Kurzer Moment, große Auswirkung: Faktoren von Mikrostress machen auf lange Frist unzufrieden im Job.

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Nach getaner Arbeit auf dem Weg nach Hause bimmelt das Handy: Eine kurze E-Mail von der Chefin langt ein. Für das morgige Projekt braucht es noch einen genauen Plan und eine Präsentation. Nach dem Weiterleiten an die Teammitglieder beschäftigen sich fünf Personen abends zu Hause noch mit der Vorbereitung. Der Filmeabend mit der Familie fällt aus, daraufhin fällt das Einschlafen schwer, weil die Gedanken kreisen: Vernachlässige ich meine Kinder, meine Familie?

Wer kennt nicht die kurzen, unerwarteten Ereignisse im Job, die länger beschäftigen als gewollt oder erwartet. Kettenreaktionen wie diese, ausgelöst durch eine kurze E-Mail, nennen Rob Cross und Karen Dillon in ihrem Buch und einem neuen Bericht des "Harvard Business Review" Mikrostress. Mikro deshalb, weil der Stress durch ein fast schon unscheinbares Ereignis ausgerufen wird, letztendlich aber dazu führt, dass man sich erschöpft fühlt. Wer kennt nicht die großen, spürbaren Dämpfer des angenehmen Arbeitsalltags: schlechtes Betriebsklima, schlechte Führung, Umstrukturierungen oder kaum Kommunikation. Doch dann gibt es auch noch die kurzen Situationen, die mehrere unangenehme Situationen auslösen.

In einer Studie befragten Dillon und Cross mehr als 300 Personen aus 30 globalen Unternehmen zwischen 2019 und 2021, um herauszufinden, was genau bei Managerinnen und Managern dazu führt, dass sie sich überfordert und unzufrieden fühlen. Während der Forschung erkannten sie irgendwann Muster: Es waren nie große Ereignisse, die sie zur Überforderung führten. Vielmehr war es die Anhäufung vieler kleiner Situationen, flüchtige Momente, die ihr Wohlbefinden beeinträchtigten.

Im Moment überschaubar, auf lange Sicht schädlich

Mikrostress unterscheidet sich laut den Forschenden von der Art von Stress, welchen die meisten Menschen gewöhnt sind. Häufig gebe es einen besonderen Auslöser oder einen Anlass, gröbere Herausforderungen oder Rückschläge, die negative Emotionen auslösen können. Das kann von durchgestandenen Kündigungswellen bis zu Streit im Team reichen.

Dahingegen ist Mikrostress unterschwellig, und viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind darauf konditioniert, darüber hinwegzusehen und hinwegzuarbeiten. Außerdem würden die meisten Menschen nicht denken, dass kurze Stressoren auch langwierige Auswirkungen auf den Körper haben könnten. Etwa wenn jemand Arbeitszeit an ein gemeinsames Projekt anhängt, wenn die Teammitglieder kürzertreten, oder der Chef eine Aufgabe doch nicht benötigt, für die man schon Stunden aufgewendet hatte. Aber auch wenn der gemeinsame Besuch im Fitnessstudio mit Freunden wieder einmal ausfallen muss.

In einem Moment scheinen die individuellen Faktoren überschaubar und leicht zu handhaben, doch auf Dauer, schreiben die beiden Forschenden, können sekundäre oder tertiäre Folgen erzeugt werden. Wenn Teamaufgaben ungleich verteilt werden, muss man etwa ein unangenehmes Gespräch darüber führen, oder es kommen im privaten Bereich dadurch Pläne einer Person durcheinander, was diese aus der Bahn wirft.

Auslöser kleiner Stressreaktionen

Dillon und Cross haben in ihrer Forschung drei Hauptquellen von Mikrostress definiert.

  • Mikrostress, der die eigenen Kapazitäten für Aufgaben verringert
    Stressoren können hierbei falsche oder unzureichende Kommunikation im Team, wachsende Verantwortung im Team oder zu Hause oder die fehlende Zuverlässigkeit anderer sein.
  • Mikrostress, der die emotionalen Reserven aufbraucht
    Dazu gehören etwa konfrontative Gespräche, politische Entscheidungen in der Arbeit und mangelndes Vertrauen in der Kollegenschaft.
  • Mikrostress, der die eigene Identität herausfordert
    Das können Angriffe auf Selbstvertrauen oder Werte einer Person sein oder der Druck, Ziele zu verfolgen, denen man persönlich nicht zustimmen würde.

Vor allem sei das Problem, schreiben die Forscher, dass Berufstätige heutzutage Mikrostress in einem viel höheren Volumen und viel häufiger erfahren würden, als dies in einer weniger technologisierten Welt der Fall war. Auf Dauer könnten zahlreiche Mikrostressoren Blutdruck und Herzfrequenz erhöhen oder Veränderungen im Stoffwechsel oder im Hormonhaushalt verursachen, doch unmittelbar nehme sie der Körper nicht immer als Stress wahr.

Wird das "Budget" an aushaltbarem Stress im Körper aber ständig herausgefordert, kann es dazu führen, dass Menschen sich immer mehr überfordert fühlen und die Konzentration und Problemlösungsfähigkeit schwächer werden. Was also tun gegen zu viele dieser kleinen negativen Einflüsse im Joballtag?

Auslöser gezielt zurückdrängen

Mikrostress entgehen kann man auf vielfältige Art und Weise, wenn es nach den Forschenden Dillon und Cross geht. Es fange schon beim öfteren Neinsagen an und ginge bis zum Ausschalten der Handys und Computer nach der Arbeit oder zumindest dem Stummschalten von Benachrichtigungen nach einer gewissen Uhrzeit. Es helfe aber auch, sich des Mikrostresses, den man für andere verursacht, bewusst zu werden.

Denn meistens käme dieser wieder auf einen zurück (etwa: Wer mit dem Partner streitet, dem wird auch mit Wut begegnet). Andererseits sei es aber auch wichtig, Kommunikation zu üben und mit vielen verschiedenen Menschen, auch außerhalb der Arbeitswelt, in Kontakt zu treten. Viele verschiedene Aktivitäten im Leben zu haben, die einen von einer anderen wieder ablenken können, könne sich positiv auswirken. (Melanie Raidl, 1.3.2023)