Den Cookies geht es langsam an den Kragen – zumindest jenen Third-Party-Cookies, die für webseitenübergreifendes Tracking genutzt werden.

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Es ist ein Umstand, dem heutzutage selbst Branchenvertreter kaum noch öffentlich widersprechen würden. Onlinewerbung und vor allem das damit einhergehende umfassende Tracking von Nutzeraktivitäten ist über die Jahre komplett aus dem Ruder gelaufen. Für die Nutzer ist es längst undurchschaubar geworden, welche Firmen jetzt was über sie wissen.

Trendwende

In den vergangenen Jahren hat sich aber auch so etwas wie eine Gegenbewegung formiert, sowohl die Politik als auch manche Softwarehersteller versuchen dieser Form der allumfassenden Sammlung und vor allem Weitergabe von Daten den Garaus zu machen. Tatsächlich zeichnet sich damit mittelfristig das Ende der fast schon uneingeschränkt anmutenden Überwachung der Onlinenutzer, wie wir sie jetzt kennen, ab. Und doch: Heißt das Ende von Tracking im Allgemeinen oder auch personalisierter Werbung im Speziellen nicht zwingendermaßen, es ist alles nur eine Frage der Definition.

Eine Kehrtwende namens ATT

Einen entscheidenden Anstoß für den aktuellen Umbruch hat dabei Apple gegeben. Mit der Einführung der App Tracking Transparency (ATT) für iPhones und iPads wurden die Möglichkeiten von Datensammlern massiv eingeschränkt. Konkret geht es dabei darum, dass sich Apps seitdem explizit eine Erlaubnis der Nutzer einholen müssen, wollen sie Zugriff auf jenen Werbe-Identifikator (IDFA) eines Geräts haben, über den App-übergreifend getrackt werden kann. Wenig überraschend sollte sich schnell herausstellen, dass mit solch einem Begehren Konfrontierte fast immer mit "Nein" antworten.

Somit war das App-übergreifende Tracking von einem Tag auf den anderen auf einer der wichtigsten Plattformen der Welt vorbei – mit den mittlerweile bekannten Folgen. Gerade Meta wurde von diesem Schritt hart getroffen. Da das Werbegeschäft des Facebook-Herstellers stark von personalisierter Werbung abhängig ist, brach dies in den Folgequartalen massiv ein.

Es kommt "schlimmer"

Doch solch ein schwerer Schlag die Einführung der ATT auch für die Werbebranche gewesen sein mag, mittelfristig könnte es noch viel schlimmer für auf klassischem Datensammeln basierende Werbung kommen. Und dafür ist ausgerechnet die größte Online-Werbefirma der Welt verantwortlich: Google.

Dort setzt man derzeit nämlich gerade die ersten Schritte, um – mittelfristig – ebenfalls klassische Tracking-Maßnahmen abzudrehen. So soll etwa Chrome nur noch bis spätestens Ende 2024 sogenannte Third-Party-Cookies akzeptieren. Diese stellen bisher zu großen Teilen die Grundlage für webseitenübergreifendes Tracking dar. Das wäre dann also das Pendant zu dem, was Apple mit der ATT gemacht hat, nur dass es hier gar kein "Opt-in" mehr geben soll.

Betont sei dabei, dass Google hier nicht der erste Hersteller ist, der zu einem solchen Schritt greift. Schon jetzt setzen viele Browser allerlei Anti-Tracking-Maßnahmen ein. Chrome ist aber nun mal der weltweit ganz klar dominierende Browser, Änderungen bei diesem hätten also auch eine viel größere Auswirkung. Beendet Chrome die Unterstützung für Third-Party-Cookies, sind diese damit de facto unbrauchbar geworden.

Android

Doch auch dem Pendant zu Apples IDFA scheint keine sonderlich große Zukunft mehr beschert zu sein. Bereits vor einiger Zeit hat Google die systemweite Deaktivierung dieses "Android ID" genannten Identifikators erleichtert. Einen konkreten Zeitplan für dessen vollständige Entfernung gibt es zwar noch nicht, der Weg scheint aber vorgezeichnet.

Eine Sandkiste für Werbende

Das liegt auch daran, dass Google derzeit eifrig an Alternativen arbeitet. Unter dem Namen "Privacy Sandbox" entwickelt das Unternehmen ein Set an Technologien, das personalisierte Werbung in einer "datenschutzfreundlichen" Version garantieren soll.

Dabei sollen die Aktivitäten der User zwar weiterhin ausgewertet werden, das aber direkt am lokalen Gerät, also ohne je sensible Daten weiterzugeben. Danach werden die Nutzer dann in grobe Interessengruppen eingeteilt, die wiederum von Werbenden anvisiert werden können. All das mit diversen Privacy-Maßnahmen verschleiert, um eine Rückführbarkeit auf eine Person zu verhindern – so zumindest die hier wirklich zugegeben sehr vereinfacht dargestellte Theorie.

Offene Fragen

Ob all das wirklich so datenschutzfreundlich ist, wie Google behauptet, ist dabei allerdings nicht unumstritten. So befürchten Kritiker, dass so ein System erst recht wieder dazu genutzt werden könnte, um in Kombination mit anderen Daten viel über einzelne User in Erfahrung zu bringen. Bei Google selbst hat man auf die Kritik mit einigen Anpassungen reagiert, grundlegend will man aber daran festhalten.

Und genau damit wird es langsam ernst: Während das Ganze im Desktop-Chrome schon länger getestet wird, wird die entsprechende Technologie mittlerweile auch unter Android getestet – und zwar sowohl systemweit für Apps als auch im Browser Chrome für Webseiten.

Ein Fortschritt, aber ...

Egal, was man von diesen Plänen hält, aus einer Privatsphärensicht sind sie alleine schon deswegen ein Fortschritt, da sich die darüber vorgenommene Werbeindividualisierung zentral abschalten lassen soll. Wer das tut, bekommt dann auf den entsprechenden Seiten oder in den jeweiligen Apps einfach generische Werbung, ohne Anpassung zu sehen.

KI: Ja!

Es wäre kein Trend des Jahres 2023 ließe sich hier nicht auch irgendwie das Buzzword "künstliche Intelligenz" (KI) unterbringen. Denn natürlich kommt auch für diese Einordnung in Gruppen sehr viel KI zum Einsatz.

Das übrigens nicht nur bei Google, denn was in der Diskussion über die ATT gerne vergessen wird: Auch Apple sammelt weiter eifrig Daten und kombiniert dabei Informationen aus mehreren der eigenen Apps, um so ein gerade stark wachsendes Werbegeschäft aufzubauen. Genau wie Google verweist man dabei auf "datenschutzfreundliche" Techniken, die eine Rückführung auf einzelne User unmöglich machen sollen.

Doch auch bei anderen Herstellern wird eifrig an neuen Technologien geforscht, um den Ausfall des klassischen Trackings aufzufangen. So versuchen Facebook und Snap gerade mit neuen KI-Tools Werbenden wieder bessere Informationen zur Effektivität ihrer Anzeigen zu liefern.

Effektivität

Genau darum geht es im Kern auf Seiten der Werber nämlich, um die sogenannten Conversions. Über klassische Trackingmethoden war es – mehr oder weniger – zuverlässig möglich, zuzuordnen, ob auf eine Werbeanzeige ein Kauf erfolgt ist. Das ist mit dem Wegfall der gewohnten Tracker und Third-Party-Cookies natürlich nicht mehr so einfach zu bewerkstelligen. Zudem ist nichtzielgerichtete Werbung dieser Logik der Branche zufolge (das ist generell nicht unumstritten, Anm.) weniger wert. Also würde man natürlich gerne auf andere Weise an eine grobe Kategorisierung der Nutzer gelangen. Genau das will Google mit der Privacy-Sandbox schaffen.

Ob der Plan von Google aufgeht, ist dabei allerdings längst nicht klar. Zwar sollen all die im Rahmen der Privacy-Sandbox entwickelten Technologien offengelegt werden und damit auch anderen Anbietern zur Verfügung stehen, bei denen sich die Begeisterung aber bisher in Grenzen hält. So wollen etwa bisher keine anderen Browserhersteller die Privacy-Sandbox implementieren, dort hält man das schlicht für eine neue Tracking-Technologie und will von solchen Dingen generell nichts mehr wissen.

Ein Scheitern ist denkbar – und nicht schlimm für Google

Da auch die Gegenliebe aus der Werbebranche bisher enden wollend ist, könnte es also durchaus dazu kommen, dass Googles Privacy-Sandbox mangels Interesse scheitert. Klingt zunächst schlecht für Google selbst, in Wirklichkeit wäre das für das Unternehmen sehr gut verkraftbar – langfristig potenziell sogar von Vorteil.

Was bei diesem Thema nämlich ebenfalls gerne übersehen wird. In einer Welt, in der die Nutzung von Third-Party-Daten zunehmend unterbunden wird, stehen vor allem jene gut da, die sehr viele First-Party-Daten haben. Also die Anbieter, bei denen die Nutzer direkt viele Information über sich hinterlassen – und da steht Google mit seinen zahlreichen Diensten natürlich hervorragend da. Das ist übrigens auch einer der Gründe, warum langfristig gesehen sogar Facebook-Hersteller Meta von den aktuellen Anti-Tracking-Maßnahmen profitieren könnte – aber das nur am Rande.

Bei Google kommt zudem noch etwas anderes hinzu: Das Unternehmen mag zwar für personalisierte Werbung bekannt sein, in Wirklichkeit ist das aber nur ein Teil des Werbegeschäfts des Unternehmens. Ein bedeutender Teil der Einnahmen wird über recht simple am Suchbegriff ausgerichtet Keyword-Werbung in der Google-Suche lukriert. Und die wird durch die ATT und andere Anti-Tracking-Maßnahmen überhaupt nicht berührt.

Was heißt das für das Web?

Doch jenseits der wenig überraschenden Erkenntnis, dass auch in diesem Fall Big Tech wieder hervorragend auf einen aktuellen Trend eingestellt ist, und potenziell sogar davon profitieren könnte, stellt sich natürlich die Frage, was das für das weitere Web und im Speziellen auch kleinere Anbieter bedeutet. Und hier muss man ebenfalls nicht viel raten, zeichnen sich im Vorfeld des Endes von Cookies und anderer klassischer Tracking-Maßnahmen doch bereits die ersten Umbrüche ab.

Aus Nutzersicht heißt das zunächst einmal: In Zukunft wird man sich auf immer mehr Onlinediensten einloggen müssen, bevor man diese nutzen kann. Der Grund dafür ist eigentlich recht simpel, die konkrete Formulierung variiert natürlich je nach Perspektive. So sprechen die Betreiber gerne davon, eine "persönliche Beziehung" zu den Nutzern aufbauen zu wollen. Das ist auch nicht falsch, gleichzeitig heißt das aber natürlich, dass auf diesem Weg mehr Daten über die eigenen Nutzer gesammelt werden sollen, um den Wegfall der Drittinformationen ersetzen zu können.

Demokratiepolitische Fragen

Zudem dürfte die aktuelle Onlinewerbekrise auch noch einmal den Trend zu Bezahldiensten verstärken. Das ist fraglos gut, für all jene, die sich das leisten können, erspart man sich damit doch die Werbung – ob invasiv oder nicht. Ob es langfristig eine erfreuliche Entwicklung ist, wenn immer mehr Wissen hinter einer Bezahlschranke und damit auch außer Reichweite für viele landet, wäre aber dann auch demokratiepolitisch noch einmal eine komplett andere Frage. (Andreas Proschofsky, 1.3.2023)