"4 A.M. – A House Dance Piece" der Gruppe Potpourri um Olivia Mitterhuemer und Farah Deen lotet das Befreiungspotenzial der Clubkultur aus, von 23. bis 25. März.
Foto: Christine Miess

Eine Frau bleibt in selbstverordneter Abkapselung auf der Couch sitzen. Drei junge Leute entziehen sich der Gegenwart durch Flucht in die Weiten des Schlageruniversums. Und Tanzen im Club zu viert, bis sich ein Gefühl oder die Illusion von "kollektiver Freiheit" einstellt. Ist es das, was uns dieser Tage umtreibt? Nicht ganz, wie sich weiteren Stücken entnehmen lässt, die das Imagetanz-Festival des Brut-Theaters ab Donnerstag über drei Wochen hin präsentiert.

Imagetanz wurde 1989 gegründet, als sich alle Weichen in Richtung Aufbruch und Zukunftshoffnung zu stellen schienen. Ende der Geschichte? Nur zwei Jahre später brach der Jugoslawienkrieg aus. Die Sowjetunion zerfiel, und zum Zehn-Jahr-Jubiläum von Imagetanz wurde ein gewisser Wladimir Putin russischer Ministerpräsident.

In diesem Jahr, 1999, brachte Stanley Kubrick seinen letzten Film heraus: Arthur Schnitzlers Traumnovelle als Gegenwartsgeschichte mit dem die Zeit ab 1989 perfekt kennzeichnenden Titel Eyes Wide Shut. Jetzt macht sich Ernüchterung breit über all das, was damals beiseitegewischt wurde: Artensterben, Klimawandel, Nationalismus. In Tanz und Performance war der unheimliche Unterton der großen Sause oft zu vernehmen, wenn auch meist nur indirekt. Nicht als Aktivismus, sondern als Kunst der Sensibilisierung. Das gilt auch für das aktuelle Imagetanz-Programm.

Erosion der Realpolitik

Beschwörungen des Gemeinschaftlichen in der "Kultur" sind Reaktionen auf den Zerfall der Öffentlichkeit, das künstlerisch Politische als Verweis auf die Erosion der Realpolitik, und die Performance von Diversität im Widerspruch gegen totalitäre Ideologien – all dies und etliches darüber hinaus ist im diesjährigen Festival dabei.

Schon die Eröffnungsarbeit La notte è il mio giorno preferito der Italienerin Annamaria Ajmone tanzt die ambivalenten Stimmungen des Mensch-Natur-Verhältnisses, und die Gruppe H.A.U.S. führt mit youAI in die notorisch hochgejazzten Debatten über künstliche Intelligenz. Wenn dann Nora Jacobs verspricht, in ihrem Stück How Do You einen Drag-Cowboy vorzuführen, erinnert das nicht nur an die Anfänge von Ian Kaler (Save A Horse, Ride A Cowboy, 2010), sondern wieder an die popkulturelle Dominanz US-amerikanischer Klischees in Europa.

Ebenso 4 A.M., ein "House Dance Piece" der Gruppe Potpourri um Olivia Mitterhuemer und Farah Deen. Und natürlich der vielversprechende Voguing Ball von Kiki House of Dive beziehungsweise die Abschlussparty des Kollektivs A party called Jack.

Zu den aktuellen Imagetanz-Themen gehören auch Fragen wie "Demokratie – Top oder Flop" bei Gudrun Schmidinger in deren Performance My Favourite Things, einige Smells of Racism – und, siehe oben, diverse Weltfluchten: bei Mathieu von Sebastiano Sing oder Wuman On A Sofa (sic!) des Franz Pop Collective. (Helmut Ploebst, 28.2.2023)