Ab sofort ist auch in den Wiener Öffis die Maske nicht mehr Pflicht. Die Infektionszahlen sind zwar hoch, aber viele bemerken gar nicht, dass sie sich angesteckt haben.

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Nun ist auch in Wien die Maskenpflicht in Öffis und Apotheken gefallen. Der Schutz ist nur noch in Kranken- und Kuranstalten, Alten- und Pflegeheimen sowie in sonstigen Gesundheitseinrichtungen vorgeschrieben, analog zum Rest von Österreich. Ist diese Lockerung mit Blick auf die Corona-Lage gerechtfertigt? Oder ist die Pandemie ohnehin schon längst vorbei, wie viele behaupten, und diese Maßnahme längst überfällig?

VIDEO: Wir haben uns am ersten Tag nach Ende der Maskenpflicht rund um den Bahnhof Wien Mitte umgehört.
DER STANDARD

Tatsächlich sind wir gerade mittendrin in einer ziemlich hohen Corona-Welle. Das zeigt sich zwar nicht beim Blick auf die täglich gemeldeten Neuinfektionen, sie liegen derzeit zwischen 5.000 und 6.000. Doch die Analyse des Abwassers zeigt eine ganz andere Situation. Laut diesen Daten sind die täglichen Neuinfektionen fast so hoch wie vor einem Jahr, als die Doppelwelle von Omikron B.A.1 und B.A.2 gerade Fahrt aufnahm, berichtet der Molekularbiologie Ulrich Elling von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, der hauptverantwortlich für die Virussequenzierung in Österreich ist. Im Schnitt wurden Ende Februar, Anfang März 2022 rund 30.000 Neuinfektionen täglich gemeldet.

Doch mittlerweile verlaufen viele Infektionen asymptomatisch, viele wissen gar nicht, dass sie erkrankt sind, außerdem ist davon auszugehen, dass bei weitem nicht alle positiven Antigentests mit einem PCR-Test bestätigt werden. Bei den aktuellen Erkrankungen handelt es sich in erster Linie um Reinfektionen. "Die sind in den vergangenen Wochen sehr stark gestiegen, auch im Vergleich zum Jahresbeginn", berichtet Elling. Viele der jetzt Infizierten haben also zum zweiten Mal – oder sogar noch öfter – eine Omikron-Variante, weil der durch eine vorhergegangene Infektion aufgebaute Schutz vor Ansteckung abnimmt. Man nennt das Immunity-Waning.

Ulrich Elling ist Molekularbiologe an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Er ist hauptverantwortlich für die Virussequenzierung in Österreich.
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Keine gefährlichen Mutationen

Das liegt auch daran, dass in der Omikron-Variante immer neue Subformen entstehen, die XBB-Varianten haben sich zuletzt breit durchgesetzt. Gefährlich seien diese aber nicht, weiß Elling. Wobei gefährlich relativ sei: "Omikron verursacht in etwa so schwere Erkrankungen wie die originale Wuhan-Variante, das zeigt eine aktuelle Studie." Es bringt also weniger schwere Verläufe als die Delta-Variante, doch es ist keineswegs mild oder harmlos. "Dass wir Omikron als 'mild' empfunden haben, lag vor allem daran, dass sich die Geimpften mit dieser Variante angesteckt haben, während es bei Delta noch die Ungeimpften waren. Die jetzt deutlich entspanntere Gesamtsituation ist also der Immunität in der Bevölkerung zu verdanken, die durch die Impfungen und durch die Infektionen aufgebaut wurde."

Die aktuelle Infektionssituation ist auch keineswegs überraschend, sie wurde seit langem in den Simulationen vorhergesagt. Und Elling betont, dass wir auch von weiteren Krankheitswellen ausgehen müssen: "In Bezug auf die Infektionswellen hat sich eine richtiggehende Sinuskurve entwickelt, nicht nur in Österreich, in allen Ländern. Alle vier bis sechs Monate kommt eine neue Infektionswelle."

Das liegt eben am Immunity-Waning, durch das zumindest der Schutz vor Infektion abnimmt. Das dauert nur ein paar Monate bis zu einem Jahr, dann kommt es im Normalfall zu einer erneuten Erkrankung. Wobei diese bei vielen so abgeschwächt ist, dass sie eben gar nicht bemerkt oder nur als normale Erkältung wahrgenommen wird. Diese immer wiederkehrende Infektion macht prinzipiell auch Sinn, betont Elling, denn so wird die Immunität regelmäßig aufgefrischt, bevor der Schutz vor schwerer Infektion abnimmt: "Ein längeres Wellental wäre deshalb eine echte Überraschung."

Übergang in endemische Phase

Mit der aufgebauten Immunität in einem Großteil der Bevölkerung ist Covid-19 für Elling in die Endemie übergegangen. Trotzdem lässt der Übergang in saisonale Wellen, ähnlich der Influenza, noch auf sich warten. "Das wird so schnell auch nicht passieren, weil das Virus viel rascher mutiert als das der Influenza." Taucht eine neue Variante auf, wenn die vorherige Infektionswelle schon eine Weile her ist, wird sie wieder viele Infektionen auslösen, weil der Infektionsschutz zurückgegangen ist – und das auch, wenn gerade Sommer sein sollte. Die Saisonalität wird also wohl noch so lange auf sich warten lassen, bis die Mutationsmöglichkeiten des Virus deutlich reduziert sind. Das könne durchaus noch Jahre dauern. Da mittlerweile aber praktisch alle Menschen eine gute Immunität haben, muss man derzeit nicht davon ausgehen, dass noch einmal eine Situation auftreten wird, in der Maßnahmen gegen die Ausbreitung umgesetzt werden müssen.

Unklar ist aber aktuell noch, wie sich die Situation in der vulnerablen Bevölkerung weiter entwickeln wird, ob Ältere und chronisch Kranke langfristigen Immunschutz aufbauen können. Gerade in dieser Bevölkerungsgruppe gibt es auch noch einige, die noch nie Covid-19 hatten, für sie gibt es also weiterhin kaum Entspannung. Ein Indikator dafür ist die Übersterblichkeit. Aktuell ist diese vor allem bei den Älteren hoch. Zwar ist als Todesursache meistens nicht Corona angegeben, doch natürlich sind die gesundheitlichen und Gesundheitssystem-bedingten Folgen von Corona ein wesentlicher Grund dafür.

Eine Vorstellung davon, wie sich das entwickeln könnte, liefert ein historischer Vergleich. Nach der Spanischen Grippe, die ab 1918 wütete, hat die Übersterblichkeit etwa ein Jahrzehnt lang angehalten. Diese Pandemie selbst hat man als eine Pandemie der Jungen in Erinnerung, da die Todeszahlen in der Gruppe der 15- bis 30-Jährigen besonders hoch waren. Das gilt aber nur für die Hochphase der Spanischen Grippe, nach 1920 änderte sich das. Die Übersterblichkeit im folgenden Jahrzehnt betraf die ältere Bevölkerung, die meisten über 65-Jährigen sind sogar erst 1928, also zehn Jahre nach dem Ausbruch, gestorben.

Ende der Maßnahmen in Ordnung

Insgesamt ist es für Elling aber vertretbar, dass nun auch die Masken fallen, da die Immunität in der Bevölkerung sehr gut etabliert ist. Der Molekularbiologe würde sich aber trotzdem wünschen, dass man weiter über den Sinn der Maßnahmen spricht. "Alle reden immer nur davon, dass jetzt endlich alles vorbei ist. In dieser Erzählung fehlt aber, warum die Maßnahmen nötig waren und was sie gebracht haben." Das sei vor allem deshalb so wichtig, damit die Menschen für eine zukünftige ähnliche Gemengelage das Rüstzeug hätten, verantwortungsvoll mit dieser Situation umzugehen. (Pia Kruckenhauser, 1.3.2023)