Bei einem Terrorangriff im Westjordanland sind am Sonntag zwei Israelis erschossen worden. Sie wurden am Montag beerdigt.

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In Reaktion darauf stürmte ein Mob von rund 400 Menschen den palästinensischen Ort Huwara mit Brandsätzen, Knüppeln und Steinen.

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Teile des Orts glichen einem Flammenmeer: Es war kein spontaner Wutausbruch einer kleinen Gruppe fanatisierter Jugendlicher, die sich in den Abendstunden des Sonntag in Huwara nahe Nablus zutrug: Rund 400 Personen umfasste der Mob radikaler jüdischer Siedler, der mit Brandsätzen, Knüppeln und Steinen durch die Straßen zog. Dutzende Autos und rund zwanzig Häuser brannten. Laut palästinensischen Angaben trugen bei den Ausschreitungen radikaler jüdischer Siedler über dreihundert Menschen Verletzungen davon, ein 37-jähriger Sanitäter erlag seinen Schussverletzungen.

Zuvor hatte ein palästinensischer Terrorist unweit Huwara das Feuer auf zwei israelische Männer eröffnet und sie getötet. Die beiden Brüder im Alter von 20 und 22 Jahren wurden am Montag bestattet. Dem Täter gelang die Flucht. Israelische Armeeeinheiten fahnden nun großräumig nach dem Terroristen, der von radikalen palästinensischen Gruppen als Held gefeiert wird.

"Kein guter Tag"

Die ultrarechte Regierung unter Benjamin Netanjahu ist erst seit zwei Monaten im Amt. Doch schon eskaliert die Lage in einem Ausmaß, wie sie selbst Pessimisten unter den Sicherheitsstrategen nicht erwartet hätten. Und viele stellen sich die Frage: Hätte sich die Gewalt verhindern lassen?

Was die Ausschreitungen in Huwara betrifft, kann jedenfalls niemand behaupten, dass sie überraschend kamen. Bald nach dem Terrorattentat am Sonntag kursierten in sozialen Medien Aufrufe radikaler Siedler, sich um 18 Uhr in Huwara zu versammeln, um "Rache" zu üben. Die israelische Armee wusste davon. Hat man die Gefahr ignoriert? Ein hochrangiger Offizier weist das zurück: "Wir haben reagiert und haben unsere Präsenz vor Ort verstärkt." Womit man allerdings nicht gerechnet habe, war, "dass dreihundert Leute dort auftauchen und sich auf die ganze Stadt ausbreiten". Auf Videos ist zu sehen, dass Armeekräfte den palästinensischen Familien helfen, sich vor den Flammen zu retten. Zeitgleich griffen die Mobs weitere Häuser an. Von einem Kontrollversagen will der Offizier nicht sprechen. Er gesteht aber: "Das war kein guter Tag."

"Preisschild-Attacken"

Fakt ist, dass die Randale der Siedler auch die Suche nach dem palästinensischen Terroristen erschwerte. "Ohne die Ausschreitungen hätten wir uns auf die Fahndung konzentrieren können", sagt der Offizier. Selbst am Tag danach könne man nicht alle Kräfte für die Suche nach dem Täter einsetzen, weil jederzeit mit Racheakten gerechnet werden muss. Angesichts der Eskalation erklärte die Armee, sie werde die Truppen vor Ort um zwei Bataillone verstärken.

Nun zählen aber auch jene Bewohner von Huwara, die von dem nächtlichen Gewaltexzess verschont blieben, zu den Leidtragenden: Die Armee hat die Geschäfte entlang der stark befahrenen Durchzugsstraße durch Huwara vorübergehend schließen lassen – aus Sicherheitsgründen. Zudem wurden an den Zufahrten zur Stadt Checkpoints installiert.

Es ist nicht das erste Mal, dass Huwara zum Zentrum gewaltsamer Siedlergewalt wird. Immer wieder mussten die Bewohner und Geschäftsleute der 7.000-Einwohner-Stadt um ihre Sicherheit zittern, wenn im Umkreis von ein paar Kilometern ein Palästinenser einen Terroranschlag verübte: Huwara war dann das Ziel der Wahl für sogenannte "Preisschild-Attacken" von Siedlern. Die Stadt liegt an der Überlandstraße 60, die vom israelischen Nazareth im Norden durch das besetzte Westjordanland bis in die Wüstenstadt Beersheba führt. Anders als auf den sogenannten "Siedlerstraßen" wird diese stark befahrene Route sowohl von Palästinensern als auch von Siedlern benutzt.

Strafrechtliche Folgen hatten die Siedlerangriffe so gut wie nie. Nach der Randale am Sonntag wurden laut Armeeangaben zehn Personen festgenommen. Ob es Anklagen geben wird, ist unklar.

Keine Verurteilung der Regierung

Ein hochrangiger Offizier der israelischen Armee bezeichnete die Ausschreitungen in Huwara als "Terrorakte", Staatspräsident Jitzchak Herzog verurteilte "Randale und Gewalt gegen Unschuldige". Wer sich von Israels Regierung klare Worte erwartete, wurde jedoch enttäuscht. Premierminister Benjamin Netanjahu mahnte nur, man möge "das Gesetz nicht in die eigene Hand nehmen". Regierungsmitglieder weigerten sich auf Nachfrage, die Gewalt zu verurteilen. Einzelne drückten sogar ihre Freude aus: "Nach einem Mord wie gestern müssen die Dörfer brennen", sagte Zvika Fogel von der rechtsextremen Partei Jüdische Kraft.

Der Gewaltausbruch fiel ausgerechnet auf jenen Tag, an dem im jordanischen Akaba zum ersten Mal seit längerer Zeit hochrangige Vertreter Israels, Palästinas, Jordaniens, Ägyptens und der USA zusammentrafen, um über Wege aus der Eskalation zu beraten. Dem Vernehmen nach einigte sich der Gipfel auf vertrauensbildende Maßnahmen – unter anderem auf ein monatelanges Aussetzen weiterer Siedlungsprojekte seitens Israels im Westjordanland. Nach dem Attentat kam aber flugs ein Veto des Regierungschefs: "Es wird kein Einfrieren des Siedlungsbaus geben", stellte Netanjahu am Sonntag klar.

Die Koalition hatte sich auf zusätzliche rund 7.000 Wohneinheiten für jüdische Siedler im Westjordanland ausgesprochen, außerdem sollen dutzende illegale Siedlungen nachträglich legalisiert werden. Die Palästinenserbehörde sieht den Siedlungsbau als Ursache der Eskalation. "Die Verbrechen der Siedler in Huwara sind eine direkte Folge der gigantischen Siedlungsexpansion", erklärte das palästinensische Außenministerium am Montag. Diese Verbrechen seien "unter dem Schutz und dem Mitwirken" der israelischen Armee geschehen. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 27.2.2023)