigt. Außerdem verringert es die Produktion von Kariesbakterien im Mund und gilt deshalb als besonders zahnschonend. Chemisch gesehen ist es ein Zuckeralkohol und zählt daher auch nicht zu den klassischen Süßstoffen wie Aspartam oder Saccharin, sondern zu den Zuckeraustauschstoffen.

Dabei kommt es sogar natürlich in einigen Lebensmittel vor – etwa in Käse, Obst oder auch Pistazien –, allerdings in sehr viel geringerer Menge, als wenn es zum Süßen eingesetzt wird. Eine Studie stellt nun aber eine Verbindung zwischen dem Süßungsmittel und einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie einer gesteigerten Blutgerinnung her. Die Ergebnisse sind im Fachjournal "Nature Medicine" erschienen.

Erhöhter Erythritspiegel nach Herzinfarkt

Die Forschenden untersuchten die Blutproben einer Kohorte von 1.157 Personen mit einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Bei denjenigen, die über den Beobachtungszeitraum von drei Jahren eine schwerwiegende kardiovaskuläre Komplikation hatten, etwa einen Herzinfarkt, stießen sie im Plasma auf eine gesteigerte Konzentration einiger sogenannter Zuckeralkohole. Darunter fand sich insbesondere der Zuckeraustauschstoff Erythrit. Diese zunächst qualitativen Annahmen bestätigten sich in weiteren Analysen zweier Validierungskohorten mit weiteren Personen, ebenfalls mit einer hohen Prävalenz von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Risikofaktoren, einschließlich Typ-2-Diabetes und Fettleibigkeit.

Eine Kohorte stammte aus den USA und umfasst 2.149 Probandinnen und Probanden, die zweite, europäische Kohorte umfasst 833 Personen aus Deutschland. Weitere Untersuchungen ergaben, dass eine Zugabe von Erythrit zu Blut oder Blutplättchen zu einer beschleunigten Gerinnungsbildung führte.

Zuletzt wurde eine prospektive Interventionsstudie mit acht gesunden Personen durchgeführt, die ein mit 30 Gramm Erythrit gesüßtes Getränk zu sich nahmen. Der Süßmittelgehalt dieses Getränks ist laut Studie vergleichbar mit einer Dose handelsüblichem künstlich gesüßtem Getränk oder 500 Milliliter Diät-Eiscreme. Der Verzehr dieses Getränks erhöhte den Erythritspiegel im Blut über einen Zeitraum von zwei Tagen so sehr, dass er laut den Forschenden weit über der Schwelle lag, bei der zuvor signifikante Hinweise auf eine veränderte Blutplättchenaktivität beobachtet wurden.

Auswirkungen von Zuckerersatzstoffen kaum erforscht

Erythrit wird vor allem Menschen mit Vorerkrankungen wie Diabetes oder Adipositas empfohlen, da der Zuckerersatzstoff kaum Einfluss auf den Blutzuckerspiegel hat. Harald Schulze, Professor für Experimentelle Hämostaseologie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg erklärt: "Der menschliche Körper nimmt Erythrit über den Dünndarm auf, kann den Zuckeraustauschstoff aber quasi nicht verstoffwechseln und scheidet ihn fast vollständig über die Niere aus. Sein glykämischer Index liegt somit bei null mit sehr geringer Insulinwirkung. Interessanterweise ist jedoch die zugrundeliegende Basis an kontrollierten Studien sehr gering, viele Annahmen basieren auf Tiermodellen."

Bei der Studie konnte ein Zusammenhang zwischen Erythrit-Konzentrationen und dem Auftreten von kardiovaskulären Ereignissen gezeigt werden. "In diesem Kontext ist erwähnenswert, dass in den vergangenen Jahren bereits andere und größere Kohortenstudien einen Zusammenhang zwischen dem Konsum von Getränken, die statt mit Zucker mit Süßstoffen oder kalorienfreien Zuckerersatzstoffen gesüßt waren, und einem erhöhten Auftreten von Schlaganfall und anderen kardiovaskulären Ereignissen gefunden hatten", berichtet Hans Hauner, Direktor des Else-Kröner-Fresenius-Zentrums für Ernährungsmedizin an der Technische Universität München.

Allerdings gibt er auch zu bedenken, dass bei der vorliegenden Studie ausschließlich Daten älterer Personen bzw. Menschen mit kardiovaskulären Vorerkrankungen herangezogen wurden. Hauner sagt: "Es ist zunächst wünschenswert, dass andere Kohorten, vor allem auch mit jüngeren und gesünderen Personen, auf diesen Zusammenhang überprüft werden. Wichtig ist auch die Klärung der Frage, ab welchen Mengen von Erythrit oder anderen Zuckerersatzstoffen ein solcher schädlicher Effekt auftritt."

Moderater Verzehr nicht toxisch

Insgesamt gilt es, den Zuckerkonsum auf 25 bis 50 Gramm täglich zu reduzieren, so lautet zumindest die Empfehlung der WHO. Ähnlich sieht das Ernährungsmediziner Hauner: "Bei der Verwendung von Zuckerersatzstoffen, welcher Art auch immer, haben wir zwar viele und teilweise widersprüchliche Kurzzeitbefunde, wissen aber sehr wenig über mögliche Langzeitfolgen, nicht nur mit Blick auf Stoffwechsel- und Herz-Kreislauf-Krankheiten, sondern auch auf das Krebsrisiko. Aber auch hier gilt derzeit, dass ein moderater Verzehr damit gesüßter Lebensmittel und Getränke nicht toxisch ist."

Viele Fachleute sind sich einig, dass es vor allem im Bereich der Süßungsmittel wichtig ist, weitere Studien durchzuführen. Harald Schulze erklärt: "Die Publikation ist ein wichtiger, ja überfälliger Impuls dafür, auch bereits zugelassene Nahrungsmittel-Zusatzstoffe wie Süßungsmittel intensiver zu beforschen und dabei jenseits von reinen Beobachtungsdaten auch mechanistische Experimente im Zellmodell, an Versuchstieren und mit menschlichen Probanden einzubeziehen. Bislang sind Interventionsstudien aber gerade für Zuckeralkohole sehr rar."

Insgesamt erklären Ernährungsexpertinnen und -experten, dass auf lange Sicht ein Reduzieren der Süße der beste Weg sei. Sprich: langsam die Zuckermenge in den Lebensmitteln zu reduzieren, damit sich die Geschmacksknospen wieder an weniger Zucker gewöhnen können und somit insgesamt weniger Zucker oder Zuckerersatzprodukte zum Einsatz kommen. (jaa, 1.3.2023)