Präsident Wladimir Putin, der Herrscher Russlands, führt zwei Kriege: einen zur Befreiung und "Entnazifizierung" der laut ihm nicht existierenden ukrainischen Nation, und einen zur Spaltung des Westens und zur Untergrabung der Solidarität mit der um das Überleben kämpfenden Ukraine.
Im ersten Krieg auf dem Schlachtfeld ist die Bilanz für ihn nach einem Jahr – mit auf 100.000 geschätzten russischen Opfern – militärisch, politisch und wirtschaftlich zutiefst enttäuschend. Im zweiten Krieg um Manipulation der öffentlichen Meinung, nicht nur im eigenen Land, sondern weltweit, ist aber sein gewaltiger Medienapparat, unterstützt von aktiven und heimlichen Putin-Freunden, zweifellos erfolgreich.
Im Fokus des durch das Putin-Regime geführten Hybridkrieges steht Deutschland, das bevölkerungsreichste und wirtschaftsstärkste Land in Europa. In diesem pazifistischen und abgerüsteten Staat wären laut der jüngsten Umfrage nur zehn Prozent der Bundesbürger bereit, im Ernstfall das eigene Land zu verteidigen, während ein Viertel sagt, sie würden lieber so schnell wie möglich das Land verlassen, und ein Drittel würde sich arrangieren. Wenn die Moskauer Geostrategen "dann noch militärisch halt- und sinnlose, aber umso wüstere Drohungen mit dem Einsatz ihrer nuklearen und sonstigen Vernichtungsmittel als Psychowaffe ins Spiel bringen, schreiben die Friedensmanifeste sich wie von selbst", hat Gerd Koenen, der namhafte Kommunismus-Experte, leidenschaftlich vor "Putins globaler Gegenrevolution" gewarnt (FAZ, 24. 2. 2023).
Schüren von Angst
So haben sich nach dem Aufruf der linksradikalen Politikerin Sahra Wagenknecht und der Frauenrechtlerin Alice Schwarzer zu einer Friedensdemonstration am Samstag am Brandenburger Tor in Berlin der Polizei zufolge 13.000, laut den Veranstaltern 50.000 Menschen, hunderte blaue Fahnen mit weißer Friedenstaube schwenkend, versammelt.
Wagenknecht forderte einen Stopp von Waffenlieferungen an die von Russland angegriffene Ukraine und Friedensverhandlungen. Ihr Manifest für Frieden, am 10. Februar als Petition ins Internet gestellt, wurde bis Sonntagnachmittag von 680.000 Personen unterzeichnet!
Das virtuose Spiel der russischen Propagandisten mit dem Schüren der Angst vor einem Atomkrieg verleiht den realen Zukunftssorgen latenter Mehrheiten angesichts der drohenden Wirtschafts-, Migrations- und Klimakrisen in Deutschland einen starken Auftrieb. Auch die Wirkung des einige Tage nach dem "Friedensmanifest" veröffentlichten, langen, verworrenen Plädoyers des bekannten Soziologen Jürgen Habermas für einen "gesichtswahrenden Kompromiss" darf nicht unterschätzt werden.
Wie getrieben
Indessen kann ein Jahr nach der von Bundeskanzler Olaf Scholz verkündeten Zeitenwende von einer konsequenten Umsetzung keine Rede sein. Die Ampelregierung wirke bei den Sanktionen gegen Russland und bei den Waffenlieferungen für die Ukraine wie getrieben, nicht vorangehend und tue immer als Letzter das Richtige, stellt Christoph Heusgen, der Ex-Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel, in seinem neuen Buch Führung und Verantwortung (Siedler-Verlag) zu Recht fest. (Paul Lendvai, 27.2.2023)